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Wirtschaft: Banken im Höhenrausch

Analysten sehen den Dax in zwei Jahren bei 9000 Punkten. Wie plausibel ist die neue Euphorie?

Diese Prognosen hört der Anleger gerne: Um 40 bis 60 Prozent sieht Andreas Hürkamp den Dax mittelfristig steigen. Bis Ende 2008, ist sich der Aktienanalyst der Landesbank Rheinland-Pfalz in einer aktuellen Studie sicher, werde das wichtigste deutsche Börsenbarometer bei 9700 Punkten und damit knapp vor der Fünfstelligkeit stehen. Auch der S & P 500, Abbild der 500 größten börsennotierten US-Unternehmen, soll bis dahin um mindestens 40 Prozent höher klettern.

Optimismus verbreiten aktuell viele Bankanalysten und Börsenspezialisten. „7000 Punkte, vielleicht auch deutlich mehr, sind im Dax im kommenden Jahr gut vorstellbar”, prognostiziert etwa Ingo Mainert, Chef der Vermögensverwaltung und des Wertpapiermanagements bei der Commerzbank. Auch Ulrich Kaffarnik, Geschäftsführer der bankenunabhängigen Vermögensverwaltung Jens Ehrhardt Investment, bescheinigt den Börsen „viel Potenzial“ – und das, obwohl wir in Europa dreieinhalb Jahre Hausse hinter uns haben, der Dax in dieser Zeit um 186 Prozent gestiegen und der Dow Jones inzwischen die Marke von 12 000 Punkten geknackt hat.

An Argumenten mangelt es den Börsenspezialisten trotzdem nicht: Hürkamp etwa hat „drei Megafaktoren” ausgemacht, die seinen Optimismus begründen. Erstens seien Aktien, trotz dreieinhalbjähriger Hausse, immer noch sehr günstig. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für die 2007 erwarteten Gewinne liege im Dax bei 12 bis 13, der langfristige Schnitt jedoch bei 15 bis 16. Aktien sind also unverändert billig, weil die Unternehmensgewinne stärker gestiegen sind als die Kurse. In den USA seien die Börsen fünf Jahre lang mehr oder weniger seitwärts gelaufen, erst vor wenigen Wochen nach oben ausgebrochen – und dies nach 14 Quartalen mit im Schnitt zweistelligen prozentualen Gewinnzuwächsen der Unternehmen. Damit hätten sich US-Aktien auf ein KGV von 14 verbilligt, während der langjährige Mittelwert bei 17 liege.

Zweitens seien sehr viele Investoren weiter extrem vorsichtig. „Vor allem Privatanleger sind derzeit eher auf der Verkäuferseite“, weiß Hürkamp. Erfahrungsgemäß kämen sie erst in der zweiten Phase einer Aufwärtsbewegung zurück an den Markt – vermutlich erst 2007. Dies belegen auch neueste Daten des Bundesverbandes Investment und Asset Management (BVI). Danach haben Privatanleger zwischen Januar und Ende September unter dem Strich 3,7 Milliarden Euro aus Aktienfonds abgezogen, dafür netto fast 12 Milliarden in Geldmarktfonds gesteckt. Der Dax legte im gleichen Zeitraum um elf Prozent zu. „Viele Anleger haben weiter kein Vertrauen in die langfristige Ertragsstärke von Aktien, setzen lieber auf kurzfristige Sicherheit“, erklärt BVI-Experte Frank Bock. Dabei zeigten die Daten, dass die Börsentiefs der Vergangenheit kaum noch spürbar seien: Auf Sicht von fünf Jahren legten deutsche Aktienfonds jedes Jahr 7,3 Prozent zu, zwischen September 2005 und September 2006 waren es sogar im Schnitt knapp 17 Prozent.

Der dritte Megafaktor kommt nach Ansicht von Analyst Hürkamp von der US-Notenbank. Sie habe den Zinsanhebungszyklus beendet und werde in den nächsten zwei Jahren mit ersten Zinssenkungen beginnen. Commerzbank wie Landesbank Rheinland-Pfalz verweisen dabei beide auf „verblüffende Parallelen“ zwischen der aktuellen Lage und der Situation der Jahre 1995/96. Damals wie heute waren die Zinsen in den USA erheblich gestiegen, die Wirtschaft zeigte Schwächesymptome, das Verbrauchervertrauen sank, der Markt war nach mehrjährigem Aufschwung skeptisch, man rechnete mit Einbrüchen. Doch statt eines Einbruchs setzten die Börsen zu einer gewaltigen Hausse an, die erst im März 2000 endete, wenn auch unterbrochen von zwei massiven Konsolidierungen.

Commerzbank-Experte Mainert erwartet zwar keine Megahausse, aber dennoch „mindestens sechs bis neun Monate steigende Kurse“. Er rechnet im ersten Quartal 2007 mit einer ersten Zinssenkung der US-Notenbank, die sich als „Startschuss für einen erneuten konjunkturellen Aufschwung“ entpuppen werde. Hürkamp empfiehlt Anlegern sogar, „nicht darauf zu setzen, dass kurzfristig viel billigere Tage kommen“. Auch Kaffarnik hält den Markt für „nach unten relativ gut abgesichert“ – vor allem, weil die Aktienquoten bei Privatanlegern wie auch Versicherungen, die nur rund elf Prozent ihrer Gelder in Aktien investiert haben, niedrig seien. Von Übertreibungen oder gar Euphorie könne daher keine Rede sein. Störend könne jedoch eine höhere Inflation wirken, die die Notenbanken zwingen könnte, die Zinsen auf höherem Niveau zu halten oder sogar noch zu erhöhen. Dies wäre Gift für die Aktienmärkte. Auch geopolitische Krisen, etwa Auseinandersetzungen mit Nordkorea, könnten den Aufwärtstrend stoppen. Bauchschmerzen bereitet Kaffarnik wie Hürkamp auch die inverse Zinsstruktur in den USA: Kurzfristige Anlagen werden hier höher verzinst als langfristige, was bedeutet, dass an den Zins- und Rentenmärkten bereits auf eine künftig starke Abschwächung der US-Konjunktur gewettet wird.

Nahezu alle Beobachter rechnen zwar früher oder später mit zwischenzeitlichen Rücksetzern, eine grundsätzliche Trendumkehr mit jahrelang stagnierenden oder gar fallenden Kursen erwarten kurzfristig nur wenige. Zu ihnen gehört Winfried Walter. Der Dax habe seine Möglichkeiten in diesem Zyklus ausgereizt, sagt der Vermögensverwalter bei Albrecht & Cie. Und sein Münchner Kollege Joachim Schäfer malt ein Schreckensszenario an die Wand: 4000 Dax-Punkte prognostiziert er für den Fall, dass die US-Wirtschaft in eine Rezession falle und die Notenbank nicht rechtzeitig gegensteuere.

Veronika Csizi

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