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Ernährung: Bio ist für die anderen

Die Deutschen wollen gesundheitsbewusst sein, ernähren sich aber schlecht – daran verdient die Industrie.

Berlin - Die Deutschen träumen von gesundem Essen, futtern stattdessen aus Zeitgründen und Disziplinlosigkeit aber immer mehr Fertigkost und werden dabei immer dicker. Das ist, grob zusammengefasst, Ergebnis der Ernährungsstudie, die der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé am Freitag auf der Grünen Woche in Berlin vorgestellt hat. „85 Prozent der Bevölkerung ernähren sich heute anders, als sie möchten und es für richtig halten“, sagte Renate Köcher, Chefin des Instituts für Demos kopie in Allensbach, die für die Studie rund 4000 Deutsche befragt hatte.

Statt Möhren und Salat zu knabbern, greifen viele am Ende doch zu Fertigpizza und Dosensuppe. Das Ergebnis ist unübersehbar. „Rund die Hälfte der Bevölkerung hat Übergewicht, ein Achtel sogar starkes Übergewicht“, sagt Köcher.

Von der Diskrepanz zwischen Wollen und Tun leben Konzerne wie Nestlé, Unilever oder Kraft Foods sehr gut. Der Markt für bequemes, schnell zuzubereitendes Essen ist in Deutschland seit 2002 um fast 40 Prozent gewachsen, wie die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung ermittelt hat. 30 Prozent der Deutschen kaufen Studien zufolge mindestens einmal im Monat Fertiggerichte. Besonders beliebt ist Tiefkühlkost mit einem Marktvolumen von 30,5 Milliarden Euro. Starkes Wachstum verzeichnen Hersteller und Handel auch bei Chilled Food („gekühltem Essen“) wie frischer Pasta oder Salaten. Das steigende Gesundheitsbewusstsein und wohl auch das schlechte Gewissen führen aber gleichzeitig dazu, dass auch die Nachfrage nach Lebensmitteln mit Zusatznutzen (wie probiotischem Joghurt oder ACE-Säften) sowie fett- und kalorienreduzierten Produkten wächst.

„Wir haben einen Trend zu bequemem Essen“, sagt Gerhard Berssenbrügge, Vorstandschef von Nestlé Deutschland. „Das liegt daran, dass sich unser Verhalten verändert hat, wesentlich mehr Frauen arbeiten als früher.“ Auch deshalb und weil die Menschen immer mobiler werden, hätten sich die typischen Tagesabläufe verschoben, immer weniger Menschen hätten regelmäßige Essenszeiten. „Die Ernährung ist ein Spiegel der Gesellschaft“, meint Allensbach-Chefin Köcher.

Der Studie zufolge gibt ein Viertel der Befragten an, zu wenig Zeit zum Essen zu haben. Jeder dritte Berufstätige kennt demnach keine festen Essenszeiten mehr und isst nur noch unregelmäßig.

Allerdings gibt es nicht nur zwischen den sozialen Schichten, sondern auch zwischen den Geschlechtern große Unterschiede im Essverhalten. „Frauen gehen mit der Ernährung viel bewusster um als Männer“, sagt Köcher. 57 Prozent der Frauen, aber nur 34 Prozent der Männer beschäftigen sich intensiv mit der eigenen Ernährung, Frauen greifen auch noch sehr viel häufiger zum Kochlöffel. Größter Problemfall – aus Ernährungssicht – sind männliche Singles. Zu 63 Prozent dächten sie „nicht sonderlich viel“ darüber nach, was ihnen in den Magen kommt, zeigt die Studie. Und auch sonst kocht die Mehrzahl aller berufstätigen Singles, wenn überhaupt, nur noch am Wochenende.

Das Unbehagen darüber ist allerdings groß. „Der Großteil der Bevölkerung ist mit seiner Ernährung unzufrieden“, sagt Meinungsforscherin Köcher. Denn während die Esssitten immer mehr verkommen, steigt das Gesundheitsbewusstsein – auch mit zunehmendem Alter – an. „Die Deutschen sind 2008 deutlich gesundheitsbewusster als früher“, konstatiert Köcher. Allein, der Wille zur Umsetzung fehlt: Zwar empfinden sich 75 Prozent der Männer und 59 Prozent der Frauen als zu dick; abnehmen wollen aber nur 40 Prozent. Viele haben offenbar kapituliert: Vor 20 Jahren lag der Anteil der Diät willigen noch bei 45 Prozent.

Maren Peters

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