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© Huber/Lubenow/pa, Montage: Sabine Wilms/Peter Krause

Lebensmittel: Verbrauchertäuschung à la carte

Käse ohne Milch, Zitronenkuchen ohne Zitronen – wie Kunden abgespeist werden.

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner steht eine harte Woche bevor. Am Donnerstag wird die Ministerin, die im Kabinett auch für Ernährung und Landwirtschaft zuständig ist, die Grüne Woche mit einem Rundgang eröffnen. Zwischen zehn und elf Uhr am Morgen wird die CSU-Politikerin Käsehäppchen, Schinkenstückchen und Schokolade probieren müssen. Das bunte Menü wird sie zwischendurch mit einem Schluck Wein, Bier, Milch oder Schnaps herunterspülen – die Grüne Woche ist eine harte Prüfung für Magen und Leber der Ministerin.

Doch zumindest weiß Ilse Aigner, auf was sie sich einlässt. Das unterscheidet sie von Millionen von Verbrauchern, die oft gar nicht ahnen, was in ihrem Einkaufswagen liegt oder womit die Pizza im Imbiss an der Ecke belegt ist.

Große Lebensmittelskandale hat es in Deutschland im vergangenen Jahr nicht gegeben. Verbraucher mussten nicht befürchten, nach dem Genuss von Steaks an BSE zu erkranken oder ihr Risiko, an Krebs zu erkranken, durch Nitrofen-belastete Eier zu erhöhen. Selbst Gammelfleisch, das zwar nicht krank macht, aber eklig ist, scheint derzeit nicht in Döner-Buden verarbeitet zu werden. Und selbst die Belastung von Obst und Gemüse mit Pestiziden hat abgenommen, sagt Silke Schwartau, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg.

Lebensmittelskandale sehen heute anders aus. „Die Verbraucher werden regelmäßig getäuscht“, kritisiert Foodwatch- Sprecher Martin Rücker. Das passiert im Supermarkt genauso wie im Restaurant. Auf langen Listen sammeln die Verbraucherschützer von Foodwatch und der Verbraucherzentrale Hamburg Fälle, in denen Verbraucher an der Nase herumgeführt werden (siehe Kasten). Die Crème de la Crème der Lebensmittelindustrie findet sich dort. Kraft Foods, Unilever, Dr. Oetker, Nestlé oder Ferrero – alle Großen sind dabei.

Beispiel Philadelphia. Für Liebhaber der mediterranen Küche bietet Kraft seit dem vergangenen Jahr die neue Sorte „Philadelphia alla Pesto verde & Tomate“ mit „sonnengereiften Tomaten“ an. Tatsächlich enthält die Frischkäsezubereitung gerade einmal 0,4 Prozent getrocknete Tomaten, das sind 0,7 Gramm pro Packung, kritisiert Foodwatch. Statt Pesto verwende Kraft zudem eine Basilikum-Schmelzkäse-Mischung. Kraft streitet das nicht ab. Die Bezeichnung „Alla Pesto verde und Tomate“ sei eine übliche Bezeichnung für ein Produkt mit einer bestimmten Geschmacksrichtung und bedeute „nach Pesto-Art“ oder „mit Pesto- Geschmack“, erklärt Kraft auf Anfrage. Der Tomatenanteil unterstreiche als Gewürz die mediterrane Geschmacksnote. „Zudem weisen wir alle Zutaten auf der Zutatenliste auf“, betont Kraft-Sprecherin Silke Trösch.

Die Zutatenlisten auf Fertigprodukten lesen sich oft wie Bausätze aus dem Chemiekasten. „In Fertiglebensmitteln steckt häufig kein einziges Gramm der abgebildeten Früchte, Nüsse oder Fleischsorten“, kritisiert die Verbraucherzentrale Hamburg. Stattdessen verwenden die Hersteller die deutlich billigeren Aromen. In der Europäischen Union sind rund 2700 Aromen erlaubt, alle Geschmacksrichtungen sind möglich. Das Problem: „Kaum ein Verbraucher weiß, was er wirklich isst“, kritisieren die Verbraucherschützer.

Zitronenkuchen ohne Zitronen, Vanilleeis ohne Vanille – das spart Kosten. Den annähernd gleichen Geschmack erreichen Anbieter, wenn sie teure Zutaten durch preiswerte Imitate ersetzen. Glibber-Schinken aus gepressten Fleischstückchen ist billiger als echter Kochschinken, Käseimitat aus Pflanzenfett kostet nur einen Bruchteil von echtem Käse. Kein Wunder, dass viele Pizzabäcker zum kostengünstigen Ersatz greifen.

„Verbraucher dürfen nicht getäuscht werden“, betont man im Verbraucherschutzministerium. Auch Hans-Michael Goldmann (FDP), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, fordert zumindest ein Mindestmaß an Aufrichtigkeit: „Wenn auf der Suppe eine Kuh abgebildet ist, muss zwar kein ganzes Rind drin sein, aber wenigstens etwas Fleisch.“

Doch obwohl das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb Verbrauchertäuschungen verbietet, tricksen viele Hersteller munter weiter. Der Grund: Es kann ihnen kaum etwas passieren. „Kein Verbraucher klagt, weil er sich den Corny-Riegel nach dem Bild auf der Verpackung leckerer vorgestellt hat und seine 1,45 Euro zurück will“, sagt Foodwatch-Sprecher Martin Rücker. Und auch die Abmahnungen der Verbraucherschutzverbände liefen ins Leere: „Dann ändern die Anbieter in ihrer Werbung ein Wort, und wir müssen wieder klagen“, kritisiert Rücker.

Verbraucherschützer fordern klare Kennzeichnungen. Sie wollen eine Nährwert-Ampel, die mit den Ampelfarben zeigt, ob ein Lebensmittel gesund ist oder nicht, und Smileys, die Verbrauchern signalisieren, ob sie guten Gewissens ein bestimmtes Restaurant aufsuchen können.

Doch das ist von der Realität so weit entfernt wie eine Schwindelgarnele vom Meer. Derzeit müssen sich die Verbraucher mit freiwilligen Angaben zu Kalorien, Salz, Fetten und Zucker auf der Verpackung begnügen, in denen sich die Hersteller die Portionsgrößen so zurechtschneidern, wie es ihnen in den Kram passt. Und auch ein bundesweites Restaurant-Bewertungssystem ist nicht in Sicht. Selbst die Berliner Modellversuche in Pankow und Marzahn-Hellersdorf laufen demnächst aus. Ende Februar ist Schluss, dann sollen beide Verfahren ausgewertet werden.

Was taugen unsere Lebensmittel? Wovon wurden Sie schon mal getäuscht? Was kann man tun, um sich vor falschen Versprechungen zu schützen? Diskutieren Sie mit! Nutzen Sie dazu die Kommentarfunktion unter diesem Artikel.

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