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© Joe Kramer Orazio

Trebbin: "Ich konnte mir das nicht vorstellen"

Drei Kommunalpolitiker aus Trebbin besuchen Orazio Giamblanco, den ein Rechtsextremist vor 13 Jahren in der Stadt beinahe totschlug.

Von Frank Jansen

Trebbin/Bielefeld - Das Städtchen hat eine lange Geschichte, mit Raubrittern, Pest, Kriegen, Wirtschaftsblüten, Sozialismus und heute immerhin vier Gewerbeparks. Das steht auf der Homepage Trebbins, mit 9000 Einwohnern eine Größe im dünn besiedelten Kreis Teltow-Fläming. Man muss allerdings suchen, um einen Hinweis zu finden auf das, was hier am 30. September 1996 geschah. „Gegen das Vergessen“ steht über einer Meldung, die vor einem Jahr auf der Website erschien. Der Text beginnt mit den Worten: „Es ist zwölf Jahre her.“ So lange hat es gedauert, bis sich die Stadt wieder an die Angriffe rechtsextremer Skinheads auf italienische Bauarbeiter erinnerte. Und dann zur Kenntnis nahm, wie es dem damals lebensgefährlich verletzten Orazio Giamblanco geht. Er sei „seither schwerbehindert und kämpft noch immer gegen die Schmerzen“.

Das Zentrum für Physiotherapie in Bielefeld. Orazio Giamblanco sitzt an einem Seilzuggerät, alle zehn Finger umklammern den Handgriff. Am anderen Ende des Seils hängen Gewichte, Giamblanco versucht es mit 15 Kilo. Er zieht den Griff zu sich, zurück, nach vorn, zurück. Der 68 Jahre alte Italiener schließt die Augen und zieht weiter. Vor ihm sitzt der Therapeut und legt seine rechte Hand auf Giamblancos linkes Bein, das in einer Stahlschiene steckt. „Er ist ein angenehmer Patient“, sagt Michael Kluth, der dreimal die Woche mit Giamblanco an den Geräten arbeitet, „nur etwas ungeduldig“. Hinter Giamblanco stehen eine Frau und zwei Männer. Die Frau schluckt, „vielen Dank, dass Sie sich um Orazio kümmern“. Ina Schulze, Vize-Bürgermeisterin Trebbins, sieht Giamblanco das erste Mal. So wie Peter Blohm, Vorsitzender des Stadtparlaments, und der junge Stadtverordnete Hendrik Bartl. Die drei sind erschüttert. „Ich konnte mir das nicht vorstellen“, sagt Blohm.

Trebbin blickt in ein dunkles Kapitel der eigenen Geschichte: An jenem Abend im September 1996 schlug der Skinhead Jan W. eine Baseballkeule gegen Giamblancos Kopf. Jan W. und ein Kumpan jagten Italiener, die in Trebbin auf einer Baustelle arbeiteten. Der aus Bielefeld angereiste Giamblanco war erst wenige Tage da, als ihn die Keule traf. Mit zwei Notoperationen wurde er gerettet. Doch Giamblanco leidet unter spastischer Lähmung, sein Hirn ist geschädigt, das Sprechen fällt schwer, Depressionen und Schmerzen quälen. Seit 1997 beschreibt der Tagesspiegel jedes Jahr Giamblancos Zustand, den seiner griechischen Lebensgefährtin Angelica Berdes und ihrer Tochter Efthimia. Über den Kampf mit der Behinderung und über den mit Behörden, für die ein Opfer rechter Gewalt oft nur eine Aktennummer ist, die nicht zu viel Arbeit verursachen sollte.

Ende 2008 kam eine Reaktion aus dem Rathaus Trebbin. Es war Hendrik Bartl, der die Kommunalpolitik aufgerüttelt hatte. Vielleicht konnte das nur jemand wie dieser unbeschwerte Jurastudent, damals 19 Jahre alt und im September 2008 als parteiloser Einzelkandidat ins Stadtparlament eingezogen. Bartl hatte im Tagesspiegel über Giamblanco gelesen und konfrontierte das Stadtparlament mit dem Fall: „Die waren erschrocken, dass das schon vergessen war“, sagte er kurz vor Silvester 2008. Er wollte, dass Trebbin die Verantwortung für Giamblanco erkennt, der hier beinahe sein Leben verlor.

Bartl fand Mitstreiter, die Stadt richtete ein Spendenkonto für Giamblanco ein. Im Januar trat bei einem gut besuchten Benefizkonzert in der „Kulturscheune“ im Ortsteil Thyrow der US-Rockmusiker Tony Carey auf. Trebbins Bürgermeister Thomas Berger (CDU) erinnerte das Publikum an die Empörung, die der rechtsextreme Überfall damals ausgelöst hatte, „und auch heute diskutieren wir wieder über die Vorkommnisse“. Trebbin müsse zeigen, „dass wir den festen Willen und die Kraft haben, dass so etwas in unserer Stadt nie wieder passieren kann“.

Nach der Rede sagte Berger, er möchte einmal mitkommen nach Bielefeld, um Giamblanco und die beiden Frauen zu treffen. Bartl war sowieso dafür. Bei Berger klappte es dann nicht, doch Bartl, Schulze und Blohm haben sich vergangenen Montag in den Zug gesetzt.

