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Wirtschaft: Jetzt geht’s rund

Urlaub nehmen, früher gehen oder im Betrieb Fußball gucken – wie Fans die WM überstehen können

Viele Arbeitnehmer werden bald ein bisschen früher aufstehen müssen. Wer rechtzeitig zu den Nachmittagsspielen der Fußball-WM zu Hause, im Biergarten oder gar im Stadion sein will, muss seinen Arbeitstag womöglich zeitiger beginnen als gewöhnlich. Zwar starten die meisten Spiele erst abends nach 18 Uhr, zahlreiche Begegnungen werden aber schon um 15 oder 16 Uhr angepfiffen, außerdem sendet auch das Fernsehen früher. Auch länger arbeiten hilft nicht aus der Misere: Denn nicht jeder darf die WM am Arbeitsplatz im Fernsehen, am Radio oder übers Internet verfolgen.

DRV: FRÜHER GEHEN

Besonders hart trifft es die Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung Bund, Ex-BfA. Nach der Hausordnung ist es den Rentenberechnern nicht gestattet, Fernseher in den Büros aufzustellen, auch das Internet ist keine Lösung. „Für unsere Mitarbeiter sind nur dienstlich benötigte Seiten freigeschaltet“, sagt DRV-Sprecher Stefan Braatz. Und das sind die Seiten anderer Rentenversicherungsträger, Krankenkassen oder Ministerien, nicht aber die von Sportagenturen oder Online-Diensten. Konsequenz: Wer die nachmittäglichen WM-Spiele live verfolgen will, muss im Rahmen der „serviceorientierten Arbeitszeit“ früher gehen.

BERLINER SENAT: KEINE ANWEISUNGEN

Andere Arbeitgeber sind weniger streng, auch im öffentlichen Dienst. „Es gibt keine Anweisung“, heißt es etwa bei der Berliner Senatsverwaltung für Inneres. Fernsehen oder die Spiele übers Internet anschauen geht zwar auch bei den Berliner Senatsbehörden nicht, Radio hören wird dagegen in aller Regel toleriert. Wichtigste Prämisse: Die Arbeit darf nicht leiden.

SIEMENS: FLEXIBLE LÖSUNGEN

Die Wirtschaft setzt auf flexible Lösungen. „Wer Fußball gucken will, wird Wege finden“, versichert Siemens-Sprecher Harald Prokosch. Wie das funktioniert, wird jeweils vor Ort entschieden, „flexibel“ und „informell“. Zwar werde es auch bei Siemens Bereiche geben, in denen die Arbeitsplätze aus betrieblichen Gründen WM-frei sind, für die betroffenen Arbeitnehmer soll es dann aber Ausweichangebote etwa in den Pausenräumen geben.

DEUTSCHE BANK: DER KUNDE GEHT VOR

Ob statt des Börsenfernsehens, das üblicherweise in den Schalterhallen oder im Beratungszimmer läuft, auf die Fußball-WM umgeschaltet wird, darf bei der Deutschen Bank jede Filiale für sich entscheiden. „Das bleibt den individuellen Bedürfnissen überlassen“, heißt es in der Frankfurter Konzernzentrale. Auch die Kunden haben ein Wörtchen mitzureden. Falls diese lieber Ballack, Ronaldinho oder Beckham statt des ntv-Börsenberichts sehen wollen, kann umgeschaltet werden. Wie sich die Bankmitarbeiter ansonsten untereinander abstimmen, wer früher kommt und wer eher geht, bleibt ihnen überlassen – unter einer Voraussetzung: „Zu jeder Zeit muss sichergestellt sein, dass die Kunden reibungslos bedient werden“, betont ein Sprecher der Deutschen Bank.

FERNSEHEN AM ARBEITSPLATZ

Arbeitsrechtler raten grundsätzlich zur Vorsicht: Wer bisher kein Gerät am Arbeitsplatz stehen hat, wird sich wohl auch zur WM keinen Fernseher und kein Radio ins Büro stellen dürfen. Es sei denn, der Arbeitgeber ist damit einverstanden. „Während der Arbeitszeit darf man grundsätzlich nicht seinen privaten Interessen nachgehen“, warnt Anja Mengel, Fachanwältin für Arbeitsrecht im Berliner Büro von Wilmer Hale. Wer sichergehen will, sollte seinen Chef vorher fragen oder den Betriebsrat bitten, eine allgemeine Klärung herbeizuführen.

