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Brandenburg: Vetschau kämpft um seine Zukunft

Durch das Städtchen Vetschau dröhnt aus einem Lautsprecherwagen laute Musik. Das alte Arbeiterkampflied "Wir sind die junge Garde des Proletariats" wechselt mit der "Märkischen Heide", harter Rockmusik und Klängen eines Sinfonieorchesters ab.

Durch das Städtchen Vetschau dröhnt aus einem Lautsprecherwagen laute Musik. Das alte Arbeiterkampflied "Wir sind die junge Garde des Proletariats" wechselt mit der "Märkischen Heide", harter Rockmusik und Klängen eines Sinfonieorchesters ab. "Bei unserer Demo machen schließlich alle mit", erklärt der Fahrer. "Da habe ich für jeden Geschmack etwas ausgesucht." Tatsächlich marschieren Menschen jeden Alters hinter dem Lautsprecher durch den Ort.

Aus Sorge um die Zukunft ihrer Stadt gingen gestern rund 1000 Menschen in Vetschau auf die Straße. Sie demonstrierten gegen die angekündigte Schließung des Bombardier-Eisenbahnwerkes, der 110 Arbeitsplätze zum Opfer fallen würden. An jedem Job hängen laut IG Metall weitere drei bis vier Beschäftigte in der Region. Der kanadische Bombardier-Konzern will im zweiten Halbjahr 2002 neben Vetschau auch das Schienenfahrzeugwerk in Ammendorf bei Halle mit 900 Arbeitsplätzen dichtmachen. Die Vetschauer Produktion soll nach Siegen in Nordrein-Westfalen verlagert werden. Auch in Hennigsdorf plant das Unternehmen Stellenreduzierungen.

Die DGB-Kreisvorsitzende Marion Schreier spricht von einer 22,5-prozentigen Arbeitslosenquote im Kreis Oberspreewald-Lausitz. Vetschau gehöre schon jetzt zu den Problemregionen. "Deshalb", so argumentiert sie, "darf bei einer Werksschließung nicht nur nach wirtschaftlichen Gründen entschieden werden." Land und Bund müssten mit finanziellen Mitteln die betroffenen Firmen stützen. Doch gestern fehlt ein Adressat für solche Forderungen. "Rolf Schwanitz hatte als Ostbeauftragter der Bundesregierung sein Kommen zugesagt", sagt Vetschaus Bürgermeister Axel Müller. "Schade, dass er uns im Stich lässt." Dafür verteilt der Bürgermeister Hunderte Zettel mit den Adressen des Bombardier-Europabeauftragten Lortie, von Bundeskanzler Schröder und Brandenburgs Regierungschef Stolpe. "Wenn denen alle Vetschauer Familien ihre Sorgen um das Werk schreiben, müssten die 3000 Briefe erhalten", rechnet Müller. "Das bewirkt bestimmt etwas."

Betriebsratschef Horst Hänsel schüttelt während des Gesprächs immer wieder den Kopf: "Wir haben volle Auftragsbücher bis 2003, wir schaffen die Aufträge nur mit vielen Leiharbeitern, wir haben seit 1990 über 400 Stellen abgebaut und trotzdem sollen wir keine Chance erhalten", sagt er. Das Angebot des Konzerns, sich in Siegen zu bewerben, lehnt Hänsel ab. "Hier ist unsere Heimat. Hier wollen wir Arbeit und die Zukunft unserer Kinder sichern." Auch ehemalige Beschäftigte des Vetschauer Kohlekraftwerkes demonstrieren mit. "Als 1995 die letzten von ehemals 2500 Arbeitern entlassen wurden, muckte niemand auf", sagt eine Frau, die 35 Jahre an den Turbinen gearbeitet hatte. Man habe sich auf die Zusagen verlassen, dass es mit dem Osten aufwärts gehen würde.

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