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Panorama: Abba lässt grüßen

Eine Griechin mit Sex-Appeal hat gewonnen, die Deutsche Gracia landete auf dem letzten Platz - das haben sie sich verdient

Langsam werden sie unheimlich, diese Griechen. Erst gewinnen sie die Fußball-Europameisterschaft, dann richten sie Olympia aus, und jetzt sind sie auch noch „Number One“ auf dem kontinentalen Pop-Markt – die Hellenisierung Europas schreitet mächtig voran. Und der Sieg war nicht einmal unverdient: Helena Paparizou, eine südeuropäische Ausgabe von Jennifer Lopez, hat ihre Pop-Lektion brav gelernt und alle erfolgversprechenden Zutaten für einen Euro-Hit fleißig zusammengerührt. Als Basis nehme man einen fetten, angesagten Dance-Groove, füge hie und da verzerrte Strom-Gitarren hinzu und schmecke mit einigen Prisen folkloristischem Bouzuki-Klang und Sirtaki-Schritt ab.

Viele Zuschauer fühlten sich bei den ebenfalls sehr erfolgreichen Beiträgen der osteuropäischen Länder an Westhits der Siebziger und 80er Jahre erinnert. Man sah Abba förmlich vor sich. Kopiert Osteuropa den alten Westen?

Das ist also der europäische MegaTrend: tanzbarer, hochtechnisierter West-Pop plus Folklore-Einsprengseln aus dem Osten. Die Perkussions-Front hat schwer aufgerüstet, es wird getrommelt, was die Felle hergeben, vornehmlich von athletischen, 6-Pack gesegneten Jünglingen, dazu erklingen ländliche Weisen auf allerlei Sackpfeifen, Krummhörnern und worauf sich sonst noch archaisch blasen lässt. Besonders einfallsreich zeigten sich die Rumänen, die kurz vor der Show noch einen örtlichen Baumarkt leer gekauft hatten und mit diversen Elektro-Werkzeugen die Funken stieben ließen, was ihnen immerhin Platz 3 einbrachte.

Natürlich gab es auch diesmal wieder so manche Beweise tiefer Völkerfreundschaften zu bestaunen. Die „Balkan-Connection“ funktionierte während der Punktevergabe wieder reibungslos; betrachten wir exemplarisch die Wertung der sympathischen Mazedonier: 12 Punkte für Albanien, 10 für Serbien-Montenegro und 8 für Kroatien. Oder das aufstrebende Slowenien: 12 für Kroatien, 10 für die serbischen Nachbarn und 8 für Bosnien- Herzegowina. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass sich die früheren sowjetischen Teilstaaten immer noch erstaunlich nahe stehen, und das es für das Verhältnis der skandinavischen Länder eigentlich nur ein Wort gibt: Liebe. Tiefe, unverbrüchliche Liebe.

Und wer liebt uns? Deutschland? Unsere Sängerin Gracia? Niemand, nirgends, NADA. Die deutsche Teilnehmerin Gracia Baur ist mit dem Titel „Run & Hide“ auf dem 24. Platz des Contest gelandet. Dem letzten. Lachnummer Deutschland. Das dürfte jene abschrecken, die ihrer Tochter statt eines Reitpferds einen Nummer-1-Platz in den deutschen Single-Charts kaufen möchten.

Gracias Song wirkt wie ein Abbild der Lage der Nation. Es findet sich keine, wie auch immer geartete originelle Idee, das Ganze rockt ranzig und mittelmäßig drei Minuten vor sich hin – völlig orientierungs-, perspektiv-, und ambitionslos. „Einer muß ja Letzter werden“, meinte Gracia denn auch, und: „Immer noch besser als Vorletzter!“

Darüber könnte man mal nachdenken. Wenigstens sicherte ihr Name – Gracia – 2 Punkte aus Monaco. Dafür reichten wahrscheinlich zwei Sms aus: Danke, Schumi! Danke Boris! Und Moldawien, das Land mit der kleinen deutschen Minderheit.

Die halten wenigstens noch zu uns. Etwas ist gründlich schief gelaufen, bei den Deutschen, aber auch bei den anderen „großen Beitragszahlern“ der Eurovision, den dauer-qualifizierten England, Spanien und Frankreich. Einträchtig finden sie sich auf den letzten Plätzen 21, 22, 23 und 24 wieder. Vielleicht sollte man den vieren ihr Beitragszahler-Privileg wegnehmen und schon im Vorfeld der Konkurrenz aussetzen?

Der deutsche Eurovisions-Chef Dr. Meier-Beer (NDR) hat schon am Sonntag Konsequenzen angekündigt. Damit Deutschland im nächsten Jahr nicht wieder vor ganz Europa zur Blamage wird, will er dringend den Auswahlmodus überarbeitet sehen, hier sei die Musikwirtschaft besonders gefragt. Ein Star muß her, ein wirklicher Star. Und damit der dann in Athen eine Gewinnchance hat, sollten die Verantwortlichen auch über die Punktevergabe nachdenken. Wäre nicht eine Kopplung der zu vergebenen Punkte an die Einwohnerzahl des Landes zumindest denkbar? Noch vergibt das idyllische Andorra genauso „Douze Point“ wie das nicht ganz so idyllische Russland mit vieltausendfach größerer Bevölkerung.

Aber das hilft nur etwas, wenn Deutschland das nächste Mal eine Sängerin schickt, die singen kann.

Mit verkniffenem Lächeln zeigte sich die deutsche Sängerin Gracia nach ihrem schlechten Abschneiden.

Ein Küsschen von der Siegerin bekam der ukrainische Staatspräsident Juschtschenko , dem diesjährigen Gastgeber des Contest.

Jörn Wöbse

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