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Wirtschaft: Unter Zugzwang

Entschädigungen bei Verspätungen zahlt die Bahn bisher freiwillig. Das soll zur Pflicht werden

Der Wintereinbruch hat in den vergangenen Wochen nicht nur Straßen zu Rutschbahnen werden lassen, auch Bahnverbindungen wurden beeinträchtigt oder fielen sogar komplett aus. Ob die betroffenen Kunden allerdings für die Verspätungen entschädigt werden, hängt von vielen Faktoren ab – vor allem aber von dem guten Willen der Bahn. Denn die hat in ihren Beförderungsbedingungen für den Personenverkehr eindeutig festgelegt: Entschädigungsanspruch für eine Verspätung hat der Kunde nicht, wenn die Ursache dafür außerhalb des Bahnbetriebs liegt. Ohnehin gibt es nur für die Kunden, die eine Fernverkehrsverbindung gebucht hatten, einen Ausgleich. Bei Verspätungen von Regionalzügen muss die Bahn zwar zahlen – aber nicht an ihre Fahrgäste, sondern an die Bundesländer, die die Verkehrsleistungen bestellt haben.

Kein Wunder, dass Verbraucherschützer und Verkehrspolitiker die Entschädigungsregelungen bei der Bahn als undurchsichtig kritisieren. Und das, obwohl seit Oktober 2004 zumindest für den Fernverkehr einklagbare Regeln eingeführt wurden. „Der Kunde muss schon Durchhaltevermögen zeigen“, bemängelt Hartmut Buyken, Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn. Außerdem sei der Verwaltungsaufwand relativ hoch – „besonders, da die Höhe der Entschädigung teilweise im Bereich des Lächerlichen liegt“.

Bei der Bahn sieht man aber dennoch keinen Grund, das gesamte Prozedere zu ändern. „Was wir gemacht haben, wurde mit der Politik – zusammen mit zwei Ministerien – vereinbart“, sagte ein Unternehmenssprecher dem Tagesspiegel. „Und es funktioniert auch.“ Bei Beschwerden von Kunden sei das Thema Entschädigungszahlungen zudem „ganz weit hinten“, berichtet der Sprecher. Und warnt: Wenn an der Höhe der Entschädigungen „immer weiter gedreht wird, dann sind sie irgendwann finanziell nicht mehr tragbar“. Darüber hinaus arbeite die Bahn gut mit der neu eingerichteten Schlichtungsstelle Mobilität (siehe Interview) zusammen.

KUNDENCHARTA

Verspätung. Zurzeit erhalten Kunden im innerdeutschen Fernverkehr bei Verspätungen 20 Prozent ihres Fahrpreises in Form eines Gutscheins zurück. Voraussetzung ist allerdings, dass der Reisende mindestens 60 Minuten später am Zielbahnhof ankommt als geplant. Neu seit Einführung der Kundencharta ist, dass die 60-Minuten-Regelung nicht nur für die einzelnen Zugverbindungen gilt, sondern auch dann, wenn sich die Verspätungen nach und nach im Laufe einer Reise mit mehreren Fernverkehrszügen aufbauen.

Anschluss verpasst. Sollte ein Fahrgast wegen Zugausfalls, -verspätung oder durch das Verpassen eines Anschlusszuges nicht bis Mitternacht seine Reise fortsetzen können, dann übernimmt die Bahn Übernachtungskosten oder Taxikosten bis zu 80 Euro. Vom Fahrscheinpreis bekommt der Kunde in dem Fall allerdings nichts zurück.

ICE-Sprinter. Eine besondere Regelung gilt für Nutzer des ICE-Sprinters, der besonders schnell und deswegen auch teurer ist. Hat dieser Zug mehr als 30 Minuten Verspätung, gibt es einen Gutschein in Höhe des vollen ICE-Sprinter-Zuschlags.

DAS GESETZ

Die Leistungen sind zwar einklagbar. Allerdings könnte die Bahn theoretisch ihre Bedingungen jederzeit ändern. Deshalb drängen Fahrgastverbände und Verbraucherpolitiker auch darauf, die Entschädigungen gesetzlich zu regeln. Die schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalen will in diesem Frühjahr einen Entwurf für ein Gesetz in den Bundesrat einbringen, das die Entschädigungen im öffentlichen Nah- und im Fernverkehr einheitlich festschreiben soll. Schon die rot-grüne NRW-Vorgängerregierung hatte sich dafür stark gemacht und einen Gesetzentwurf ausgearbeitet. Der sei jetzt juristisch noch einmal überarbeitet worden, sagte eine Sprecherin des NRW-Verbraucherministeriums dem Tagesspiegel. Vom Prinzip her sei der Entwurf aber gleich geblieben, da ihn auch alle Fraktionen im Landtag mitgetragen hatten.

Die grüne Politikerin Bärbel Höhn, die seinerzeit als Ministerin in Nordrhein-Westfalen maßgeblich an der Ausarbeitung des Gesetzes mitgewirkt hatte, will eine breitere Diskussion unterstützen. „Es macht Sinn, diesen Gesetzentwurf auch im Bundestag zu thematisieren“, sagte Höhn, die mittlerweile dem Ausschuss für Verbraucherschutz im Bundestag vorsitzt, dem Tagesspiegel. Die Angst der Bahn, die in einem internen Papier bei schärferen Entschädigungsregelungen mit Fahrpreiserhöhungen rechnet, verstehe sie nicht, sagte Höhn. „Die Bahn hat schließlich aus den massiven Verspätungen gelernt und ist besser geworden. Wir wollen nur, dass sie noch besser wird.“

Parallel zu den Verbraucherpolitikern arbeiten auch die Experten der Justizministerien des Bundes und der meisten Länder an neuen Fahrgastrechten im öffentlichen Personenverkehr. Im Lauf des Jahres soll es einen Bericht geben, die Tendenz ist laut Bundesjustizministerium aber noch unklar.

INTERNATIONALER VERKEHR

Wenigstens bei grenzüberschreitenden Verbindungen könnte sich die Situation der Verbraucher schon sehr bald ändern. Im Dezember einigten sich die EU-Verkehrsminister auf neue Regeln, denen noch das Europaparlament zustimmen muss. Bei Verspätungen von ein bis zwei Stunden sollen die Bahngesellschaften 25 Prozent des Ticketpreises erstatten müssen. Verpasst der Zug die geplante Ankunftszeit noch deutlicher, sollen es 50 Prozent sein. Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), rechnet damit, dass die EU-einheitliche Regelung noch in diesem Jahr in Kraft treten wird.

Die Kundencharta im Internet: www.bahn.de

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