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Versicherungsvermittler: Gute Verkäufer, schlechte Berater

Versicherungsvermittler drehen den Kunden häufig Policen an, die am Bedarf vorbeigehen - laut einer Untersuchung des Ratgeber-Magazins "Finanztest".

Marco R. war 31 Jahre alt, als seine Ärzte ihm mitteilten, dass er an einer unheilbaren Muskelkrankheit litt. Für den Autoverkäufer aus dem Sauerland bedeutete die Diagnose das Ende seiner Berufslaufbahn – und den Anfang eines unschönen Rechtsstreits. Denn die Versicherung, bei der Marco R. eine Berufsunfähigkeits-Police abgeschlossen hatte, weigerte sich, die von ihm beanspruchte Rente zu zahlen. Ihr Vorwurf lautete: „arglistige Täuschung“. Der Versicherte habe schon vor Vertragsabschluss gesundheitliche Beeinträchtigungen gehabt und sie dem Versicherer bei Vertragsabschluss verschwiegen.

Der Prozess zog sich über zwei Instanzen, das Landgericht Hamburg gab Marco R. am Ende Recht. Für seinen Advokaten Jürgen Hennemann, Fachanwalt für Versicherungsrecht in Buchholz bei Hamburg, ist der Fall einer von vielen, in denen Versicherer mit ihren Kunden knallhart über das streiten, was am Anfang ihrer Beziehung stand: das Vermittlungsgespräch. Da laufe grundsätzlich etwas schief, sagt Hennemann. Nicht der Kunde, sondern die Vermittler seien an vielen schludrigen Vertragsabschlüssen schuld. „Es wird reihenweise falsch beraten“, sagt der Fachanwalt. „Der Verkaufsdruck treibt viele Vermittler an die Schwelle zur Unredlichkeit.“

Um den Berufsstand des Versicherungsvermittlers ist es nicht zum Besten bestellt – darauf deutet jetzt auch eine Untersuchung von „Finanztest“ hin. Das Ratgeber-Magazin, das von der Stiftung Warentest herausgegeben wird, schickte Testkunden zu den 30 größten deutschen Lebensversicherern, die mit „gebundenen“ Vertretern arbeiten. Das sind freiberufliche Agenten, die exklusiv für ein Unternehmen Policen vertreiben und für jeden abgeschlossenen Vertrag eine Provision erhalten. Das Ergebnis des Tests ist ernüchternd: Die Leistung der Vertreter war „äußerst mäßig“, nicht eine Versicherung schnitt gut ab.

Die Testkäufer hatten sich für „Finanztest“ mit dem Wunsch nach einem Hinterbliebenenschutz und einem Schutz für den Fall der Berufsunfähigkeit an die Versicherungsvertreter gewandt. Bei den insgesamt 182 Beratungsgesprächen analysierten die Vermittler unter anderem in 106 Fällen den Vorsorgebedarf ihrer Kunden nicht richtig. Manche empfahlen auch Policen, deren Versicherungsschutz nicht ausreichte, oder gänzlich andere Produkte wie Renten- oder Unfallversicherungen.

Besonders frappierend finden die Tester, dass die Versicherungsvermittler in Gesundheitsfragen schluderten. So trugen sie wichtige Angaben der Kunden zu Vorerkrankungen oft nicht in die Versicherungsformulare ein, unter anderem mit dem Hinweis: „Das lassen wir besser weg“. Damit riskiert der Kunde aber, dass die Versicherung die Leistung später verweigert, so die Tester.

Ein „schlimmes Urteil für die Service-Qualität der deutschen Versicherer“ nennt Finanztest-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen das Testergebnis. Dass die Vermittler durchweg nur befriedigend oder ausreichend abschnitten, habe ihn überrascht. Die Unternehmen hätten offenbar „erhebliche Defizite bei der Vertriebssteuerung“, vermutet der Verbraucherschützer.

Die Versicherer reagieren auf das Testurteil sichtlich irritiert. Die Alte Leipziger, die am schlechtesten abschnitt, zeigt sich betroffen, der Deutsche Ring ist „nicht glücklich“, die Allianz, die den vorletzten Platz belegte, gibt sich „überrascht“. Man habe sich vor den Wettbewerbern gesehen, sagt Allianz-Sprecher Ulrich Hartmann, interne Kundenanalysen hätten sehr hohe Zufriedenheitswerte ergeben, Die Vertriebsmitarbeiter würden regelmäßig geschult. „Wir gehen davon aus, dass das Ergebnis nicht repräsentativ ist“, sagt Deutscher-Ring-Sprecher Thomas Wedrich. Ein einzelner Vertriebsmitarbeiter habe im Test beide gewünschte Versicherungen nicht angeboten und damit „den Durchschnitt mächtig gedrückt“. Eine neue Software gebe den Vermittlern nun seit Anfang September „eine ziemlich strikte Richtschnur vor, so dass so etwas wie in Finanztest beschrieben nicht mehr vorkommen kann.“ Auch die Alte Leipziger hat Zweifel an der Gültigkeit des Tests. Viele ihrer Geschäftspartner seien in Wirklichkeit gut, heißt es auf Anfrage.

Mangelnde Repräsentativität will Finanztest seiner Studie nicht vorwerfen lassen. „Wenn zwei von sieben Beratungen bei einem Versicherer nicht klappen, sind das zwei zu viel“, sagt Chefredakteur Tenhagen. Schließlich gehe es für die Kunden um wichtige und lebenslange Vorsorge-Entscheidungen.

Bei vielen Vermittlern seien offenbar nicht genügend Fachkenntnisse vorhanden, sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten (BdV). Zudem gebe es in vielen Versicherungsvertrieben Verkaufsvorgaben zu bestimmten Produkten. „Da ist heute Riester aktuell, morgen dann Unfall.“ Was nicht zum Kunden passt, werde mit ein wenig Verkaufsrhetorik passend gemacht. Und bisweilen würden Krankheiten unterschlagen, um Verträge nach einem langen Beratungsgespräch doch noch unterschreiben zu können. Eines wundert den Verbraucherschützer noch immer: „Vor dem Kauf eines Kühlschranks konsultieren die Leute Testhefte, die Verbraucherberatung und Preisvergleiche im Internet“, sagt Rudnik. „Bei lebenslang gültigen Entscheidungen wie der privaten Krankenversicherung oder der Altersvorsorge schließen sie Verträge bei wildfremden Leuten ab, die an der Tür klingeln.“

Weitere Informationen in Finanztest 10/2009

Andreas Menn

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