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Panorama: Abschied von der Gräfin

Marika Rökk ist tot. Sie war der Revue-Star des „Durchhaltefilms“ und nach dem Krieg die bundesdeutsche Operetten-Diva

Sie war die Gute-Laune-Königin der Ufa in einer Zeit, die zu erinnern eher schlechte Laune hervorruft. Entsprechend emotionsgeladen und widersprüchlich sind die Meinungen der Filmgeschichtsschreibung über Marika Rökk. Natürlich lässt sich nicht bestreiten, dass Goebbels dem später so genannten „Durchhaltefilm“, der seichten Unterhaltung jenseits von Krieg und Hakenkreuzfahne, die Funktion eines Sozio-Tranquilizer zugedacht hatte. Wenn sich aber der Filmgeschichtler Dietrich Steinbeck in einem Aufsatz über den NS-Revuefilm fassungslos „fragt, warum ein Publikum angesichts der Friedenszeit-Illusionen (...) nicht nur nicht protestierte, sondern sich offenbar – für 90 Kinominuten – miternährt und mitgekleidet fühlte“, dann muss ihm schon ein gerüttelt Maß Weltfremdheit bescheinigt werden.

Neunzig Minuten Pause von den eigenen Alltagsnöten zu genießen, bedeutete noch lange nicht, die Sichtweise des Propagandaministers zu übernehmen. Zu den einleuchtenden Unterschieden frage man Zeitzeugen aus dem gemeinten Publikum – das sieben Jahre nach Eliminierung des Nazi-Spuks belegte, wie extrem Marika Rökk die Geister schied. Bei einer Umfrage unter Kinobesuchern im April 1952 landete sie auf die Frage „Welche Darsteller wollen Sie nicht mehr sehen?" hinter Zarah Leander auf Platz zwei. Interessanterweise nahm sie auf die Frage „Welche Darsteller bevorzugen Sie?" ebenfalls Platz zwei ein, hinter Ingrid Bergmann.

Das eigentliche Rökk-Comeback jedoch fand 1957 seine repräsentative Bestätigung: Nach dem Erfolg ihres Revuefilms „Nachts im grünen Kakadu“ wollten sie 73 Prozent des Publikums unbedingt weiterhin auf der Leinwand erleben. Dennoch sollten es in der Folge – vom Nachkriegs-Werbeklassiker für „Hormocenta“-Schönheitscreme mal abgesehen – hauptsächlich Bühnen- und Fernsehauftritte werden, in denen Marika Rökk ihren einstigen Starruhm zu reanimieren suchte, oft als „Gräfin Mariza“.

Geboren wurde Marie Karoline Rökk am 3. November 1913 als Tochter ungarischer Eltern in Kairo. Ihre frühe Kindheit verbrachte sie in Budapest. Nach der Übersiedlung der Familie nach Paris erhielt sie eine solide Tanzausbildung und reiste schon im Alter von 13 Jahren als Revuestar durch Europa und Amerika. Ihre eigentliche Filmkarriere begann 1930 in England mit „Kiss Me, Sergeant“. Ernst Marischka holte die junge Künstlerin schließlich für die Zirkusrevue „Stern der Manege“ nach Wien, wo sie 1934 von einem Talentsucher der Ufa entdeckt wurde. Daraufhin wurde sie neben Johannes Heesters und Zahra Leander zum neuen Star des deutschen Films in Nazi-Deutschland. Den Starruhm verdankte sie nicht zuletzt einem eingeschworenen Team, allen voran Leib- und Magenregisseur Georg Jacoby, den sie 1940 heiratete. Gemeinsam erfanden sie „die Rökk“, dabei ins verpönte Ami-Land schielend, nach den aufwendigen Show-Inszenierungen eines Busby Berkeley und dem Wirbelwind-Image der swingenden, steppenden Eleanor Powell. Rückblickend lobten Filmhistoriker die „technisch stupende Tänzerin amerikanischen Formats“, die Achtundsechziger moquierten sich über das „Sportmädel als Poltergeist“. Den selten höflich, oft hämisch geschilderten Eindruck einer gewissen Plumpheit führt die italienische Germanistin und Kulturwissenschaftlerin Cincia Romano achselzuckend darauf zurück, dass die Rökk „aus dem Zirkusmilieu kam, und wenn man dort im Trab auf einem Lipizzaner stehen muss, dann erfordert das eher stahlharte Muskeln als Schwung und lange Beine“. Stamm-Kameramann Konstantin Tschet ließ angeblich den Studioboden aushöhlen, um aus einer Regenwurmperspektive die schmeichelhaftesten Bilder schießen zu können.

Die annähernd generalstabsmäßig durchgezogene Marika-Masche ließ ohnehin nur leichte Variationen zu: Ein immer gleiches Drehbuchschema schickte sie als fiktiven Bühnenstar durch eine Fabel banaler Intrigen, Verwechslungen oder Missverständnisse, bis sie am Ende im überwältigenden Arrangement einer Schlussrevue brillierte, nicht ohne zuvor den Mann fürs Leben gewonnen zu haben. Ausgerechnet zwischen 1940 und 1944 entstanden Erfolgsfilme wie „Die Frau meiner Träume“, „Kora Terry“ oder – als erster abendfüllender Farbfilm der Ufa „Frauen sind doch die besseren Diplomaten“.

Und als wollte man den Bomben im Feld besonders zuckrige Bonbons an der Heimatfront entgegenstellen, komponierten Franz Grothe und Peter Kreuder dafür einige ihrer fabelhaftesten Evergreens. Schlager wie „Musik, Musik, Musik“, „In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine“, „Wenn ein junger Mann kommt“ oder „Für eine Nacht voller Seligkeit“ gehören zu Marika Rökks haltbarstem Nachlass. Mittlerweile werden diese Titel verjazzt und witzig parodiert, natürlich mit ungarischem Akzent, auf dass die Original-Interpretin weiterlebe. Kann sich eine Diva mehr wünschen? Marika Rökk starb am Sonntag im Alter von 90 Jahren in Baden bei Wien.

Norbert Tefelski

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