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Wirtschaft: Die Qual der Wahl

2007 streben ähnlich viele Firmen an die Börse wie im Vorjahr. Doch die Anleger sollten genau hinsehen

Der Boom bei den Börsengängen wird in Deutschland voraussichtlich auch 2007 anhalten. Nachdem sich die Zahl der Unternehmen, die den Schritt an die Börse gemacht haben, im vergangenen Jahr verdreifacht hat, gehen Experten für das laufende Jahr von einem gleichbleibend hohen Niveau aus.

2006 gab es nach Statistiken der Deutschen Börse 74 Neuemissionen, 35 davon im amtlichen und geregelten Markt. In diesem Segment rechnet Eberhard Dilger, Leiter des Aktienemissionsgeschäfts bei der Commerzbank, auch 2007 mit 30 bis 40 Börsengängen. „Wenn die Märkte freundlich bleiben erwarte ich sogar etwas mehr“, sagt Dilger. Auch andere Banken gehen von einer leichten Steigerung aus. Die amerikanische Investmentbank Morgan Stanley rechnet mit 20 bis 30 größeren Börsengängen mit einem Volumen von mehr als 100 Millionen Euro.

Die beiden ersten Börsengänge des Jahres waren allerdings von kleinerem Kaliber: Die PC-Zubehör-Firma Anycom Technologies und der Hersteller von elektronischen Studentenausweisen, Intercard, legten im schwach regulierten Entry Standard der Deutschen Börse ordentliche Debüts hin.

Unter den vielen Börsengängen des vergangenen Jahres waren nicht alle erfolgreich. „2006 war ein durchwachsenes Jahr“, meint deshalb Florian Weber, Vorstand der Wertpapierhandelsbank DKM. Bei einigen neuen Aktien hätten die Qualität des dahinterstehenden Geschäftsmodells und die Kursentwicklung zu wünschen übrig gelassen. „Das Jahr hat gezeigt, dass die Anleger nicht alles zeichnen, nur weil die Börse gut läuft“, sagt Weber. Die Investoren schauten sich die Kandidaten genauer an. Dieser Trend werde sich auch 2007 fortsetzen.

„Es wird mehr differenziert“, sagt auch Eberhard Dilger. „Die Anleger schauen stärker auf das Unternehmen selbst und nicht darauf, ob es einer bestimmten Branche angehört.“ Dilger meint aber auch, der Markt sei „reifer“ geworden. „Obwohl im vergangenen Jahr in einigen Fällen die Zeichnungsfristen verlängert oder der Preis gesenkt werden mussten, haben die Börsengänge meist trotzdem noch funktioniert.“ Zudem würden nicht mehr alle Preise am oberen Ende der Zeichnungsspanne festgesetzt.

Für die Anleger bedeutet die neue Fülle an Investitionsmöglichkeiten zwar mehr Auswahl, aber auch mehr Risiken. Experten raten deshalb, sich das Geschäftsmodell der einzelnen Unternehmen genau anzusehen. „Man sollte darauf achten, ob das Unternehmen schon gezeigt hat, dass es Geld verdienen kann“, rät Aktienhändler Weber. Auch die Frage, wem die Einnahmen aus dem Börsengang zugutekommen, ist nach Meinung von Aktionärsschützern ein wichtiges Kriterium. Wenn mehr als die Hälfte des Erlöses an die Alteigentümer gehe, entstehe der Eindruck, dass diese vor allem Kasse machen wollten, warnt die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK).

Den größten Börsengang des laufenden Jahres könnte die RAG aus Essen hinlegen. Konzernchef Werner Müller will den „weißen Bereich“ an den Kapitalmarkt bringen. Dazu gehören der Chemiekonzern Degussa, der Stromerzeuger und Kraftwerksbauer Steag sowie die RAG-Immobilien. Die Zustimmung der Politik steht aber noch aus.

Ansonsten erwarten die Experten einen bunten Branchenmix. „Interessante Neuemissionen sind zum Beispiel auf dem Immobiliensektor und bei den erneuerbaren Energien zu erwarten“, sagt Julie Teigland, Partnerin bei der Unternehmensberatung Ernst & Young. Ein wichtiger Treiber könne auch das Bestreben von Finanzinvestoren sein, ihre Beteiligung an die Börse zu bringen. Ein Beispiel dafür ist der britische Investor Terra Firma, der Deutschlands größten Vermieter, die Deutsche Annington, an die Börse bringen will. Weitere prominente Börsenkandidaten sind die Modekette New Yorker und der kriselnde Versandlhändler Neckermann.de, den der Mutterkonzern Karstadt-Quelle im dritten Quartal auf den Markt bringen möchte.

Auch zwei Berliner Unternehmen haben ihren Gang aufs Parkett für 2007 angekündigt: Der Biodieselhersteller Ecodasa ist schon spät dran. Das Unternehmen aus Reinickendorf wollte eigentlich bereits im vergangenen Jahr an die Börse. Die Marketingfirma Zanox.de hat für ihren Start die zweite Jahreshälfte 2007 angepeilt. Man wolle mit dem Börsengang einen dreistelligen Millionenbetrag einnehmen, sagte ein Unternehmenssprecher.

Wie erfolgreich die Neuemissionen des Jahres 2007 werden, hängt maßgeblich vom allgemeinen Börsenumfeld ab. Die Aktienexperten der großen Banken halten sehr unterschiedliche Prognosen parat. Während etwa die Postbank für Ende 2007 mit einem Dax-Stand von 7400 Punkten rechnet, geht HSBC Trinkaus & Burkhardt von 6450 Punkten aus. Die Mehrheit ist allerdings vorsichtig optimistisch: „Es geht weiter nach oben, aber nicht mehr mit der Dynamik wie im vergangenen Jahr“, sagt Commerzbank-Experte Dilger. „Die Bewertungen sind noch moderat und lassen Spielraum nach oben.“ Das gesamtwirtschaftliche Umfeld sei in Ordnung, und auch bei den Zinsen sei keine dramatische Entwicklung zu erwarten. Aktienhändler Weber rechnet im Laufe des Jahres mit schwächeren Börsenphasen. „Es gibt aber einen insgesamt positiven Unterton.“

Stefan Kaiser

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