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Wirtschaft: Es darf ein bisschen mehr sein

Ab dem nächsten Jahr gilt das neue Versicherungsrecht. Lebensversicherer müssen mehr ausschütten

Versicherungskunden bekommen ab dem nächsten Jahr mehr Rechte. Das sieht die vom Bundestag am vergangenen Donnerstag beschlossene Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) vor. Nach jahrelangem Hin und Her und erbitterten Diskussionen zwischen Verbraucherschützern und Vertretern der Versicherungswirtschaft ist jetzt der Weg frei für die Reform des Versicherungsrechts.

MACHTWORT AUS KARLSRUHE

Dass die Regierung das fast 100 Jahre alte VVG entrümpelt hat, liegt nicht zuletzt an der Rechtsprechung. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Bundesgerichtshof hatten in höchstrichterlichen Urteilen bemängelt, dass Lebensversicherungskunden von den Versicherern benachteiligt werden. Das Verfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber aufgetragen, bis zum 1. Januar 2008 neue gesetzliche Regelungen zu verabschieden. Das ist jetzt geschehen.

Das neue VVG tritt am 1. Januar 2008 für alle Verträge in Kraft, die dann neu geschlossen werden. Bereits laufende Policen werden noch ein Jahr lang nach den alten Regeln behandelt, für sie gilt das neue Recht erst ab dem 1. Januar 2009. Einen Wermutstropfen gibt es für die Kunden, die bereits eine Lebensversicherung haben und sie vorzeitig kündigen wollen. Die neuen verbraucherfreundlichen Stornoregelungen finden auf Altverträge keine Anwendung.

Das neue Gesetz enthält zahlreiche allgemeine Regelungen, die das Versicherungsverhältnis betreffen. Besonders betroffen sind jedoch die Lebensversicherungen.

GEWINNE AUSSCHÜTTEN

Nach dem neuen VVG können Verbraucher künftig auf höhere Gewinne aus ihrer Lebensversicherung hoffen. Denn die Versicherer müssen künftig einen großen Teil ihrer stillen Reserven an die Kunden ausschütten.

Stille Reserven. Sie entstehen, wenn die Versicherer in ihren Büchern Aktien, Wertpapiere oder Immobilien haben, die im Wert steigen. Das Bundesverfassungsgericht hatte vor zwei Jahren entschieden, dass die Kunden an dieser Wertsteigerung beteiligt werden müssen, weil die Investments mit ihren Prämien finanziert worden sind. Die Versicherer hatten sich vehement dagegen gewehrt, weil sie die stillen Reserven als Manövriermasse für schlechte Zeiten – Einbrüche am Aktienmarkt, steigende Zinsen bei festverzinslichen Wertpapieren – behalten wollten. Das neue Gesetz enthält einen Kompromiss: Die Versicherer müssen die stillen Reserven offenlegen und die Versicherten jährlich über den auf sie entfallenden Teil unterrichten. Die Hälfte der stillen Reserven, die durch die Beiträge des Versicherungsnehmers entstanden sind, müssen dem Kunden ausgezahlt werden – allerdings erst bei Beendigung des Vertrags. Das kann nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit oder nach Kündigung geschehen. Entstehen in einem Jahr keine stillen Reserven, sondern stille Lasten, bekommt der Verbraucher nichts. Wie viel die Beteiligung an den stillen Reserven ausmacht, hängt von den Finanzmärkten und der Laufzeit des Vertrags ab. „Das dürfte von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich sein“, sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten. Er schätzt, dass die Ausschüttung der stillen Reserven die Gesamtüberschussbeteiligung um 0,5 Prozentpunkte erhöhen könnte.

KÜNDIGUNG

Von dem neuen Gesetz profitieren werden auch die Verbraucher, die ihre Lebensversicherung in den ersten Jahren kündigen. Weil die Versicherer mit den ersten Prämien die Vertreterprovisionen bezahlen, bekommen Verbraucher bisher nur einen Teil ihres Geldes oder gar nichts zurück. Der Bundesgerichtshof hatte das in seinem Grundsatzurteil aus dem Jahr 2005 gerügt. Das Urteil gilt jedoch nur für Verträge, die zwischen 1994 und 2001 geschlossen worden sind. Nach dem neuen VVG müssen jetzt alle Versicherten, die eine Lebensversicherung nach dem 1. Januar 2008 abschließen und diese vorzeitig kündigen, einen Teil ihrer Beiträge zurückbekommen. Wie viel das ist, lässt das Gesetz offen. Versicherungsberater Rudnik geht jedoch von 40 bis 50 Prozent der eingezahlten Beiträge aus.

Nicht alle profitieren. Was verbraucherfreundlich klingt, ist nicht für alle gut. Zwar bekommen die Kunden, die früh kündigen, mehr zurück. Aber: „Wer nach acht Jahren kündigt oder später, bekommt künftig weniger“, warnt Rudnik.

KOSTEN

Verbraucher sollen erfahren, wie viel Geld an den Versicherungsvertreter geht. Beim Abschluss einer Lebens- oder einer privaten Krankenversicherung müssen künftig die Abschlusskosten in Euro und Cent angegeben werden. Verbraucherschützer fürchten, dass die Regelung am Problem vorbeigeht. Vertreter könnten den Kunden anbieten, ihnen einen Teil der Provision abzugeben, meint Rudnik. Das sei zwar verboten, werde aber häufig gemacht. Das Problem: Angesichts des vermeintlich großzügigen Angebots würden die Kunden darauf verzichten, Angebote verschiedener Versicherungen zu vergleichen. Und: Wichtiger als die Angabe der Provision ist aus Sicht des Verbraucherschützers, den Kunden zu sagen, wie viel von ihrem Geld überhaupt angelegt wird. Denn nur auf das Sparkapital werden die Überschussbeteiligungen ausgezahlt.

INFORMATION

Für alle Versicherungen gilt: Vor Vertragsabschluss müssen die Kunden alle Unterlagen rund um ihre Police ausgehändigt bekommen. Zudem muss der Vertreter sie im Beratungsgespräch ausführlich informieren. Er muss sagen, wann die Versicherung zahlt und wann sie nicht haftet. Das Beratungsgespräch muss dokumentiert werden. Aber: Das Gesetz enthält einen Passus, nach dem der Kunde auf die Beratung verzichten kann. Diese Hintertür ist nach Meinung von Verbraucherschützern eine Steilvorlage für unseriöse Berater.

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