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Wirtschaft: Der Widerstand der Rentner

Die Belastungen nehmen zu. Ob zu Recht, das wollen viele Ruheständler gerichtlich geklärt wissen

Die Rentenversicherer stellen sich auf einen heißen Sommer ein. Denn im Juli kommt der nächste Rentenschock. Dann nagt auch noch die Gesundheitsreform an der Rente. Weil sich ab dem 1.Juli Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger aus der paritätischen Finanzierung von Zahnersatz und Krankengeld zurückziehen, zahlen Arbeitnehmer und Rentner mehr: Allein durch die Gesundheitsreform werden sie mit 0,45 Beitragspunkten zusätzlich belastet.

ZUSCHLAG FÜR KINDERLOSE

Für viele ist das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Denn schon seit Jahren nehmen die Belastungen stetig zu. Bereits seit April vergangenen Jahres zahlen die Rentner ihre Pflegeversicherung komplett allein, seit diesem Jahr müssen kinderlose Ruheständler einen weiteren Zuschlag von 0,25 Beitragspunkten an die gesetzliche Pflegeversicherung zahlen.

NULLRUNDEN

Zudem sind Rentenerhöhungen durch die neue Rentenformel in ferne Zukunft gerückt. Da die wachsende Belastung der Erwerbstätigen durch die private Vorsorge („Riester-Faktor“) und die zunehmende Überalterung der Gesellschaft in die Rentenformel eingearbeitet worden sind („Nachhaltigkeitsfaktor“), müssen sich die Senioren jetzt im zweiten Jahr in Folge mit einer Nullrunde begnügen. Eine Trendwende ist angesichts sinkender Einkommen der Arbeitnehmer nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Stimmen, die für das kommende Jahr sogar eine Rentenkürzung fordern, werden lauter und nachdrücklicher.

WIDERSPRÜCHE

Kein Wunder, dass viele Rentner in den Widerstand gehen und Widerspruch gegen ihre Rentenbescheide einlegen. Mehr als 2000 Widersprüche hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) allein gegen den neuen Pflegezuschlag für Kinderlose bekommen, mit einer weit größeren Zahl von Rechtsbehelfen rechnet man bei Deutschlands größtem Rentenversicherungsträger für diesen Sommer, wenn die Mehrbelastung für die Krankenversicherung fällig wird. Dabei hatte die BfA bereits im vergangenen Jahr gut zu tun. Mehr als 180000 Widersprüche wurden 2004 erledigt. Die Versicherten konnten sich im Versicherungs- und Rentenbereich in rund 35 Prozent der Fälle durchsetzen, bei Auseinandersetzungen über Rehabilitationsmaßnahmen lag die Erfolgsquote bei mehr als 40 Prozent, berichtet BfA-Sprecher Stefan Braatz.

MUSTERVERFAHREN

Zahlreiche Verfahren sind jedoch noch offen. Denn in vielen Fällen haben die Rentenversicherungsträger und die Sozialverbände so genannte Musterverfahren beschlossen. Dabei werden einige exemplarische Fälle ausgesucht, die vor den Gerichten geklärt werden. Alle anderen Einsprüche ruhen, solange die Verfahren noch in der Schwebe sind.

Laufende Musterverfahren vor den Sozialgerichten betreffen zum Beispiel die Frage, ob die Rentner zu Recht mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag belastet worden sind. Letztlich, so glauben Experten, wird sich das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigen müssen. Auch beim Streit über den Pflegezuschlag für Kinderlose sollen Musterstreitverfahren durchgeführt werden, die Gespräche mit den Sozialverbänden sind aber noch nicht abgeschlossen, heißt es bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.

Sollten die Versicherten in den Musterverfahren gewinnen, profitieren davon grundsätzlich auch die Betroffenen, die nicht geklagt hatten. Voraussetzung ist: Sie müssen zumindest Widerspruch eingelegt haben, um berücksichtigt zu werden. Wer gar nicht reagiert hat, kommt nur dann in den Genuss von möglichen Siegen in den Musterprozessen, wenn etwa das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu einer Änderung von Gesetzen zwingt.

KRANKENKASSEN

Widersprüche gibt es auch bei den Krankenkassen. Rund 6500 Widersprüche waren es im vergangenen Jahr allein bei der Barmer Ersatzkasse, rund ein Drittel davon betraf die gesetzliche Pflegeversicherung. In mehr als 1200 Fällen gab der Widerspruchsausschuss, der mehrheitlich aus Vertretern der Versicherten besteht, den Kunden Recht – das ergibt eine Erfolgsrate von rund 18 Prozent.

Besonders viel Arbeit bekamen die Krankenkassen im vergangenen Jahr. Denn seit dem 1.Januar 2004 müssen Betriebsrentner auf ihre Zusatzrenten volle Krankenkassenbeiträge zahlen. Das spülte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im vergangenen Jahr zwei Milliarden Euro in die Kassen – damit haben die Betriebsrentner die Hälfte des Gesamtüberschusses in der GKV mit ihren höheren Beiträgen finanziert. Ob zu Recht oder nicht, ist noch offen. Die bisherigen Verfahren vor den Sozialgerichten waren nicht sehr ermutigend. Doch neben den Einzelklagen von Betriebsrentnern gibt es auch in diesem Bereich Musterstreitverfahren, und die laufen noch. Bis man Gewissheit haben wird, wird noch einige Zeit vergehen.

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