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„Ich gehörte zu den Träumen.“ Sylvia Kristel, hier 1975 bei den Filmfestspielen in Cannes. Foto: AFP

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Panorama: Abschied von Emmanuelle

Sylvia Kristel ist tot – mit ihrem verlegenen Habitus verhalf sie einst dem Softporno zum Durchbruch.

Wenn eine Erotikdarstellerin von sich behauptet, sie sei schüchtern und religiös und habe eigentlich Lehrerin werden wollen, dann glaubt ihr niemand. Sylvia Kristel konnte man es glauben. Sie strahlte in ihren Nackt- und Sexszenen eine angenehme, fast anrührende Biederkeit aus. Der Kontrast zwischen äußerlichem Exhibitionismus und gleichzeitigem „Huch, was mache ich hier eigentlich?“, zwischen Schamlosigkeit und Verlegenheit, dürfte der Schlüssel zu ihrem Erfolg gewesen sein. Ausziehfreudig waren viele Jungschauspielerinnen in den siebziger Jahren, aber nur wenige brachten es damit so weit wie Sylvia Kristel, die Hotelierstochter aus dem niederländischen Utrecht, die jetzt kurz nach ihrem 60. Geburtstag verstorben ist.

Ihren internationalen Durchbruch erlangte sie mit Just Jaeckins „Emmanuelle“ (1974), einem in Thailand spielenden Softporno, dem der Katholische Film-Dienst damals sachkundig attestierte: „Er unterscheidet sich von früheren, insbesondere den vulgären deutschen Sexproduktionen durch sein hohes Budget, die kunstgewerbliche Inszenierung, eine gewisse pseudophilosophische Attitüde und die elegante Besetzung.“

Ungewöhnlich an Emmanuelle war, dass sie zur sexuellen Erfüllung keine Männer benötigte. Sie hatte auch alleine oder mit Frauen ihren Spaß. Die Reihe ist bis 1993 fortgesetzt worden, mit Titeln, die unfreiwillig parodistisch klingen: „Goodbye Emmanuelle“, „Die Rache der Emmanuelle“, „Emmanuelle in Venedig“, „Emmanuelle in Tibet“, „Das Parfüm der Emmanuelle“ und „Emmanuelle im siebenten Himmel“. Das Ausziehen überließ sie zuletzt jüngeren Kolleginnen, sie selbst schwebte mehr als der gute Geist über dem Geschehen. Kristel selbst urteilte 2006 in ihrer Autobiographie: „Ich war eine sprachlose Schauspielerin, ein Körper. Ich gehörte zu den Träumen, dorthin, wo nichts zerstört werden kann.“

Kristel hat auch mit ein paar seriösen Regisseuren wie Walerian Borowczyk und Roger Vadim zusammengearbeitet, allerdings ohne bemerkenswerte Ergebnisse. Claude Chabrols „Alice ou la derniere fugue“ (1977) kam nie in die deutschen Kinos. Zwischendurch rief Hollywood, aber so richtig entfalten konnte sie sich hier nicht. Es blieb dem Emmanuelle-Schöpfer Just Jaeckin überlassen, ihren – relativ – besten Film zu inszenieren: „Lady Chatterleys Liebhaber“ (1981) ist eine in jeder Hinsicht delikate Softsex-Adaption von D.H. Lawrence’ Roman, die seinerzeit kein Publikum fand – zu harmlos für Softporno-Liebhaber und zu pornografisch für gebildete Zuschauer –, die aber später in verschiedenen Internetforen Anerkennung gefunden hat.

In den 80er Jahren drehte Kristel nach eigenen Bekenntnissen nur noch, um Geld für ihren Drogenkonsum zu bekommen. Zudem kämpfte sie jahrelang mit Alkoholproblemen. Sie war - wie es Regisseur Jaeckin am Donnerstag formulierte - „eine besondere Frau, die von der Erfolgswelle weggerissen wurde“. Das „Brandzeichen Emmanuelle“ sei sehr hart gewesen.

Sylvia Kristel ist zweimal verheiratet gewesen und hatte einen 1975 geborenen Sohn aus einer nicht ehelichen Beziehung. Sie ist noch lange in Fernsehfilmen aufgetreten, zuletzt in Italien, mit derselben erotischen Ausstrahlung wie zu „Emmanuelle“-Zeiten. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Kristel in Amsterdam. Vor zehn Jahren erkrankte sie erstmals an Kehlkopfkrebs. Die Krankheit kam im vergangenen Jahr zurück. Im Juli erlitt sie zudem einen schweren Schlaganfall. „Sylvia starb im Schlaf“, sagte ihre Sprecherin Emma Onrust.

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