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Panorama: Abschied – mehr als ein Wort

Der Psychoanalytiker Micha Hilgers über Trennungen per SMS

Die Möglichkeit ist verlockend: Eine knappe SMS, ein flottes Fax oder eine nüchterne Mail – und Schluss ist mit dem Partner und langen Gesprächen, Tränen oder endlosen Vorwürfen. Die elektronische Entsorgung einer Liebesbeziehung als neuer Trend? Für Klatschspaltenstars bietet sich zudem die Interviewform an, um dem ehemaligen Partner wehzutun – die Öffentlichkeit erfährt das Ende aus der Boulevardpresse.

„Es ist aus zwischen uns", „Schatz, du hast einen besseren Mann verdient" – wie man sich trennt, das sagt viel über die Streitkultur der vergangenen Beziehung aus. Denn ob Freundschaft oder Liebe, die Qualität der Beziehung steht und fällt nicht etwa mit Harmonie und Einigkeit, sondern mit ihrer Streitkultur. Pointiert formuliert könnte sich ein Paar zu Beginn der Liebe fragen, wie es sich trennen will. Wenn über Streit und eventuelle Trennung Einigkeit erzielt werden kann, können es die beiden miteinander versuchen. Das tut natürlich in der Regel kaum jemand, wer will am Anfang schon über das Ende reden.

So, wie die Beziehung lebt, stirbt sie auch. Wenn zwei respektvoll miteinander umgehen, dann streiten sie sich auch respektvoll – und trennen sich respektvoll.

Paare, die sich nicht streiten können, werden unweigerlich innere Konten über die Missetaten des anderen anlegen – mit der Folge von Ressentiments und latenter Feindseligkeit. Nach heftigen, gelingenden Streitereien hingegen landen viele Liebende nicht selten im Bett und haben den berühmten guten Sex.

Anders verhält es sich bei unüberbrückbaren Konflikten, die den Kern der Beziehung betreffen. Wenn alle Auseinandersetzungen die gemeinsamen Projekte des Paares nicht fördern und die Basis der Liebesbeziehung verloren gegangen ist, bleibt den beiden im günstigen Fall eine Vergangenheit, die es zu wahren und zu respektieren gilt. Beide Beteiligten können zwar nicht unbeschadet, aber immerhin persönlich integer aus einer gescheiterten Paarbeziehung hervorgehen, wenn ihnen der Respekt vor dem anderen bleibt. Dieser Respekt vor dem anderen und der verflossenen Liebe wird zur Voraussetzung für einen späteren Neubeginn: Die Liebe dem anderen gegenüber bleibt Teil der persönlichen Vergangenheit, die die Gestaltung einer veränderten Zukunft erst ermöglicht. Der Versuch, den anderen im Zuge der Trennung zu vernichten, wirkt wie ein Suizidversuch gegenüber eigener Geschichte.

Mehr als die ersten Begegnungen stellt die Trennung das Paar vor die schwerste Belastungsprobe. Denn anders als bei den alltäglichen Konflikten steht nicht nur die Beziehung auf dem Spiel, sondern vor allem ein Teil der Vergangenheit jedes Partners: Nur wenn etwas bleibt von der ursprünglichen Liebe und Idealisierung des anderen, werden beide die gemeinsame Zeit nicht einfach als verlorene Jahre empfinden. Es geht also nicht nur um die Liebesbeziehung, die eventuell endgültig verloren ist, sondern um das für das Selbsterleben so wichtige Gefühl der Kontinuität – der Integration der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft.

Viele Paare trennen sich jedoch erst, wenn auch das letzte Stück Gemeinsamkeit und Liebe zerstört ist. Das hat den psychischen Vorteil, den dann anscheinend nur bösen anderen ohne Trauer und Schmerz verlassen zu können. Zorn und Hass erleichtern die scheinbar schmerzlose Trennung, weil es nicht lohnt, um jenen ignoranten, nur schlechten Partner eine Träne zu vergießen. Der Mangel an Ambivalenz bei solchen Trennungsprozessen führt unweigerlich zur Vernichtung des Bildes vom einst geliebten anderen und zur Tabuisierung der gemeinsamen Zeit.

Trennung geht nicht ohne seelischen Schmerz ab – und häufig noch nicht einmal ohne begleitende körperliche Symptome. Das Aushalten des Hin und Hers einer länger währenden Trennung, die gemeinsame Rückschau und die Bilanz, dass es gemeinsam nicht geht, stellen eine schwere psychische Belastung für beide Partner dar. Was Wunder, dass solche Konflikte für viele Menschen kaum erträglich scheinen und bisweilen eine hoffnungslose Überforderung darstellen. Da mag dann der rasche Schnitt, das oberflächliche knappe „es ist aus" über sonst unerträgliche Spannungen hinweghelfen. Weshalb es auch keine Allwetterrezepte für die ideale Trennung geben kann.

Wer kneift, schadet sich

Wer seinen Partner in knapper Form aus seinem Leben entfernen will, hat Angst vor Intimität, Angst vor dem eigenen Schmerz und Angst vor dem eigenen Schuldgefühl, dem anderen mit der Trennung Schmerz zuzufügen. Manche Menschen können nicht anders, weil sie sich den Konflikten und Spannungen nicht gewachsen fühlen. Der Nachteil, den sie erleiden, besteht darin, dass sie die Beziehung nicht wirklich beerdigt haben. Zu jeder Beerdigung gehört schmerzliche Trauer. Vergangene Liebhaber bleiben so lange Wiedergänger, wie sie nicht in der persönlichen Vergangenheit einen Platz gefunden haben und damit wirklich begraben sind.

So paradox es klingt: Ein Neubeginn mit einem neuen Partner wird am ehesten gelingen, wenn die vorhergehenden Lieben beerdigt sind, und damit einen Platz haben, zu dem man zurückkehren kann, wie zu einem Grabstein. Die Trauer um das Vergangene und Verlorene macht die Zukunft erst möglich. Wirkliche Intimität eines Paares konfrontiert immer mit menschlicher Endlichkeit. Denn gerade wenn die Liebe anhält, verweist sie darauf, dass die Liebenden irgendwann Abschied voneinander nehmen müssen. Der Todesgewissheit mag man durch immer neue Liebesbeziehungen zu entkommen versuchen – mit Trennungen, die so wenig intim verlaufen wie die Beziehung selbst.

Micha Hilgers ist Psychoanalytiker in Aachen. Er schrieb unter anderem „Leidenschaft, Lust und Liebe. Psychoanalytische Ausflüge zu Minne und Missklang". Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001.

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