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Unterhalt: Wenn der Streit weitergeht

Seit gut drei Monaten gilt das neue Unterhaltsrecht. Viele Männer versuchen jetzt, ihren Ex-Frauen den Unterhalt zu kürzen.

Seit fünf Jahren sind Linda und Peter Martens (Namen von der Redaktion geändert) geschieden, jetzt streiten sie erneut vor Gericht. Anlass ist die Reform des Unterhaltsrechts, die jede Menge Zündstoff birgt, auch für längst geschiedene Ehen. Denn das neue Recht, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, gilt rückwirkend. Die 1200 Euro, die Frau Martens bisher jeden Monat bekam, will ihr Mann künftig nicht mehr zahlen.

Alles kommt auf den Tisch. Fälle wie dieser beschäftigen derzeit die Anwälte. „Der Beratungsbedarf ist gestiegen“, sagt Kerstin Niethammer-Jürgens vom Ausschuss Familienrecht der Bundesrechtsanwaltskammer. „Nach der Reform muss oft sehr aufwendig argumentiert werden, um einen geltenden Unterhaltsanspruch aufrechtzuerhalten“, erklärt die Rechtsanwältin aus Potsdam. Oft sind jetzt Details ausschlaggebend – vom ersten Kennenlernen des Paares bis zur gemeinsamen Lebensplanung. „Es kommt vor, dass ich mit meinen Mandanten Jahrzehnte ihrer Ehe Revue passieren lasse.“

Hat einer der Partner verzichtet? Auch Jutta Wagner, Berliner Rechtsanwältin und Notarin, fragt genau nach den Lebensumständen ihrer Mandanten. „Maßgeblich für einen Unterhaltsanspruch ist jetzt vor allem, ob ein Partner Verdienstchancen der Ehe wegen aufgegeben oder verloren hat.“ Klassisches Beispiel: Das Paar beschließt, dass die Frau mehrere Jahre aus dem Beruf aussteigt, um die Kinder großzuziehen. Auch nach neuem Recht kommt dann ergänzender Unterhalt infrage – bis zu dem Betrag, den die Frau heute ohne die Jobpause verdienen könnte. „Das ist natürlich sehr hypothetisch und macht die Diskussionen kompliziert“, sagt Jutta Wagner.

Kind statt Karriere. Die geschiedene Ehe von Linda und Peter Martens ist ein gutes Beispiel. Als das Paar sich kennenlernte, hatte die damals 26-jährige Architektin gerade ihr Diplom in der Tasche und die erste Stelle in Aussicht. Peter Martens arbeitete für einen Pharmakonzern, der ihm kurz zuvor einen Posten in Brasilien angeboten hatte. Ein paar Monate später zog das Paar von Frankfurt am Main nach São Paulo. Zwei weitere Umzüge – nach Asien und zurück nach Deutschland – folgten nach der Hochzeit. Linda Martens arbeitete in den sechs Jahren, die das Paar im Ausland verbracht hatte, nicht in ihrem Beruf. Zurück in Hessen kam dann der gemeinsame Sohn auf die Welt. Um diesen zu betreuen, blieb sie zu Hause.

Deutliche Einbußen. „In solchen Fällen ist es schwierig nachzuweisen, wie hoch die Einkommenseinbußen der Frau tatsächlich waren“, erklärt Wagner. Fest steht aber: Frauen wie die heute 41-jährige Linda Martens müssen seit der Reform mit deutlichen finanziellen Einschnitten rechnen. Denn maßgeblich für die Höhe der Unterhaltszahlung ist nicht mehr wie nach altem Recht der Lebensstandard, den das Paar in der Ehe hatte. Vielmehr gilt das Prinzip der Eigenverantwortung.

Lebensstandard zählt nicht mehr. Das wirkt sich vor allem aus, wenn die finanzielle Situation der Ex-Partner sehr unterschiedlich ist. Kommt der Mann in seinem Job auf ein verfügbares Einkommen von 10 000 Euro und hat die Frau gar keine Einkünfte, waren vor der Reform bis zu 5000 Euro Unterhalt im Monat realistisch. Nach neuem Recht ist der Maßstab nur noch das, was die Frau im eigenen Beruf erwirtschaften kann. Nur bis sie das Gehaltsniveau erreichen kann, das sie zum Beispiel ohne eine längere Auszeit für die Kinder hätte, gibt es jetzt Anspruch auf ergänzenden Unterhalt.

