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Gasag Rentner

© Doris Spiekermann-Klaas

Exklusiv

Wirtschaft: Berliner Rentner klagt erneut gegen Gasversorger Gasag

Die Akte Gasag: Ein Berliner Privatmann, der Mitte Juli ein wegweisendes Urteil beim Bundesgerichtshof (BGH) gegen den Gasversorger Gasag erstritten hatte, will erneut gegen das Unternehmen klagen. Erstmals spricht er über seine Motive.

Seit Wochen meckern die Verbraucherschützer noch mehr als sonst, drohen der Gasag mit neuen Klagen. Tausende Kunden fordern Geld zurück seitdem der Bundesgerichtshof (BGH) Mitte Juli eine spezielle Klausel, die in vielen Gasag-Verträgen steht, für ungültig erklärt hat. Diesen ganzen Ärger verdankt Westeuropas größter kommunaler Gasversorger einem Berliner Rentner: Herbert Schmidt*. Er verpasste der Gasag die wohl größte juristischen Niederlage der vergangenen Jahre und motivierte damit auch andere Kunden.

Erstmals sprach der 69-jährige Berliner aus dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf jetzt mit einer Zeitung über seine Motive, warum er die Gasag bis nach Karlsruhe verklagte, und warum er jetzt erneut Klage einreichen wird, falls die Gasag ihm nicht sofort die paar Hundert Euro zurückzahlt. Bedingung: Keine Fotos. Und sein echter Name soll nicht genannt werden. Er wolle keinen Trubel um seine Person, sagt er: "Ich bin nicht wichtig. Ich will nur mein Recht."

Die Geschichte begann vor vier Jahren, im September 2005. Da überzeugte ihn ein Kundenberater der Gasag, in den für ihn günstigeren Tarif "Gasag Aktiv" zu wechseln. Schmidt dachte, er spart Geld. Doch fünf Tage später verkündete die Gasag eine erste von zwei Preiserhöhungen. "Warum hat mir der Mann das nicht gesagt? Der wusste doch davon", ist sich Schmidt sicher. Er fühlte sich betrogen. Und er fasste den Beschluss, sich nicht noch einmal von der Gasag herumschubsen zu lassen. Schmidt rief seine Rechtsschutzversicherung an und wurde schließlich zu Jürgen Naumann vermittelt, einem Anwalt, der aus seinem Büro in der Jüdenstraße direkt auf das Rote Rathaus blickt. Der vertrat auch schon erfolgreich Kunden gegen die Berliner Stadtreinigungsbetriebe BSR vor Gericht. Schmidt und Naumann schaukelten sich in ihrem Ärger über die Gasag damals gegenseitig hoch: Wie kommt die Preiserhöhung zustande? Von wegen Ölpreisbindung, das sei doch alles völlig undurchsichtig, monierten sie. "Wir fanden schnell eine gemeinsame Sprache", sagt Naumann heute über seinen Mandanten.

Schließlich entdeckte Naumann in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Schmidts Vertrag eine Klausel, die es der Gasag erlaubte, die Preise anzuheben, sollten diese auch beim Großhändler steigen. Aber keine Rede davon, dass die Gasag die Preise auch senken muss, sobald die Lieferantenpreise wieder fallen. Das war der Hebel: Fast auf den Tag genau vor drei Jahren reichte er in Schmidts Namen Klage beim Amtsgericht Tiergarten ein. Innerhalb von drei Monaten erging das Urteil zugunsten Schmidts. Doch die Gasag legte Berufung ein. Im Juli 2007 wies das Landgericht die Klage der beiden Herren ab. "Spätestens daran wären die meisten zerbrochen", sagt Anwalt Naumann. Nicht so Schmidt.

Er habe immer kämpfen müssen, sagt der gebürtige Thüringer. Er habe aber viel im Leben erreicht, eben weil er so oft standhaft geblieben sei - und für manche auch unbequem. Im Alter von 14 Jahren zog er zu Hause aus, kämpfte sich dann hoch. Mit 21 war er Jungingenieur. Zwei Jahre später, im Herbst 1963, kam er nach Ost-Berlin und begann seine Karriere bei der Gasag, die 1979 mit der Ost-Berliner Bewag zum VEB Energiekombinat Berlin zusammengeschlossen wurde. Dort bildete er auch Jugendliche aus. "Bei den Lehrlingen galt ich als strenger Prüfer", sagt Schmidt. Weil man ihn nicht habe bestechen können.

So verbrachte er die Jahre, es kam die Wende. 1993 verschmolzen die Versorger aus West und Ost wieder zur Gesamtberliner Gasag. Ab 1994 verkaufte das Land den Versorger in drei Schritten an die Konzerne RWE, Ruhrgas und die Bewag (heute Vattenfall). Als die Privatisierung mit dem Verkauf der letzten Anteile an den Konzern Gaz de France 1998 abgeschlossen wurde, war Schmidt schon nicht mehr dabei.

Seither lebt er in seinem kleinen Häuschen "am Existenzminimum" wie er sagt. Er ist schlank, drahtig, hat braune Haut und graues Haar. Und er trägt eine hellgraue Weste mit vielen Taschen - so als könnte er sich jederzeit wieder einen Zollstock, Zirkel und Bleistift schnappen, um auf einem Bauplan Leitungen einzutragen. Gasversorgung war sein Leben, der Gasversorger aber ließ ihn im Stich. Heute geht es dort um Marktanteile, die Gasag steht im scharfen Wettbewerb. Offenbar so sehr, dass Kundenberater tricksen müssen, denkt Schmidt.

Also entschloss er sich 2007, nachdem das Landgericht seine Klage zurückwiesen hatte, weiterzumachen. Am 15. Juli 2009 bekam er schließlich beim BGH Recht. Seither fordert die Verbraucherzentrale Berlin, dass die Gasag mehr als 300 000 Kunden das Geld zurückzahlt, das sie in den Tariferhöhungen von Oktober 2006 und Januar 2007 zusätzlich eingenommen hat. Die Gasag weist das zurück mit dem Argument, dass die Klausel vielleicht falsch war, die Preiserhöhung aber völlig legitim und angemessen. Sie will Schmidt auch weiter kein Geld erstatten. "Ich werde jetzt Klage einreichen müssen", sagt der. "Und notfalls gehen wir eben wieder bis nach Karlsruhe."

* Name von der Redaktion geändert.

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