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Wirtschaft: Gut gelaufen

Die Deutschen haben das Wandern entdeckt – doch nicht alle Schuhe halten dicht und sind für Stock und Stein geeignet

Früher ging man wandern, heute walken, trekken oder hiken. Früher trugen Wanderer ein rotes Karohemd und Bergstiefel, die Blasen machten, heute tragen sie eine Gore-Tex-Jacke und Schuhe, die man auch zum Einkaufen anziehen kann.

Immer mehr Menschen zieht es rauf auf die Berge: 40 Millionen Deutsche gehen in diesem Jahr in ihrer Freizeit wandern – fünf Millionen mehr als noch vor einem Jahr, fanden die Meinungsforscher von Allensbach heraus. „Den Stadtmenschen reichen Parks und Alleen nicht mehr aus, sie möchten raus in die richtige Natur“, erklärt Rainer Brämer von der Forschungsgruppe Wandern der Uni Marburg.

Die neue Wanderslust macht auch Sportartikelherstellern viel Spaß. Mehr als zwölf Milliarden Euro geben Wanderer jährlich für ihr Hobby aus – davon 2,5 Milliarden Euro für Schuhe, Jacken und Hosen. Rechnet man Ausrüstung, Unterkunft und Anfahrt zusammen, kostet ein Kilometer Wandern 2,5 Euro. „Von einem Billigsport kann keine Rede sein“, sagt Brämer. Der Einkaufsverband Intersport geht davon aus, dass bereits ein Viertel der Umsätze im deutschen Sportfachhandel mit Outdoor-Ausrüstung erzielt wird. Auch hier bleibt nichts beim Alten: „Der langjährige Trend – weg vom schweren Bergschuh, hin zum leichten Wanderschuh – setzt sich in diesem Jahr fort“, sagt Dietmar Brandl vom Marktforschungsinstitut Sports Tracking Europe.

Sechzehn dieser neuen Leichtwanderschuhe hat die Stiftung Warentest untersucht. Diese Schuhe eignen sich für Forststraßen und Wanderwege, jedoch nicht fürs Hochgebirge. Sie sind etwa 500 Gramm schwer, reichen über den Knöchel, der Schaft ist weich, die Sohle biegsam. Im Handel heißen sie Hiking, All Terrain oder Allrounder. Getestet wurden Passform und Tragekomfort. Ob die Schuhe wasserdicht sind, haben die Tester nach der Bundeswehrmethode geprüft – die Schuhe wurden in einen Behälter mit Wasser gestellt, dann wurde ein fünf Kilometer langer Fußmarsch in sechs Zentimeter tiefem Wasser simuliert.Nicht alle hielten dicht, doch die Tester sind zufrieden: 13 Schuhe erhielten das Qualitätsurteil „gut“ – darunter auch billigere Modelle.

Das Aussehen der Schuhe wird immer wichtiger. „Der Wanderer möchte sich vom Jogger abgrenzen“, sagt Matthias Nierle von Adidas-Salomon. Das bestätigt auch Gabi Kleimz von Meindl. „Dank der frischen Optik eignen sich Leichtwanderschuhe auch für Freizeit und Reise.“ Früher sollten Wanderschuhe dezent aussehen, heute dürfen sie bunt sein. „2005 liegt Orange im Trend“, sagt Matthias Hatt von Lowa. In die Regale kommen Schuhe mit Sohlen, die sich dem Untergrund anpassen und leicht sind.

Ihre Kunden kennen die Hersteller sehr genau. 40 Prozent haben Abitur – das sind doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung. „Leute um die 40 möchten sich ein sportliches Image geben, etwas von Abenteuer“, sagt Gfk-Konsumexperte Stefan Brunner. Der Markt für Multifunktionsschuhe – dazu zählen die getesteten Modelle – wachse extrem. Das bestätigen auch die Hersteller. Lowa stellt jährlich 1,7 Millionen Paar Schuhe her – 1,1 Millionen davon sind leichte Wanderschuhe.

Im Durchschnitt legte jeder Wanderer bei einer Tour zehn bis 15 Kilometer zurück, mit einem Tempo von drei bis vier Kilometern pro Stunde, hat die Forschungsgruppe Wandern herausgefunden. In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Anteil der 20- bis 39-Jährigen unter den Wanderern verdoppelt. Im Frühtau zu Berge, in einer Gruppe – das war früher mal. „Der heutige Wanderer ist ein Individualist, der mit Freunden oder dem Partner loszieht“, sagt Wanderexperte Brämer. Der Genuss stehe im Vordergrund, nicht das „Kilometerfressen früherer Zeiten“. Auch längere Anfahrtswege sind kein Hindernis: Etwa zehn Milliarden Kilometer fahren die deutschen Wanderer jährlich mit dem Auto – für ein paar unbeschwerte Stunden in der Natur.

Gerald Drissner

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