Mehr für die neue Beziehung. Das Plus auf dem Konto, das den Unterhaltspflichtigen dadurch bleibt, erleichtert die Gründung einer Zweitfamilie. Für deren Versorgung gab es nach altem Recht oft nicht genug Geld, da die Ansprüche der Ex-Frau aus erster Ehe Vorrang hatten. Jetzt rangieren alle minderjährigen Kinder vor den unterhaltsberechtigten Erwachsenen (siehe Kasten). So das „Kindeswohl zu fördern“, war ein erklärtes Ziel der Reform.

Krach um die Kinderbetreuung. Die ersten Monate nach Inkrafttreten der Reform zeigen allerdings, dass die neue Rechtslage auch Kindern nicht nur Vorteile bringt. „Vor allem wenn es um die Betreuung geht, gibt es jetzt mehr Konflikte“, sagt Wolfgang Schwackenberg, Anwalt und Notar aus Oldenburg. Vor Inkrafttreten der Reform hatte die Mutter eines unehelichen Kindes drei Jahre lang Anspruch auf Betreuungsunterhalt. War die Frau verheiratet, konnte sie dagegen bis zu acht Jahre zu Hause bleiben. Erst ab dem 15. Lebensjahr des jüngsten Kindes war ihr laut Rechtsprechung wieder eine Vollzeitstelle zumutbar. Seit der Reform gilt die Drei-Jahres-Frist für alle Mütter – ob verheiratet oder nicht. „Viele Väter verlangen jetzt, dass ihre Ex-Frau sich eine Vollzeitstelle sucht“, berichtet Schwackenberg. Ein Fall aus seiner Kanzlei: Damit die Mutter arbeiten kann, möchte ihr Ex-Mann, der seinen sechsjährigen Sohn bisher nur selten sieht, das Kind nachmittags beaufsichtigen. „Der Mann arbeitet allerdings im Schichtdienst, die Betreuung nach der Schule wäre gar nicht immer möglich“, sagt Schwackenberg. Die Mutter muss jetzt das Gericht überzeugen, dass es dem Kindeswohl abträglich wäre, wenn sie Vollzeit arbeitet. „Das zu belegen, kann aber schnell zu Auseinandersetzungen auf dem Rücken der Kinder führen“, meint Schwackenberg. Ob die Beziehung zum Vater fehlt oder belastet ist, muss nämlich nachgewiesen werden, eventuell durch eine Befragung des Kindes.

Steuervorteile in Gefahr. Auch finanziell macht sich die Reform für die Kinder nicht immer positiv bemerkbar. Unterhaltseinbußen der Mutter belasten auch den Nachwuchs. Hinzu kommt: Der Unterhaltspflichtige kann nur den Ehegatten-, nicht aber den Kindesunterhalt von der Steuer absetzen. Zahlt der Unterhaltspflichtige künftig mehr für die Kinder und weniger oder gar nichts für den Ex-Partner, kann der bisherige Steuervorteil komplett wegfallen. Diese Steuerersparnis war aber bislang in die Einkommensberechnung eingeflossen und hatte den Unterhaltsanspruch erhöht.

Eheverträge haben Konjunktur. Um die Reform auszuhebeln, schließen viele Paare Eheverträge, um schon jetzt bestimmte Unterhaltssätze für den Fall einer Scheidung zu vereinbaren. Doch: Der Vorrang des Kindesunterhalts lässt sich nicht ausschließen. Bleibt nicht genug Geld für alle, werden die Kinder zuerst versorgt. „Dasselbe dürfte für den Unterhalt eines Elternteils, der ein Kleinkind betreut, gelten“, meint Anwältin Jutta Wagner.

Solche Fragen werden die Gerichte zu klären haben. Viele Juristen rechnen in der ersten Instanz mit sehr unterschiedlichen Entscheidungen. Die Oberlandesgerichte, darunter auch das Kammergericht Berlin, haben bereits Leitlinien zum Umgang mit der Reform aufgestellt. „Gerade in den ersten Urteilen werden die Richter sich stark an den Umständen des Einzelfalls orientieren und besonders auf den Vertrauensschutz achten“, erklärt Heike Hennemann, Richterin am Kammergericht. Bis sich in der Rechtsprechung eine einheitliche Linie herausbildet, werden aber noch mindestens ein bis zwei Jahre vergehen.

Eva Kehr

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