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Wirtschaft: „Kinder kriegen die Leute nicht von alleine“

Ex-Familienministerin Renate Schmidt: Familien brauchen viel Förderung / Mehr Betreuungsplätze, mehr Geld, mehr Zeit

Frau Schmidt, wie kann die Politik Familien stärker unterstützen?

Wir müssen einen guten Dreiklang hinbekommen. Familien brauchen eine gute Infrastruktur, also gute Betreuungsmöglichkeiten auch im öffentlichen Raum. Familien brauchen mehr Zeit für die Kinder, da sind vor allem die Arbeitgeber gefordert. Zum Dritten brauchen Familien zielgerichtete finanzielle Unterstützung, und zwar in jenen Phasen ihres Lebens, in denen sie es besonders nötig haben, also vor allem, wenn die Kinder noch klein sind. Man darf als Politiker nicht den Fehler machen, nur an einem Hebel zu drehen, wir müssen alle drei in Bewegung setzen.

Warum hat es Familienpolitik in Deutschland schwerer als in vergleichbaren europäischen Ländern?

Familienpolitik ist bei uns ein schwieriges Geschäft, weil es wegen der föderalen Strukturen unterschiedliche Zuständigkeiten gibt. Für die Infrastruktur sind im Wesentlichen die Kommunen und die Länder zuständig. Die finanziellen Leistungen kommen überwiegend, aber nicht allein vom Bund. Für ein besseres Zeitmanagement kann die Politik direkt nur wenig tun. Da ist die Wirtschaft gefordert, und die kommt ihrer Verantwortung zwar an manchen Stellen, aber noch nicht ausreichend nach. In einem Zentralstaat wie in Frankreich oder in einem Land mit starken Kommunen wie Schweden hat es Familienpolitik einfacher.

Hat die Politik in Zeiten knapper Kassen überhaupt noch Spielraum, Familien finanziell weiter zu entlasten?

Die Politik hat dann Spielraum, wenn sie den Mut findet, Prioritäten zu setzen, also wenn etwa eine Kommune entscheidet, eine neue Betreuungseinrichtung zu finanzieren statt einer neuen Straße. Wir haben im Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass wir alle familienpolitischen Leistungen darauf überprüfen, wie wirksam sie sind. Alle müssen auf den Prüfstand, denn es gibt auch Mitnahmeeffekte, das heißt, wir geben Geld aus, das Familien gar nicht weiter hilft. Wir wollen die Leistungen auch transparenter machen, damit Familien wissen, was ihnen tatsächlich zusteht. Heute kriegt derjenige mehr Geld, der sich im Dschungel der Zuständigkeiten am besten auskennt. Wenn wir die Leistungen überprüfen und neu ordnen, kann man möglicherweise mit den gleichen Mitteln mehr erreichen als bisher.

Welche Rolle spielt das Familien- und Mutterbild?

Bei uns hat viel zu lange die von Konrad Adenauer in die Welt gesetzte Illusion geherrscht, die lautet: Kinder kriegen die Leute von alleine. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben uns auf die veränderten Bedingungen viel zu spät eingestellt. Das liegt auch daran, dass in Deutschland leider noch immer ein ideologischer Machtkampf zwischen zwei Lagern ausgetragen wird. Noch immer verfolgen manche das Idealbild der Alleinverdienerfamilie, in der der Mann einen Beruf hat und die Frau ihre Erfüllung als erziehende Mutter findet. Dagegen steht die These, es sei besser für Kinder, wenn sie schon früh in öffentlichen Betreuungseinrichtungen lernen, mit anderen Kindern und Erwachsenen umzugehen.

Auf welche Seite sollte sich die Politik schlagen?

Auf gar keine. Es muss darum gehen, den Eltern die Wahlfreiheit zu ermöglichen, ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Man darf den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Deshalb ist es auch nicht akzeptabel, wenn das konservative Familienbild moderne Familienformen benachteiligen will.

Wie beurteilen Sie die Politik Ihrer Nachfolgerin im Ministeramt, Ursula von der Leyen (CDU)?

Mit der großen Linie bin ich sehr einverstanden. Die Grundzüge ihrer Politik haben SPD und Union gemeinsam im Koalitionsvertrag festgelegt, und ich war die Verhandlungsführerin unserer Seite. Es geht um den Dreiklang, von dem ich geredet habe. Die Betreuung muss weiter ausgebaut werden. Wenn bis zum Jahr 2008 nicht deutliche Fortschritte erreicht werden, wird die große Koalition einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz vom zweiten Lebensjahr an einführen. Wir wollen Wirtschaft und Gewerkschaften dazu bewegen, das Zeitmanagement zu verbessern. Schließlich verbessern wir auch die finanziellen Leistungen für Familien, denken Sie an die Absetzbarkeit von Betreuungskosten und die Einführung des Elterngeldes zum 1. Januar 2007.

Steht die Union geschlossen hinter dem modernen Familienbild, das Familienministerin Ursula von der Leyen verkörpert?

Das ist leider nicht so. Es gibt in der Union immer noch einen Traditionsflügel, der versucht, das Lebensmodell der Alleinverdienerfamilie allen aufzuoktroyieren. Das ist absurd, wenn man weiß, dass heute mehr als 70 Prozent aller Mütter erwerbstätig sein wollen und bessere Betreuungsmöglichkeiten brauchen. Es ist für Frau von der Leyen sicher keine einfache Aufgabe, gegen diesen Widerstand aus den eigenen Reihen dafür zu sorgen, dass auch ein anderes, modernes Familienbild als gleichwertig akzeptiert wird.

Die Fragen stellte Hans Monath

Renate Schmidt

sitzt für die SPD im Bundestag. Von Oktober 2002 bis November vergangenen Jahres war Renate Schmidt Bundesfamilienministerin im Kabinett Schröder.

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