Anders sieht die Sache aus, wenn man schon vor der Weltmeisterschaft mit Einverständnis des Arbeitgebers einen Fernseher oder ein Radio am Arbeitsplatz hatte. Dann, meint Mengel, könne man grundsätzlich davon ausgehen, dass Fernsehen oder Radiohören auch während der Weltmeisterschaft erlaubt sind. Allerdings darf der Chef auch etwas anderes bestimmen. Meint er, dass zwar leise Radiomusik dem Betriebsklima zuträglich, spannende Live-Reportagen aus dem Stadion aber der Konzentration abträglich sind, darf er nein sagen.

Übrigens: Läuft in der Bank oder beim Steuerberater im Regelfall das Börsenfernsehen oder ein anderer, mit der Arbeit verbundener Kanal, heißt das nicht, dass die Angestellten die freie Programmwahl haben. Will der Arbeitgeber, dass nur Wirtschaftssendungen laufen, und ist ein bestimmter Sender bereits fest eingestellt, können die Mitarbeiter nicht verlangen, dass zur WM umgeschaltet wird.

INTERNET

In vielen Unternehmen dürfen die Beschäftigten das Internet auch privat nutzen. In solchen Fällen ist es legitim, sich gelegentlich über den neuesten Spielstand zu informieren. Aber in Maßen. Auch dann darf man nicht dauernd auf den Bildschirm starren. Denn das wäre nichts anderes als Fernsehen am Arbeitsplatz. Konsequenz: Es gelten dann die oben geschilderten Einschränkungen.

KONTROLLEN

Wenn Arbeitnehmer auch privat im Internet surfen dürfen, sind die Kontrollmöglichkeiten des Arbeitgebers begrenzt. Das Surfen im Internet unterliegt dann nämlich dem Telekommunikationsgeheimnis. Nur wenn der Chef begründeten Anlass zum Misstrauen hat, weil der Mitarbeiter beispielsweise in der Vergangenheit bereits durch ausgiebige Internet-Nutzung aufgefallen ist, darf er gezielte Nachprüfungen anstellen. Erweitere Kontrollrechte können dem Arbeitgeber aber durch Vertrag oder Betriebsvereinbarung eingeräumt sein.

Anders als bei den Computerkontrollen ist der Arbeitgeber bei Kontrollgängen vor Ort völlig frei. „Der Arbeitgeber darf jederzeit kontrollieren, ob der Arbeitnehmer seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommt“, warnt Arbeitsrechtsexpertin Mengel. Stichproben im Büro oder in der Werkshalle liegen im Ermessen des Chefs. Trifft er dort auf fernsehende, Radio hörende oder surfende Angestellte, obwohl all das arbeitsvertraglich verboten ist, kann das für den Arbeitnehmer eine Abmahnung zur Folge haben.

URLAUB

Die sicherste Methode, ungestört Fußball zu gucken, ist Urlaub zu nehmen. Zwar sollte der Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz eigentlich zusammenhängend genommen werden, in den Betrieben ist es aber auch üblich, sich nur für einzelne Tage zu verabschieden. Das ist unproblematisch, so lange nicht alle Kollegen gleichzeitig frei haben wollen und die Arbeitsabläufe gestört werden. Sonst muss ausgewählt werden. Wobei Karteninhaber wahrscheinlich bessere Chancen haben als Couchpotatoes. „Wer eine Eintrittskarte fürs Spiel hat, dürfte eher verlangen können, frei zu haben, als der Kollege, der das Match nur zu Hause im Fernsehen anschauen will“, macht Anwältin Mengel Fußballfans Mut, die bereits viel Geld für ein Ticket ausgegeben haben.

ÜBERSTUNDEN ABBAUEN

Die eleganteste Lösung: Die Mitarbeiter bauen Überstunden ab und gehen auf Wunsch früher. Gibt es in dem Betrieb gleitende Arbeitszeit, steht es den Beschäftigten außerdem frei, innerhalb des geltenden Arbeitszeitrahmens früher zu kommen, um dann rechtzeitig zum Anpfiff die Arbeit zu beenden und früher zu gehen.

All das funktioniert jedoch nur so lange, wie nicht alle Mitarbeiter denselben Wunsch haben und ganze Abteilungen verwaisen. Kommt es zum Streit, darf der Chef nach den typischen Gleitzeitvereinbarungen entscheiden, wer früher gehen darf und wer bleiben muss. Der Selbstständigen-Verband BDS rät allerdings zu Großzügigkeit: „Zufriedene Mitarbeiter sind motivierte Mitarbeiter“ – und das weit über das WM-Turnier hinaus.

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