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Panorama: "abgehängt": Deprimierend wie Nudelsalat

Sie hat eine angenehme Melodie, die Prosa Birgit Vanderbekes, sie zieht den Leser mit in ihrem Fluss, so leicht geht es dahin, dass fast zweitrangig scheint, was erzählt wird. Im neuen Buch ist das der Alltag einer erfolgreichen Schriftstellerin, die die Schattenseiten des Ruhmes erfährt.

Sie hat eine angenehme Melodie, die Prosa Birgit Vanderbekes, sie zieht den Leser mit in ihrem Fluss, so leicht geht es dahin, dass fast zweitrangig scheint, was erzählt wird. Im neuen Buch ist das der Alltag einer erfolgreichen Schriftstellerin, die die Schattenseiten des Ruhmes erfährt. Dabei bleibt offen, was schlimmer ist, die anonymen Anrufe, das Beobachtetwerden oder die lästigen Fragen eines Deutsch-Leistungskurses zu ihrem Buch "Als ob".

In diesem Alltag gibt es eine Katze namens Sphinx, eine Tochter Simmy in dem Alter, wo man nach Himbeer duftende Lippenstifte noch vor der Mutter versteckt, die eine oder andere Freundin und Serge, den Mann, als Jazzgeiger auf Tour. Dann ist da noch Meyer-Bromberger, mit allen Lifestyle-Wassern gewaschener Agent oder Verleger, "der immer genau dort sitzt, wo man gerade zu sitzen hat", und seiner Autorin Skandalöses abverlangt. Er repräsentiert die "Geldreligion", die Gegenwart, in der nur das Schnelle zählt, der Remix, der "möglichst wenige Gedanken enthält, weil Gedanken zu sehr an die Avantgarde erinnerten..."

Dagegen ist der echte alte Jazz gesetzt, den Serge und sein Freund Eddie spielten, bis Eddie zu Tode kam in einer Geschichte, die mehr nach Verrat als nach Kokain aussieht. Eddies Tod war der Anlass zu dem Buch "Als ob". Aus diesem Material wird die knappe Erzählung entwickelt. Kleine, präzise formulierte Alltagsdialoge wechseln sich ab mit erinnernd-reflektierendem Erzählen. Zwischendurch verdichtet sich das Material, in Wiederholung und Variation, zu Clustern aus vorher mit Bedeutung aufgeladenen Schlüsselwörtern. Das zentrale Bild ist die Kugel, die nach oben rollt, eine Kampfansage an die von Ursache und Wirkung bestimmte Realität. Und ein John Cage-Zitat: "Die Erde entgeht dem Himmel nicht."

Die Glätte dieser Prosa weckt aber auch Widerstand, und das hängt mit der Naivität im Ton zusammen. In Vanderbekes Erzählung "Muschelessen" (Ingeborg-Bachmann-Preis 1990) ist dieser Ton passend und kraftvoll angeschlagen - ein kindliches "Wir" erzählt gegen den zu demontierenden Vater an. Auch "Friedliche Zeiten" ist schlüssig aus Kindersicht erzählt. Problematisch wird der Vanderbeke-Ton mit "Gut genug" (1993). Hier wird die Erzählerin Mutter, wechselt also schon aus biologischen Gründen auf die andere Seite der Front (wie das übrigens allen so geht, irgendwann), aber die Sprache wechselt nicht mit, der Ton bleibt naiv, die Sätze machen nach wie vor, wie bei einem Kind, das eigene Ich zum Gesetz.

"Ich hatte nach den paar Jahren gelernt, so zu tun, als ob ich die Mutter wäre". Das "als ob" wächst aus dem Trotz gegen die andern, die offenbar wissen, wie das Muttersein geht, und deshalb satirisch niederzumachen sind. Auch für die Heldin des großen Erfolgs "Alberta empfängt einen Liebhaber" ist das Erwachsensein "deprimierend wie Nudelsalat und Schrebergarten". Sie lebt wie "zum Üben für wenn es dann richtig losgeht." Und jetzt, in "abgehängt", ist die Erzählerin Mitte Vierzig, das Leben aber nach wie vor etwas, das ihr von andern zugemutet wird. Immer noch ist die Realität eine Beleidigung, auch das Älterwerden. Sie fühlt sich "abgehängt", so wie Serge und Eddie mit ihrer Musik abgehängt sind, und wenn die Tochter sie in Mathe zum alten Eisen zählt, dann ist das gar nicht wirklich lustig, "und Serge und ich werden eines Abends wieder nicht wissen, ob Spots und Clips und Labels und Geldgesetze tatsächlich das einzige sind, was in die Zukunft gehört, bloß weil die Zeit sich mit Überschallgeschwindigkeit in die Zukunft stürzt und alles abhängt, was vorher war...".

Klar, das ist das das Thema des Buches - der Glaube an "Kugeln, die nach oben rollen", in einer Welt, die aus "Ursachen und Wirkungen besteht". Die Weigerung, erwachsen zu werden, produziert dabei viel originelle und witzig vorgebrachte Zeitkritik. Aber dahinter verbirgt sich - mit wenig Erfolg - das Selbstmitleid der für diese böse Welt nicht Zuständigen. Nicht einmal für den Erfolg ihres Buches übernimmt die Erzählerin die Verantwortung, der ist "ein Missverständnis". Trotzdem wird ständig über das Buch im Buch gesprochen, in dieser Welt des "als ob", und wenn dann festgestellt wird, "dass überhaupt nichts, was auf dem Papier steht, etwas Lebendiges ist", mag man nicht widersprechen und bedauert, dass auch intelligente Beobachtungen durch den naiven Ton verniedlicht werden.

"Es ist häufig so, dass man erst nach und nach merkt, dass etwas, worüber man nachdenkt, gar nicht so selten vorkommt, wie man denkt, dass es in Wirklichkeit vorkommt." So redet man nicht mit einem erwachsenen Leser, nicht einmal mit einem Deutsch-Leistungskurs.

Eva Leipprand

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