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Im traditionellen Ost- und Südostanatolien soll es laut türkischer Medien häufiger Fälle von illegalem Brauthandel geben. In der Türkei ist das Mindestalter für eine Heirat auf 17 Jahre festgelegt.

© AFP

400 Euro für eine Braut: Türkische Behörden kämpfen gegen Handel mit Kinderbräuten an

In den ärmeren Regionen der Türkei blüht angeblich der Handel mit Kinderbräuten. Das ist illegal, der Einfluss des Rechtsstaates ist in den ländlichen Gebieten aber gering.

„Du kommst ins Dorf, und die Mädchen treten in einer Reihe an. Dann suchst du dir eins aus und nennst deinen Preis.“ So schildert der Informant einer türkischen Zeitung den Ablauf eines ganz besonderen Geschäfts, das angeblich in Ost- und Südostanatolien blüht. Männer, die keine Frau finden, kaufen sich demnach ein junges Mädchen aus einer armen Gegend. Der Preis für die illegale Hochzeit mit einer Kinderbraut liege zwischen 400 und 2000 Euro. Die Nachricht lässt Experten aufhorchen, denn die altbekannte Sitte, Mädchen und Jungen früh miteinander zu verheiraten, hat meistens keine finanzielle Motive – viel stärker sei die Macht der Tradition. Die Kinder leiden jedoch so oder so.

Laut der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ führen Vermittler die Interessenten in südostanatolische Dörfer und bieten eine Auswahl an Mädchen für eine Heirat. „Die Mädchen habe keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren“, sagte der Informant aus dem zentralanatolischen Corum der Zeitung. Tausende junge Mädchen werden demnach jedes Jahr regelrecht verscherbelt. Behördlich oder wissenschaftlich untermauerte Erkenntnisse dazu gibt es nicht.

Dass es in der Türkei ein Problem mit Kinderbräuten gibt, ist nicht neu. Dass es einen schwunghaften Handel mit minderjährigen Mädchen zwecks – illegaler – Verheiratung geben soll, ist es schon. Bisher waren nur Einzelschicksale wie das der heute 44-jährigen Beyaz Divarci bekannt. Sie schilderte vor zwei Jahren, wie sie schon als 15-jährige von ihren Eltern gegen Bezahlung einem wesentlich älteren Mann zur Frau gegeben wurde. „Er kaufte mich wie eine Kuh“, sagte sie.

In den meisten Fällen regeln die Familien eine Eheschließung von Minderjährigen, immer seltener wird dabei Brautgeld bezahlt, hin und wieder tauschen zwei Familien auch Bräute aus. Hintergrund sind die archaischen Moralvorstellungen in manchen Teilen der türkischen Provinz, sagte Irfan Güven, der Präsident der Anwaltskammer im südosttürkischen Sanliurfa, unserer Zeitung. Eine frühe Verheiratung wird demnach als Schutz für ein Mädchen und die Familienehre gesehen.

Die Eheschließung erfolgt meist in einer religiösen Zeremonie, die gesetzlich keinen Bestand hat. Nach türkischem Recht gelten sexuelle Kontakte mit Kindern unter 15 Jahren als Straftat; das Mindestalter für eine Heirat liegt bei 17 Jahren.

Laut einer Untersuchung des türkischen Parlamentes aus dem Jahr 2009 heiratet jede siebte Frau in der Türkei vor ihrem 18. Lebensjahr. Die Gesamtzahl der Bräute unter 18 Jahren liege bei 5,5 Millionen. Laut Medienberichten werden mindestens sieben Prozent der türkischen Mädchen von ihren Eltern vorzeitig aus der Schule genommen, um sie zu verheiraten.

Ein Mädchen aus dem ostanatolischen Adiyaman sagte nun in „Cumhuriyet“, sie habe vor ihrer Hochzeit vor zwei Jahren ihren Ehemann nicht einmal gekannt. Nun hat das Mädchen selbst eine Tochter – und wünscht sich, das Kind wäre ein Junge: „Wenn du ein Mädchen bist, fängt das Leid schon bei Geburt an.“ In jüngster Zeit hatten Selbstmorde von verzweifelten Kinderbräuten die Öffentlichkeit aufgeschreckt.

Der Anwalt Özer Akpinar aus Corum bestätigte unserer Zeitung gegenüber, dass es in der Gegend einige Kinderbräute gebe, wenn auch nicht viele. Die Justiz in der Provinz untersuche derzeit einige Fälle. Bei einer Anklage fallen die Beteiligten häufig aus allen Wolken, weil „die Leute das nicht als Straftat sehen“, wie Anwalt Akpinar sagte.

„Es ist vor allem ein Problem fehlender Bildung“, sagt auch Akpinars Kollege Güven aus Sanliurfa. Mehr Aufklärung sei ein wirksamer Weg, Missstände zu bekämpfen. So werde heute viel seltener Brautgeld bezahlt als früher. Der von der Zeitung „Cumhuriyet“ herausgestrichene Gedanke, Kinder im wahrsten Sinne des Wortes zu verkaufen, sei den Menschen in Südostanatolien aber ohnehin fremd, sagte Güven unserer Zeitung. Er sieht den Bericht des Istanbuler Blattes vor allem als Ausdruck der Arroganz, mit der einige im Westen der Türkei auf den armen Osten herabblicken.

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