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© Keystone

Preisabsprachen: Gemauschel auf Kosten der Kunden

Verbraucherschutzministerin Aigner will Verbraucher für die Nachteile entschädigen, die sie durch Preisabsprachen erleiden. Das Kartellamt vermutet Absprachen bei Kaffee, Wurst und Schokolade.

Berlin - Verrückte Welt: Während die Lebensmitteleinzelhändler mit immer neuen Preissenkungen versuchen, ihren Konkurrenten Kunden und damit Marktanteile abzujagen, lässt das Bundeskartellamt ein Preiskartell nach dem anderen auffliegen. Ende Dezember hatten die Wettbewerbshüter Melitta, Dallmayr und Tchibo mit einem Bußgeld von insgesamt 160 Millionen für Preisabsprachen bei Kaffee bestraft. Mitte Januar durchsuchten mehr als 100 Polizisten und Fahnder des Kartellamts die Büros von Branchengrößen wie Rewe, Edeka, Metro und der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland). Auch beim Süßwarenproduzenten Mars und bei der Tierfutterkette Fressnapf fahndeten die Ermittler nach Beweisen für ihren Verdacht, dass bei den Preisen gemauschelt wurde. Händler und Markenhersteller sollen Untergrenzen für die Preise von Süßwaren, Kaffee und Tierfutter festgelegt haben, glauben die Wettbewerbshüter.

Die jetzt bekannt gewordenen Fälle sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Das Kartellamt ermittelt derzeit in einer Vielzahl von Fällen. Am Bonner Amtssitz laufen Verfahren wegen möglicher Preisabsprachen in der Süßwarenbranche, im Drogeriemarkt, aber auch bei Wurstwaren und Kaffee. Dabei stützen sich die Wettbewerbshüter oft auf das Wissen von Insidern, die einst beim Gekungel um Preise mitgemacht, dann aber ausgestiegen sind. Die „Kronzeugenregelung“, bei der der Belastungszeuge straffrei ausgeht, sei „sehr hilfreich“, sagte Kartellamtssprecher Kay Weidner dem Tagesspiegel. Mehr als 30 Informanten haben sich allein im vergangenen Jahr beim Kartellamt gemeldet. Das Kaffeekartell ist geplatzt, weil Kraft (Jacobs) die Wettbewerbshüter mit Informationen versorgt hatte.

Dass bestimmte Markenartikel sämtliche Preissenkungswellen der Discounter unberührt überstanden haben, liegt an der starken Stellung namhafter Markenartikelproduzenten. Es gebe bestimmte Marken, an denen der Handel nicht vorbeikomme. „Der Kunde erwartet, dass diese Produkte im Regal stehen“, sagt Ulrike Hörchens vom Einzelhandelsverband HDE. Der Handel habe da wenig Einfluss. Das bestätigt auch Drogerieunternehmer Dirk Roßmann. „Wenn Sie heute eine Packung Pampers-Windeln verkaufen, ist Einkaufspreis gleich Verkaufspreis. Da bleibt für uns nichts übrig“, sagte er der „Wirtschaftswoche“. Den Profit bringen Roßmann andere Produkte: Haarbürsten, Wein oder die Eigenmarken. Obwohl gerade bei den Eigenmarken der Preiskampf besonders heftig ist. Dem Handel sei das aber ganz recht, meint Kartellamtssprecher Weidner: „Damit die Eigenmarken gekauft werden, müssen sie deutlich billiger sein als das Markenprodukt“.

Den Schaden haben die Verbraucher. Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) will die Kunden daher künftig besser entschädigen. „Was haben die Verbraucher davon, wenn ausgewählte Produkte zwar zu Tiefstpreisen angeboten werden, im Gegenzug die Preise für bestimmte Markenartikel aber künstlich hochgetrieben werden?“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Es darf nicht sein, dass der Verbraucher am Ende immer der Dumme ist.“

Daher will die Ministerin den geprellten Kunden künftig eine Wiedergutmachung für den Schaden verschaffen, der ihnen aus illegalen Preisabsprachen entstanden ist. Nach dem Willen der Ministerin sollen Kartellstrafen in Zukunft für Zwecke des Verbraucherschutzes verwendet werden. „Die Gelder könnten zum Beispiel in eine Stiftung gehen – dann haben alle Verbraucher etwas davon“, schlägt Aigner vor. Bisher fließen die Bußgelder in die Staatskasse. 317 Millionen Euro waren es 2008.

Zudem will die Verbraucherschutzministerin auch die Verbraucherorganisationen im Kartellverfahren stärken. Verbraucherorganisationen sollen das Recht erhalten, „sich als Beteiligte an Verfahren der Kartellbehörden zu beteiligen“, sagte sie. Damit würden Verbraucherschützer beispielsweise Informationen über das Geschäftsgebaren der Firmen und über die Höhe der Einnahmen bekommen, die sie mit illegalen Absprachen erzielt haben.

Beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) rennt die Ministerin damit offene Türen ein. Bisher sei es schwierig herauszufinden, wie viel die Firmen mit ihren Kartellen verdient haben, sagt Jutta Gurkmann, Referentin für Wirtschaftsrecht beim VZBV. Gurkmann verlangt, dass die Unternehmen ihre unrechtmäßig erwirtschafteten Gewinne komplett abgeben müssen – auch an die Verbraucher.

Die Verbraucherschützerin hofft darauf, dass die EU den Weg für Sammelklagen freimacht, mit denen nicht jeder für sich, sondern viele Kunden geschlossen Schadenersatz für Kartellverstöße geltend machen könnten. Ein Problem wäre aber auch dann noch ungelöst: „Die künstlich hochgetriebenen Preise bleiben hoch“, sagt Jutta Gurkmann. Zwar werden die Kartelle geahndet, eine Pflicht, die Preise anschließend zu senken, haben die Firmen aber nicht. Das heißt: Die Verbraucher zahlen auch in Zukunft die Zeche.

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