zum Hauptinhalt
In Zeitlupe. David Michalek zelebriert den menschlichen Körper.

© David Michalek

25 Jahre "Tanz im August": Meißeln in der Zeit

„Tanz im August“ feiert sein 25-jähriges Jubiläum. Vom 15. August bis 1. September zeigt der New Yorker Porträtkünstler David Michalek auf dem Gendarmenmarkt seine Videoinstallation „Slow Dancing“.

Von Sandra Luzina

Den Gendarmenmarkt sollte man in der zweiten Hälfte des August nicht nur den Touristen überlassen. Man würde sonst etwas verpassen. Denn während der gesamten Dauer des Festivals „Tanz im August“ wird hier die monumentale Videoinstallation „Slow Dancing“ des New Yorker Fotokünstlers David Michalek gezeigt.

Überlebensgroß wirken die 56 Tänzer, die auf den drei Leinwänden zu sehen sind. Zudem bewegen sie sich hyperlangsam. Dieses Triptychon bewegter Porträts ist nicht nur ein Blickfang – „Slow Dancing“ ist geradezu eine Offenbarung. Denn durch die extreme Verlangsamung sind auch minimale Bewegungsdetails zu erkennen, die dem bloßen Auge sonst entgehen. Und wie schon am Lincoln Center in New York oder am Trafalgar Square in London werden wohl auch die Passanten in Berlin staunend stehen bleiben. Die Installation ist nämlich eine „Maschine zur Entschleunigung von Massen“.

Der Schöpfer David Michalek, ein bekannter Porträtkünstler, hat ein besonderes Faible für den Tanz. „Ich liebe es, Tänzern zuzusehen“, sagt er. Der Mann ist mit Wendy Whelan verheiratet, der ersten Solistin beim New York City Ballet. Ursprünglich wollte er nur eine Studie seiner Frau machen. Von der Tanzfotografie, die die Bewegung einfriert, war er aber nicht sehr überzeugt.

„Ich habe mich gefragt, ob es nicht einen Weg gäbe, Fotografie und Film zu verbinden“, erzählt er. Also hat er experimentiert, zuerst mit einer geliehenen Hochgeschwindigkeitskamera, die für Golfspieler gedacht war. Doch bald stellte er fest, dass er etwas braucht, das schneller ist und mindestens 1000 Bilder pro Sekunde macht.

2005 war kein Gerät auf dem Markt, das seinen Ansprüchen genügte. Er trat in Kontakt mit Firmen, die sich auf die Entwicklung von sogenannten High-Definition-High-Speed-Kameras spezialisiert haben – dies sind Kameras, die vom Militär für ballistische Untersuchungen genutzt werden. „Den Ingenieuren gefiel meine Idee“, sagt er rückblickend. Als er dann vom Lincoln Center in New York den Auftrag zu der Videoarbeit erhielt, dauerte es nicht mehr lange, bis er die neue Technologie auch einsetzen konnte.

Bei den Versuchen mit Wendy Whelan erkannte er, was für enorme Möglichkeiten dieses Instrument bietet. So entstand der Wunsch, auch andere Tänzer einzubeziehen. Damals ahnte er freilich noch nicht, welche Dimensionen dieses Projekt einmal annehmen würde. Ihm sei es um ein „demokratisches Prinzip“ gegangen, betont Michalek. Er wollte nicht nur eine große Vielfalt an Techniken, Stilen und Körpertypen zeigen. Er wollte Tänzer aus verschiedenen Kulturen, Tänzer aller Altersklassen und Hautfarben porträtieren. „Slow Dancing“ zeigt somit den zeitgenössischen Tanz in einer Bandbreite von Postmodern Dance und Ballett über indischen Tanz und Butoh bis hin zu Breakdance.

Die Tänzer fühlten sich entblößt

Die Tänzer für das einzigartige Projekt zu rekrutieren, war ganz leicht, denn die Szene ist ja bestens vernetzt. Wendy und er fragten zuerst Freunde, ob sie mitmachen würden. Bill Forsythe hat das Projekt von Anfang an unterstützt, und auch Trisha Brown war sofort von der Idee begeistert. Bald konnte David Michalek sich vor Angeboten kaum retten. Die Teilnehmerliste liest sich inzwischen wie ein Who's who des zeitgenössischen Tanzes. Und dieses imposante Archiv ist seit der Uraufführung 2007 noch weiter angewachsen.

Für die Tänzer war es eine besondere Herausforderung, für die Kamera zu tanzen, der nichts entgeht. Fünf Sekunden – mehr Zeit blieb ihnen nicht für ihre Tanzsequenz. Daraus entstand dann bei 1000 Bildern pro Sekunde ein Film von etwa zehn Minuten Länge. Die Tänzer fühlten sich alle ausgestellt, ja geradezu entblößt, erzählt Michalek, aber das sei ein Teil des Reizes. Als einen „Zen-Test“ bezeichnete Bill T. Jones die Versuchsanordnung. Am Ende aber, nach diversen Korrekturen, waren alle doch glücklich mit dem Resultat.

Sein innovatives Verfahren beschreibt David Michalek, in Anlehnung an den legendären russischen Filmregisseur Andrej Tarkowski, als „Sculpting of Movement and Time“. Die Körper wirken nicht nur ungemein plastisch, durch die Dehnung der Zeit erhalten die Bewegungen auch eine fließend-hypnotische Qualität.

Seine Arbeit als Porträtkünstler hat auch dieses Projekt beeinflusst. Denn Michalek zelebriert nicht nur die fragile Anmut des tanzenden Körpers, er hält auch den besonderen Ausdruck seiner Darsteller fest. „Ich wollte, dass diese Arbeit Freude und Schönheit ausdrückt“, sagt Michalek. „Schönheit nicht im Sinne von äußerer Attraktivität – denn Tänzer sind natürlich sehr attraktiv –, nicht im Sinne von Glamour. Ich meine Schönheit in einem älteren Verständnis: als Manifestation von etwas Gutem.“

Diese philosophische Idee ist das Herzstück von „Slow Dancing“, nicht die Technologie. Deshalb zieht die Videoinstallation nicht nur die Tanzenthusiasten und Kunstexperten in den Bann. Ein besseres Projekt zum 25-jährigen Jubiläum von „Tanz im August“ hätte man wohl kaum wählen können. „Slow Dancing“ ist eine Feier des Tanzes – und ein Geschenk an Berlin und seine Besucher.

Gendarmenmarkt: Donnerstag, 15.8., 22 Uhr, Freitag, 16.8. bis Sonntag, 1.9., jeweils ab 21.30 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false