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Erbrechtsreform: In der Pflicht

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will das Pflichtteilsrecht modernisieren, abschaffen kann sie es nicht. Wird es größere Freiheiten für Erblasser geben?

Der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Höhmann kennt diese Frage nur zu gut. „Bei fast jedem Testament spielt die Überlegung, ob man den Pflichtteil entziehen kann, eine Rolle“, berichtet der Erbrechtsexperte. Oft stecken dahinter nicht Hass, Groll oder Enttäuschung über den Lebenswandel der Kinder, sondern viel profanere Gründe. „Der Ehepartner soll nach dem Tod nicht mit Pflichtteilsansprüchen der Kinder belastet werden“, berichtet Höhmann. Oder der Erblasser hat sich mit seinen Kindern auseinandergelebt und sieht nicht ein, warum er sie nach seinem Tod noch unterstützen soll. Schwierig sind auch Patchwork-Familien. Wenn der Mann vier Kinder in die Ehe einbringt und die Frau nur eines, muss das bisherige Einzelkind plötzlich mit den anderen teilen.

An dieser Misere wird auch das neue Pflichtteilsrecht nichts ändern. Im März hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) einen Entwurf ihres Hauses für eine Modernisierung des über 100 Jahre alten Rechts vorgelegt. Noch im Herbst soll sich das Kabinett mit dem Thema befassen, Anfang 2009 könnte das neue Gesetz in Kraft treten, sagt ein Ministeriumssprecher.

Mit ihrer Reform will Zypries die einschlägigen Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) modernisieren. Vorschriften sollen vereinheitlicht werden, Erblasser sollen künftig größere Freiheiten haben, über ihr Vermögen zu verfügen. Dass die Reform dennoch nicht der ganz große Wurf werden kann, liegt am Bundesverfassungsgericht. Das hatte im Jahr 2005 entschieden, dass der Pflichtteil Verfassungsrang hat. „Der Spielraum des Gesetzgebers ist beschränkt“, sagt Ulrich Schellenberg, Rechtsanwalt und Notar in Berlin. „Eine völlige Abschaffung des Pflichtteils oder eine deutliche Reduzierung der Pflichtteilsquote sind nach diesem Urteil nicht möglich.“

ENTZUG DES PFLICHTTEILS

Während Erblasser ihre Angehörigen ohne Grund enterben können, ist der Entzug des Pflichtteilsrechts schwierig. Das BGB will die familiäre Bindung schützen und enthält daher einen festen Katalog von Gründen. So kann nach bisherigem Recht der Pflichtteil entzogen werden, wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser, dessen Ehegatten oder einem Abkömmling des Erblassers nach dem Leben trachtet, er den Erblasser oder dessen Ehegatten vorsätzlich körperlich misshandelt, sich eines Verbrechens gegen den Erblasser oder dessen Ehegatten schuldig macht, die Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser verletzt, oder wenn ein Abkömmling einen „ehrlosen und unsittlichen“ Lebenswandel gegen den Willen des Erblassers führt.

Als das BGB 1896 in Kraft trat, reichten wechselnde Herrenbekanntschaften, um Frauen einen „unsittlichen“ Lebenswandel vorzuwerfen. Lange Zeit verpönt war auch Homosexualität. Ministerin Zypries will jetzt mit all dem Schluss machen. Der „ehrlose und unsittliche Lebenswandel“ soll gestrichen werden. Stattdessen soll der Pflichtteil künftig dann entzogen werden können, wenn der Pflichtteilsberechtigte zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden ist.

VERZICHT PER VERTRAG

Mit abenteuerlichen Konstruktionen versuchen einige, dennoch um den Pflichtteil herumzukommen. Als Insidertipps gelten Adoptionen, sogar der Wechsel der Staatsbürgerschaft wird gelegentlich empfohlen. Einfacher ist eine vertragliche Vereinbarung beim Notar, in der der Pflichtteilsberechtigte auf seinen Pflichtteil verzichtet. Meist geschieht das gegen eine Barabfindung.

VORGEZOGENE SCHENKUNG

Wenn Erblasser Vermögen innerhalb von zehn Jahren vor ihrem Tod verschenken, wird dessen Wert bisher dem Nachlass zugerechnet (siehe Kasten). „Der Erbe muss das Geschenk notfalls vom Beschenkten zurückfordern“, warnt Notar Schellenberg. Die Reform macht jetzt mit dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ Schluss. Künftig soll es statt der 10-Jahresfrist eine gleitende Frist geben, in der jedes Jahr ein Zehntel des Wertes pflichtteilsfrei wird. Ein Geschenk im Wert von 100 000 Euro wäre also nach einem Jahr noch mit 90 Prozent oder 90 000 Euro zu berücksichtigen, nach neun Jahren nur noch mit 10 000 Euro. „Egal in welchem Alter, die lebzeitige Nachlassplanung würde sich immer lohnen“, sagt Anwalt Höhmann. Er rechnet mit einer Rückwirkung des Gesetzes und rät dazu, schon jetzt mit der Nachlassplanung zu beginnen, um keine Zeit und keine Prozente zu verschenken.

STUNDUNG

Weitere wichtige Verbesserung: Auch Stundungen werden künftig leichter. Das Problem: Wenn das Erbe im wesentlichen aus einer Immobilie oder einem Unternehmen besteht, müsste der Betrieb oder das Grundstück verkauft werden, um die Pflichtteilsberechtigten auszuzahlen. Das ist misslich. Daher gilt bisher schon, dass Kinder und Ehegatten auf einer Stundung der Pflichtteilsansprüche bestehen können, um nicht gezwungen zu werden, ihr Familienheim zu verscherbeln. „Künftig soll das für alle Erben gelten“, berichtet Erbrechtsexperte Schellenberg.

PFLEGE

Außerhalb des Pflichtteilrechts sieht der Entwurf noch eine weitere Veränderung vor. Wer einen Angehörigen zu Hause pflegt, soll dafür künftig besser entlohnt werden. Heute gilt: Hat der Erblasser im Testament keine Verfügungen zugunsten des pflegenden Angehörigen getroffen, kann dieser nur dann Ausgleichsansprüche geltend machen, wenn er wegen der Pflege seinen Job an den Nagel gehängt hat. Künftig sollen alle Angehörigen, die einen Erblasser gepflegt haben, einen solchen Ausgleichsanspruch bekommen, auch wenn sie vorher keinen Job hatten oder die Pflege neben einer Teilzeitstelle betrieben haben. Sie können das, was ihre Pflegeleistung wert wäre, vorab vom Erbe abziehen.

Maßstab ist die Höhe des Pflegegeldes für pflegende Angehörige, das je nach Pflegestufe zwischen 205 und 665 Euro im Monat beträgt. Beispiel: Ein Vater hat eine Tochter und einen Sohn. Die Tochter pflegt den Vater und könnte dafür ein Pflegegeld von 20 000 Euro verlangen. Das Erbe beträgt 100 000 Euro. Davon werden die 20 000 Euro zugunsten der Tochter abgezogen. Das Erbe liegt jetzt nur noch bei 80 000 Euro.

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