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Panorama: 60 Sekunden Todeskampf

In Texas wurde bei einem Kleinkind die Beatmung eingestellt – nach einem Gesetz von George W. Bush

Houston - Als der fünf Monate alte Sun Hudson seinen letzten Atemzug tat, standen vor dem Kinder-Hospital im texanischen Houston weder Demonstranten noch Fernsehkameras. Anders als im Fall Terri Schiavo gab es auch keine Stellungnahme des Präsidenten oder den Versuch des US-Kongresses, mit einem Eilgesetz die künstliche Beatmung des kleinen Jungen weiterzuführen. Und: Sun Hudson war ein Kind, dessen Gehirn – anders als bei Terri Schiavo – noch voll funktionsfähig war. Der Junge litt an einem unheilbaren genetischen Defekt, der zu Zwergenwuchs führt und aufgrund stark unterentwickelter Lungen fast immer irgendwann tödlich endet.

Der Fall erregt erst jetzt größere Aufmerksamkeit. Seine Mutter Wanda, eine von Sozialhilfe lebende allein erziehende Frau, kämpfte bis zum letzten Tag um das Leben ihres Sohnes: „Bitte gebt ihm Zeit, sich zu entwickeln.“

Doch ihr Appell stieß auf taube Ohren. Die Ärzte und Verwaltungsangestellten des Kinderkrankenhauses von Houston entschieden im März gegen den Willen der Mutter, den Beatmungsschlauch zu entfernen und damit auch eine Behandlung zu beenden, die für die Klinik nur Kosten, aber keine realistische Heilungschance versprach. 60 Sekunden dauerte nach offiziellen Krankenhausangaben der Todeskampf des Kindes, dann war Sun Hudson in den Armen seiner Mutter erstickt. „Er hat gestrampelt und wollte unbedingt leben“, sagt sie.

Die Kinderklinik hatte damit erstmals von einem bisher wenig bekannten Gesetz Gebrauch gemacht, das im Jahr 1999 ausgerechnet jener Gouverneur unterzeichnet hatte, der sich vor wenigen Tagen noch als US-Präsident massiv für die Koma-Patientin Terri Schiavo und eine Wiederaufnahme ihrer künstlichen Ernährung stark gemacht hatte: George W. Bush. Dieses Gesetz ermöglicht es dem so genannten „Ethik-Ausschuss“ eines Krankenhauses, bei entsprechenden Empfehlungen der behandelnden Ärzte auch gegen den Willen der Eltern oder Bevollmächtigten des Patienten lebenserhaltende Maßnahmen einzustellen. Den Angehörigen muss allerdings zuvor die Option gegeben werden, den Kranken in ein anderes Hospital verlegen zu lassen.

Doch Wanda Hudson hatte diese Möglichkeit nicht. Innerhalb der vom Kinderkrankenhaus gesetzten Zehn-Tages-Frist wurden rund 40 andere Hospitäler kontaktiert, doch keines war bereit, dem Wunsch der Mutter nach weiterer Pflege zu entsprechen.

Ein von ihr noch angerufenes Gericht gab der Klinikleitung Recht: Von einer Fortsetzung der Beatmung profitiere niemand. Eine Aussage, die Wanda Hudson, aber auch neutrale Beobachter nicht nachvollziehen können: „Wie kann man sagen, dass eine künstliche Beatmung unsinnig ist, wenn sie das Kind in den letzten Monaten am Leben gehalten hat?“, fragt jetzt die Tageszeitung „Houston Chronicle“.

Der Versuch der Mutter, die amerikanischen Medien für das Schicksal ihres Sohnes zu interessieren, scheiterte damals: Am Tag, als ein Arzt in Houston den Beatmungsschlauch entfernte, hielt in Washington der Kongress gerade seine spektakuläre Nachtsitzung ab, um ein Gesetz nur für Terri Schiavo zu verabschieden.

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