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Wirtschaft: Wem gehört die Luft?

Es gibt nur wenige Gesetze, die Nichtraucher schützen. Oft werden nicht einmal diese eingehalten

Irmgard Gill behauptet, dass sie früher mal 400 Zigaretten geraucht habe. Jeden Tag, 27 Jahre lang. Selbst hat sich die Krankenschwester aber keine davon angesteckt. Im Gegenteil: „Auf meiner Station war ich die einzige Nichtraucherin“, sagt Gill. Mit 49 Jahren musste sie ihren Dienst in einem Krankenhaus in Düren endgültig quittieren. Schweres Asthma und eine chronische Bronchitis machten ihr das Arbeiten unmöglich.

Immer wieder hat sie sich über den Rauch beschwert, den sie einatmen musste. Hat versucht, mit den Kollegen, mit dem Chef und dem Betriebsrat zu reden. Die Antwort war immer dieselbe: „Wir sind hier in der Psychiatrie. Da können wir doch die Zigaretten nicht verbieten.“

Mehr als 100 000 Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen des Rauchens – an einem Krebsgeschwür, durch einen Herzinfarkt oder eine Lungenkrankheit. Mindestens 3000 weitere sterben, weil sie passiv mitgeraucht haben. Auf ihrer Seite steht das Recht des Nichtrauchers: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf den Schutz durch den Staat vor dem blauen Dunst. Auf der Gegenseite steht das Recht des Rauchers. Es heißt „Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“ – die Freiheit, zu qualmen, wann man will.

„Der Rauch, der von der glimmenden Zigarette in die Luft drum herum strömt, ist genauso schädlich wie der Qualm, den der Raucher selbst einatmet“, sagt Friedrich Wiebel, Bundesvorsitzender des „Ärztlichen Arbeitskreises Rauchen und Gesundheit“. In Paragraph 5 der Arbeitsstättenschutzverordnung steht darum: „Der Arbeitgeber hat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind.“ Als Arbeitsstätte gilt nicht nur der eigene Schreibtisch, sondern auch Flure, Kantinen oder Konferenzräume.

Ob das Gesetz ausreicht, Arbeitnehmer vor dem blauen Dunst zu schützen, daran zweifelt Wiebel. „Es gibt immer noch viele Arbeitnehmer, die Rauch an ihrem Arbeitsplatz ertragen müssen“, sagt der Mediziner. „Das große Problem sind die kleinen Betriebe“, sagt Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (dkfz) in Heidelberg. „Wenn der Chef und seine Lieblingsmitarbeiter rauchen, dann sind alle den Qualen ausgesetzt.“

Wer versuche, auf sein Recht zu pochen, der stoße oft nicht nur auf Unverständnis, sondern werde für seine Beschwerde auch noch bestraft. So ist es Irmgard Gill ergangen. „Es wurde so getan, als würde ich meinen Kollegen das Rauchen nicht gönnen“, erzählt die Krankenschwester. „Und wenn ich das Fenster aufmachen wollte, wurde ich angemotzt.“ – „Kündige doch“, haben die Kollegen zu ihr gesagt. Bis sie irgendwann ging.

Für die Kontrolle des Nichtraucherschutzes sind eigentlich die Gewerbeaufsichtsämter zuständig. Aus Angst um den Arbeitsplatz traue sich heute aber kaum jemand, seinen Chef tatsächlich anzuschwärzen, sagt Benedikt Buchner, Jurist und Experte für den Nichtraucherschutz, „geschweige denn, sein Recht auf einen rauchfreien Arbeitsplatz einzuklagen.“

Ob man damit Erfolg hätte, sei ohnehin fraglich. So ist gerichtlich noch nicht geklärt, ob ein Chef seinen Mitarbeitern zumuten kann, in Räumen zu arbeiten, in denen zuvor jemand gequalmt hat. „Klares Nein“, sagt Pötschke-Langer. „Der Rauch schlägt sich wie ein feiner Film überall auf Teppichen, Wänden und Möbeln nieder. Durch Lüften lässt er sich nicht entfernen“, so die Medizinerin. Auch kalter Rauch enthalte Stoffe, die Krebs erzeugen, das Erbgut schädigen und die Fortpflanzung gefährden.

Rechtsexperte Buchner rät unfreiwilligen Passivrauchern: Suchen Sie zuerst immer den einvernehmlichen Weg. Versuchen Sie, Ihre Kollegen zu überzeugen. Wenden Sie sich an Ihren Arbeitgeber oder versuchen Sie, mit Hilfe des Betriebsrats eine Einigung zu erzielen. Der Nikotinsüchtige hat übrigens ein Recht auf regelmäßige Rauchpausen – die allerdings an anderer Stelle ausgeglichen werden müssen.

Auch in der eigenen Wohnung darf ein Mieter qualmen, so viel er will. Das gleiche Recht gilt bei offenem Fenster oder auf dem Balkon, auch dann, wenn der Rauch von dort in die Wohnung eines Nichtrauchers zieht.

Über 8000 Klicks erreichte die Homepage des Deutschen Mieterbundes, als man dort die Frage stellte: „Soll Rauchen in Mietshäusern verboten werden?“ „So viele Teilnehmer hatten wir noch nie“ sagt Pressesprecher Ulrich Ropertz. Die Mehrheit stimmte für das Verbot. Nach Ansicht des Mietervertreters darf es das aber gar nicht geben.

„Es darf nicht so weit kommen, dass im Mietvertrag geregelt ist, was ich in meinen eigenen vier Wänden tue“, sagt Ropertz. Sonst könne der Vermieter seinem Mieter „auch verbieten, dreimal am Tag zu kochen – weil das Fettflecken an den Wänden verursacht.“ Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann ein Vermieter seinen rauchenden Mieter auch nicht für erhöhte Renovierungskosten zur Kasse bitten. In den Gemeinschaftsräumen aber kann der Vermieter das Rauchen untersagen.

Nach Ansicht von Medizinern und Nichtraucherinitiativen sind die Nichtraucher in Deutschland klar benachteiligt. Nicht einmal in Kindertagesstätten sei das Rauchen gesetzlich verboten, klagt Johannes Spatz vom „Forum Rauchfrei“. In Berliner Krankenhäusern stünden Zigarettenautomaten, und in vielen Behörden werde ungehindert gequalmt. Ganz zu schweigen von Kneipen, Bars und Restaurants.

Auch wenn das Rauchen nur in Sonderbereichen erlaubt ist, gefährde es die Menschen im gesamten Gebäude, meint die Ärztin Pötschke-Langer: „Der Rauch zieht überall hin.“ So gebe es bei der Deutschen Bahn gar keine Nichtraucherabteile: „Es gibt nur Raucherabteile und Passivraucherabteile.“

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