Giamblanco zieht weiter an dem Handgriff des Seilzuggeräts, er öffnet die Augen und lächelt. Die Besucher sollen sehen, was er kann, dass er sich nicht aufgibt. Ina Schulze lobt, „das ist eine stolze Leistung“ und beugt sich zu Giamblanco, „doll k.o.?“ Er schüttelt den Kopf, „ist gut so, bisschen Bewegung“. Dass sich sein Zustand verschlechtert hat, sagt er nicht, die Worte kämen ihm dann noch schwerer über die Lippen. „Seine rechte Schulter schmerzt“, sagt Therapeut Kluth. Seit drei Wochen kann Giamblanco nicht mehr an Krücken gehen, es bleiben nur noch Rollator und Rollstuhl. Mit 68 Jahren lassen die Kräfte nach. Und der Ärger, den Giamblanco dieses Jahr hatte, hinterließ Spuren in Psyche und Körper.

Die Probleme mit der Scheidung von seiner sizilianischen Ehefrau spitzten sich im Frühjahr zu, dann endlich war die Trennung gerichtsfest. Orazio habe viel geweint und noch schlechter geschlafen, sagt Angelica Berdes, seine zerbrechlich wirkende Lebensgefährtin. Die heute 58 Jahre alte Frau hatte nach dem „Unfall“, wie sie den Angriff des Skinheads mit einem weniger grausamen Wort benennt, ihre Arbeit aufgegeben, um Giamblanco zu pflegen. Berdes hebt ihn morgens aus dem Bett, sie hilft ihm im Bad, sie fährt mit zur Krankengymnastik, sie tröstet ihn nachts, wenn er damit hadert, dass sein Leben ruiniert ist. Sie selbst geht zum Psychiater, leidet unter Depressionen, Bluthochdruck und Rückenschmerzen. „Vor dem Unfall wollte Orazio mit meinem Bruder in Griechenland ein Haus bauen“, sagt Berdes, „das haben wir nicht geschafft“.

Ihrer Tochter Efthimia, 35 Jahre alt, geht es kaum besser. Sie verlor ihre Lehrstelle als Friseurin, als sie nach der Gewalttat manchmal fehlte, um ihre Mutter bei Giamblancos Pflege zu unterstützen. Inzwischen arbeitet sie in einer Schokoladenfabrik, in der Freizeit hilft sie der Mutter und Giamblanco. „Ich würde gerne eine Familie gründen“, sagt sie, „aber kein Mann akzeptiert, dass ich meine Mutter und Orazio nicht im Stich lassen kann“.

Als Giamblanco und die Frauen im Sommer nervlich am Ende waren, unternahmen sie einen Ausbruch: Im August flogen sie für drei Wochen nach Sizilien, zu einem Bruder Giamblancos. Da wurde eine Hochzeit gefeiert und die mediterrane Wärme tat gut. „Das war schön“, sagt Giamblanco und zeigt ein Foto, auf dem er im Rollstuhl vor einer Kirche sitzt, neben ihm steht die junge Braut. Die Reise konnten sich die drei dank der Spenden vieler Tagesspiegel-Leser leisten: Im vergangenen Winter waren mehr als 11 000 Euro eingegangen. Außerdem hatte im Frühjahr die „Neue Westfälische“ in Bielefeld über Giamblanco berichtet, wonach auch dort Leser sammelten.

Die Besucher aus Trebbin haben ebenfalls Geld mitgebracht. Auf dem Spendenkonto der Stadt gingen 3015 Euro ein. Ina Schulze gibt Giamblanco die Scheine, „viele Trebbiner haben für Sie gespendet“, sie umarmt ihn. Giamblanco ist glücklich. Dann überlegt er, ob Ostern 2010 wieder eine Reise nach Sizilien möglich wäre. Spenden fließen jedenfalls weiter: Im November brachte der Ehrenpräsident des Berliner Fußball Verbandes, Otto Höhne, mit drei Freunden einen Scheck über 2500 Euro zum Tagesspiegel. Das Geld war beim „Otto- Höhne-Cup“, einem Golfturnier, gesammelt worden.

Giamblanco freut sich über die Anteilnahme der vielen Spender. Einer war in diesem Jahr der Täter vom September 1996. Jan W. kam mit seiner Mutter im Januar zum Benefizkonzert in Trebbin und zahlte Eintritt, der in die Spende der Stadt einfloss. Die Leute im Publikum, die den Ex-Skinhead und seine Mutter kannten, reagierten gelassen. Der 35-jährige W. hat sich längst von der rechten Szene gelöst und führt ein unauffälliges Leben als selbstständiger Bauarbeiter. Das Landgericht Potsdam hatte W. 1997 zu 15 Jahren Haft verurteilt – als er bereute und Mittäter nannte, kam er auf Bewährung frei. Vor drei Jahren entschuldigte er sich in Briefen an Giamblanco und die Frauen für die Tat. Alle drei haben ihm verziehen.

„Ich denke immer noch darüber nach, was man verbrochen hat“, sagt Jan W. Am Jahrestag der Tat fuhr er abends an einen See, „da habe ich Tränen gelassen, das ist alles schmerzhaft“. Giamblanco sagt, am 30. September „war ich nicht traurig. Was passiert ist, ist passiert“. Er habe keine Wut auf den Täter, „aber ich vergesse nie. Wenn schlechte Tage sind, denke ich daran“. Doch dieser Tag, an dem ihn die Trebbiner besuchen, „ist gut für mich“.

Am Mittwoch haben Bartl, Schulze und Blohm der Stadtverordnetenversammlung berichtet, wie es in Bielefeld war. „Vor allem, dass wir herzlich von Herrn Giamblanco aufgenommen wurden“, sagt Schulze später, „ich hatte ja ein bisschen Angst, wir seien da nicht willkommen, nach dem was in Trebbin passiert ist“. Das Stadtparlament habe sich dafür ausgesprochen, „das Spendenkonto weiterlaufen zu lassen“, sagt Schulze. „Wir wollen das Thema nicht mehr in Vergessenheit geraten lassen, wie es jahrelang leider war“.

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