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Brandenburg: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Nach Wittenberge soll die Flut am Dienstag kommen – aber das will keiner so recht wahrhaben

Wittenberge. Für Marita Hornig ist klar, dass nichts passiert. Weil das nicht sein kann. Sie würde dann ihr Restaurant verlieren. Am Hafen von Wittenberge. Erst Ostern haben sie den Biergarten eröffnet. Das Restaurant haben sie und ihr Mann Rainer seit acht Jahren. Nach 25 Jahren in der Gastronomie, endlich selbstständig. Wenn jetzt die Flut käme, wäre alles hin. Marita Hornig zeigt auf die neu gepflanzten Blumen, die den Biergarten umranden. Das liebe sie doch alles. Das könne doch jetzt nicht einfach kaputt gehen. Außerdem sollte hier am nächsten Wochenende das tStadt- und Hafenfest stattfinden. Gewöhnlich kommen 10 000 Besucher.

Der Restaurantbetrieb läuft, der Biergarten ist voll. Nur, wenn im Radio Nachrichten kommen, hält Marita Hornig inne. Still steht sie unter dem kleinen Kofferradio, das über dem Tresen im Regal steht. Der Deichbruch in Mühlberg bringt keine Entlastung für die Prignitz, so wird gemeldet. Marita Hornig seufzt. Dann bringt sie das Essen raus. Deutsche Küche, oder was der Gast wünscht. Restaurant, das sei ihr Leben. Für Sonntag notiert Marita Hornig eine Reservierung für elf Personen. Für Dienstag nimmt sie keine Bestellungen an. Dienstag soll das Wasser nach Wittenberge kommen. Sie kann nicht weg, Sohn und Tochter reisen an, um zu helfen. Sie machen das Haus der Hornigs in der Nähe vom Rathaus wasserfest.

Vom Stammtisch im Restaurant aus sieht man den Kirchplatz. Da wird Sand angeliefert. Die Anwohner schaufeln ihn in Säcke, fahren die zu ihren Häusern. Zwei Polizisten haben die Straße gesperrt, die am Biergarten vorbei direkt zum Hafen führt. Dort sichert die Feuerwehr die Deichstraße mit Spundwänden, schwere dunkle Platten, die sie erstmal gegen die Geländer lehnt.

Vielleicht passiert ja nichts, sagt Bärbel Schneider. Sie wartet mit anderen am Kirchplatz auf Sand. „Wieso kommt kein Sand?“, schimpft ein Mann. Eine Sauerei sei das. Polizeimeister Büge an der Straßensperre verteilt Telefonnummern. Bärbel Schneider winkt ab. Die kennt sie schon. Das ist das Amt. Da sei die ganze Zeit besetzt. Die ganze Prignitz rufe nun in diesem Amt an, sagt sie. Das sei doch schon ein wenig eigenwillig. Dabei gebe es in Wittenberge doch ein Call-Center. Es wäre doch wohl ein leichtes gewesen, das einzuschalten, sagt Bärbel Schäfer. Dann schaufelt sie weiter. In Bewegung bleiben, sagt sei. Bloß nicht innehalten. Sonst gehen die Nerven durch. Auch Marita Hornig ist in Bewegung. Hin und her mit schnellen Schritten, dabei glüht ihr Gesicht. Es ist warm, ein herrlicher Tag. Sie versucht, nicht an die Gefahr zu denken. „Aber das Kribbeln spürt man Tag und Nacht.“ Im Haus haben die Hornigs ihre Papiere schon zusammengelegt. Den Koffer hat Marita Hornig auch schon ein paar Mal gepackt und dann aber immer wieder ausgeräumt. Wichtiger sei sowieso das Restaurant. Die Gefriertruhen im Keller seien voller Lebensmittel. Und außerdem: Wenn sie jetzt die Tür abschließt, dann kann sie gleich einpacken. Am ersten September werden die nächsten Rechnungen fällig.

Vor der Tür haben Polizeimeister Büge und sein Kollege ein Sackgassenschild aufgestellt, dann gehen sie. Büge wohnt in Wittenberge, zur Miete im ersten Stock. „Wir erfahren hier ja auch nicht alles“, sagt er und über Funk fragt er in der Lagestelle nach neuem Sand. Ariane Bemmer

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