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Wirtschaft: Goldener Oktober

Der berüchtigte Börsenmonat ist nicht so schlimm wie sein Ruf – in diesem Jahr könnte er das beweisen

Das Einzige, worauf man sich an der Börse wirklich verlassen kann, ist die Ungewissheit. Das wusste schon Mark Twain, und auch der verstorbene Börsenaltmeister André Kostolany hat diesen Grundsatz in vielen seiner Börsenweisheiten verpackt. Das gilt besonders für den Börsenherbst: Der „schwarze September“ und der Crash-Monat Oktober machen vielen Anlegern Angst vor Kursverlusten. Doch was ist dran an der alljährlichen Verdüsterung? Nur eine selbsterfüllende Prophezeiung? Oder reine Psychologie, von der die Börsenkurse ebenso leben wie andere handfeste Daten aus der Wirtschaft.

Weil man die Zukunft nicht voraussehen kann, klammern sich viele Anleger gerne an die Vergangenheit. Statistik und Charttechnik sollen die Ungewissheit verkleinern. Und tatsächlich: Statistisch betrachtet ist der September der schlechteste Börsenmonat mit durchschnittlich fast drei Prozent Verlust. Für den Oktober gilt das schon nicht mehr, obwohl er unter Aktienmarktteilnehmern als der Monat gilt, der oft von heftigen Kursverlusten begleitet wird. Der wohl berühmteste Aktiencrash der Geschichte ereignete sich im Oktober 1929. Im Oktober 1987 wiederholte sich die Geschichte. In beiden Jahren verlor die amerikanische Leitbörse mehr als 20 Prozent. Der Oktober anderer Jahre zeigte sich ebenfalls von keiner guten Seite.

Die Kursverluste vergangener Oktober sind einfach zu dramatisch, als dass man sie ignorieren könnte. Aber: Statistisch zählt der Oktober – nimmt man die Jahre seit Einführung der offiziellen Dax-Rechnung im Jahr 1988 – zusammen mit November und Dezember zu den besten Monaten. Die Aktien stiegen im Durchschnitt um drei Prozent.

Kostolany hat die eher handels- und damit gewinnschwachen Sommermonate einmal so beschrieben: „Sell in May and go away, don’t forget to remember, come back in September.“ Also: Verkaufe Aktien im Mai, aber vergiss nicht, im September wiederzukommen. Keine Angst also vor September und Oktober. In diesem Jahr wären Anleger goldrichtig mit diesem Tipp gefahren. Doch im vergangenen Jahr hätte man sich damit die Finger verbrannt. Was kann man daraus folgern? Jede Börsenweisheit stimmt, genauso wie ihr Gegenteil.

Dass jeder September und Oktober an der Börse anders ist, zeigt sich, wenn man von der Durchschnittsbetrachtung abweicht und sich der Entwicklung in den Einzeljahren zuwendet. Dann wird klar, dass externe Faktoren die Kurse erheblich beeinflussen. Das hat der Irakkrieg 1990 mit einem Dax-Rückgang von 18 Prozent ebenso gezeigt wie der September 2001 mit rund 16 Prozent Kursverlust nach den Anschlägen von New York. Noch heftiger reagierte die Börse im September 2002 mit über 25 Prozent Rückgang, nachdem der US-Präsident den Einmarsch im Irak angekündigt hatte. Mit solchen Ereignissen rechnet kein Charttechniker, und auch Fundamentalisten, die nur auf die Wertentwicklung der Unternehmen achten, können so etwas nicht in ihre Analysen einbeziehen.

Was gilt für diesen Herbst? Folgt dem milden September ein goldener Oktober und danach die Jahresendrallye? In der Vergangenheit war ein überdurchschnittlicher September oft ein schlechtes Omen für den Oktober. Sanken die Aktienkurse im September um weniger als 2,6 Prozent oder stiegen sie sogar, dann folgte seit Anfang der sechziger Jahre ein Rückgang im Oktober. Andersherum folgten einem schwachen September oft Oktobergewinne. Das bestätigt auch Gertrud Traut. Die Chefvolkswirtin der Helaba gibt jedoch zu bedenken: „Das sind nur saisonale Muster, die ihre Ausnahme haben.“ Zum Beispiel die Jahre 1985 und 1988. „In beiden Jahren waren jeweils der September und der Oktober gut.“

In diesem Jahr müsste den Mustern nach ein dunkler Spätherbst folgen. „Ich würde mich nicht auf diese Regeln verlassen, sondern eher auf den übergeordneten Trend“, sagt Traut. „Ich bin für den Rest des Jahres optimistisch. Die Rahmenbedingungen sind gut.“ Vieles wird von der bevorstehenden Quartalsbilanzsaison abhängen, von der sich auch andere Analysten positive Nachrichten erwarten. Die Rechnung vieler Investoren, im September billig einzusteigen, ist in diesem Jahr zudem nicht aufgegangen. Deshalb müssen auch einige große Anleger nachziehen. Hinzu kommt das sogenannte „Window Dressing“. Institutionelle Investoren versuchen dabei, ihre Portfolios aufzupolieren. Fondsmanager kaufen zum Jahresende noch einmal Aktien nach, um die Kurse und damit die Wertentwicklung des eigenen Fonds positiv zu beeinflussen.

Die Vorzeichen für ein erfolgreiches Restjahr sind also gut: Der Ölpreis ist seit Juli um rund ein Fünftel gesunken, die Bewertung der deutschen Aktien ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von zwölf attraktiv, und die Stimmung in der Wirtschaft ist – gemessen am Ifo-Index – gut. Doch Vorsicht, würde Kostolany sagen: „Ist die Neuigkeit noch so gut, die Börse doch etwas anderes tut.“ Die Gefahr eines Rückfalls bleibt aktuell.

Vorsichtige Anleger sollten es deshalb mit Mark Twain halten: „Der September ist ein unberechenbarer Börsenmonat“, warnte der Autor. „ Die anderen unberechenbaren Börsenmonate sind April, Dezember, Juni, Januar, August, März, November, Mai, Februar, Juli und Oktober.“

Ingo Wolff

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