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Update

38 Tote bei Busunglück in Italien: Wallfahrt in den Abgrund

Ein voll besetzter Bus stürzt von einer Autobahnbrücke in die Tiefe und wird komplett zerstört. 38 Menschen sterben bei einem der bislang schwersten Busunglücke in Italien.

Der Provinzstraße entlang liegen weiße Leintücher, genau in Reihe, eines neben dem anderen. Unter jedem liegt ein Mensch. Daneben, zerfetzt, ein weißer Reisebus. Sitze, Koffer, Trinkflaschen, Scheiben, Motor- und Getriebeteile herausgeschleudert, dazwischen fromme Heiligenbilder, eine Kreuz-Ikone im Gebüsch. Und Rettungstrupps, die voller Entsetzen hinaufstarren zu einer Autobahnbrücke, der auf der Länge von mehreren hundert Metern die Leitplanke fehlt. Bei dem schweren Busunglück bei Neapel in Süditalien bieten sich den Helfern schreckliche Bilder.

25, 30 Meter über der Provinzstraße verläuft die A16, und über ihren Rand hängen in dieser, nur von den grellen Scheinwerfern der Einsatzkräfte erhellten Nacht noch stundenlang einige Betonteile des Brückengeländers, die jederzeit auch auf die Retter herabfallen können.

Es ist Sonntag gegen 20.30 Uhr, in den Bergen gut 30 Kilometer östlich von Neapel, als der voll besetzte Reisebus ins Schleudern gerät. Dort, am „Acqualonga“Viadukt bei Avellino, wo sich vor einer Autobahnbaustelle eine Reihe von Fahrzeugen recht langsam fortbewegt, kracht der Bus von der Notfallspur aus in die Kolonne und schiebt zwölf Personenwagen ineinander. Dann verschwindet er im Nichts. Augenzeugen berichten später, der Bus sei beängstigend schnell unterwegs gewesen. Manche wollen einen Knall gehört haben, wie von einem platzenden Reifen, manche hingegen haben vor eigener Aufregung den Autobus nicht einmal gesehen. Ein Streckenposten, der einen Kilometer vor der Baustelle die Fahrzeuge mit blinkenden Lichtern und Fahnenschwingen zur Vorsicht und zum Beachten der Tempolimits gedrängt hat, gibt zu Protokoll, der Bus sei schon an ihm mit entweder offener oder verlorener Vordertür vorbeigefahren. Und genau dort, in der Nähe des Streckenpostens, finden sich später auch Teile des Getriebes.

36 Menschen sterben noch am Unfallort, zwei danach im Krankenhaus, und bis Montagabend schwebten von den zehn Verletzten noch zwei Kinder in Lebensgefahr. Sie waren alle aus einem entspannten Ferienwochenende zurückgekommen: Eine fröhliche, unter Führung eines Metzgers viel reisende Gruppe von Familien und Freunden aus der Stadt Pozzuoli bei Neapel. Sie waren in einem Thermenhotel, dann hatten sie noch eine Wallfahrt gemacht nach Pietrelcina bei Benevent, dem Heimatort von Italiens populärstem Heiligen, von Padre Pio. Und dann das.

Aber warum? Mit der Ursachenforschung waren Polizei und Staatsanwaltschaft am Montagabend noch nicht sehr weit. Der neapolitanische Busfahrer gehört zu den Opfern, und ob er sich – wie Augenzeugen im ersten Moment spekulierten – „wie ein Held“ bemüht hatte, einen schlingernden Bus zu stabilisieren, oder ob er womöglich einen Herzanfall am Steuer erlitten hatte, das ließ sich vorerst nicht klären. Bremsspuren jedenfalls waren auf der Fahrbahn nicht zu sehen. Die Polizei schloss einen geplatzten Reifen nicht aus, genauso wenig wie Probleme mit der Bremsanlage, andere technische Schwierigkeiten oder einen ersten Unfall vor der eigentlichen Unfallstelle: Woher hätten sonst die Getriebeteile kommen sollen? Und weshalb hatte der Streckenposten eine offene Vordertür bemerkt? Im ersten Schrecken hieß es, der fragliche Streckenabschnitt zwischen Avellino und Nola – eine 35 Kilometer lange, kurvenreiche Gefällstrecke – sei als besonders gefährlich bekannt; der Polizeistatistik nach stimmt das so nicht: Auch wenn es vier tödliche Unfälle in fünf Jahren gegeben hat, so bleibt die Strecke doch innerhalb des italienischen Autobahndurchschnitts. Zum Zeitpunkt des Unglücks herrschte außerdem optimales Wetter. Und wenn der Bus schon vor der Engführung seine Probleme hatte, dann scheidet auch die Baustelle als mögliche Unglücksursache aus.

Bestürzung über das schwerste italienische Busunglück seit Menschengedenken äußerten am Montag Politiker jeglicher Couleur; Regierungschef Enrico Letta verkürzte seinen Staatsbesuch in Griechenland. Besonders aufmerksam wurden in Rom auch die sofortigen Beileidskundgebungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle registriert. Pozzuoli, wo die Opfer schon heute, Dienstag, beerdigt werden sollen, hat drei städtische Trauertage ausgerufen.

Ermittlung wegen fahrlässiger Tötung.

Gleichzeitig verweist das offizielle Italien auf die soeben veröffentlichten Statistiken. Zwar liegt die Rate der Toten im Straßenverkehr – 61 pro eine Million Einwohner – noch immer über dem EU-Durchschnitt von 55. Dennoch ist es Italien gelungen, die Zahl der Unfälle mit Personenschäden erheblich zu senken; die Zahl der Getöteten – 3650 im Jahr 2012 – ist in den vergangenen zehn Jahren um 48,6 Prozent zurückgegangen. Was die Autobahnen betrifft, so wird dieser Erfolg vor allem der zunehmend konsequenten Tempoüberwachung zugeschrieben.

Immer mehr Schnellstraßen werden durch das voll-elektronische "Tutor"-System überwacht, das die Geschwindigkeit nicht an einzelnen Radarpunkten, sondern über längere Streckenabschnitte hinweg misst.

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