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Zwischen Idylle und Hölle. Auf die Halbinsel Gnitz ziehen sich Menschen zurück, die ihre Ruhe haben wollen.

© picture-alliance/Dumont

Alarm auf Usedom: Die Insel und die Bombe

Eine Geschichte um CDU-Politiker, zugewanderte Investoren, Ölbohrungen und verstockte Alteingesessene.

Selten hat eine Polizeimeldung mit der Überschrift „Entwarnung“ ein ganzes Dorf in helle Aufregung versetzt. Doch genau das ist am Dienstag in dem kleinen unbekannten Neuendorf auf der Insel Usedom passiert. Immer wieder drehen die Bewohner ihr Radio bei den Nachrichten lauter oder lesen die Mitteilung des Polizeipräsidiums Neubrandenburg auf dessen Internetseite. Demnach hat sich die am Montag an der Türklinke des Ferienhofes gefundene Bombe als „Übungsmunition aus dem Zweiten Weltkrieg“ erwiesen. „Der Inhalt bestand aus einer sogenannten Übungsmasse. Der Zünder konnte ebenfalls als Übungszünder klassifiziert werden. Insofern bestand zu keinem Zeitpunkt eine Lebensgefahr“, teilte die Polizei mit.

Allerdings mussten selbst die erfahrenen Munitionsentschärfer die zunächst als „verdächtigen Gegenstand“ bezeichnete Bombe erst in ihre Einzelteile zerlegen, um die vermeintliche Entwarnung zu geben. Beim ersten Blick auf den verrosteten Stahlmantel rechneten auch sie mit dem Schlimmsten: Beim Herabfallen der Bombe nach dem Drücken der Türklinke hätte sie explodieren und Menschen in den Tod reißen können.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden diese Kleinbomben vom Typ SD 1 in großer Zahl aus Flugzeugen auf gegnerische Stellungen abgeworfen, wo sie dann nach dem Aufschlagen auf dem Boden explodierten. Eine unterschiedliche Farbgebung unterschied die Übungsmunition von den scharfen Geschossen. „Im Laufe der Jahrzehnte hat der Rost die Farben verwittern lassen“, hieß es vom Munitionsbergungsdienst. Nun aber geht die Angst in Neuendorf um, dass der Täter diesen Unterschied gar nicht wissen konnte und daher den möglichen Tod von Einwohnern oder Urlaubern tatsächlich in Kauf nehmen wollte.

Über dem ganzen Dorf liegt jetzt eine unheimliche Drohung.

Der Chef des Ferienhofes, der die an der Türklinke befestigte Bombe selbst entdeckt und sofort die Polizei verständigt hatte, ringt am Dienstag noch um Fassung. „Wir passen natürlich jetzt viel mehr als sonst auf“, sagt Claus-Christoph Ziegler. Der aus Thüringen stammende Architekt hatte im Jahre 2002 das ziemlich verfallene Gutshaus aus dem Jahre 1850 gekauft und es bis 2005 aufwendig nach alten Plänen saniert. Bis in die obersten Spitzen der Landesregierung gab es Lob und Anerkennung für die denkmalgerechte Instandsetzung. In acht Ferienwohnungen fühlen sich vor allem Urlauber wohl, die dem Trubel in den bekannten Seebädern zwischen Zinnowitz und Ahlbeck auf Dauer entfliehen wollen.

Der Täter konnte nicht wissen, dass die Bombe nicht explodieren würde

Neuendorf liegt versteckt auf dem Weg zur Halbinsel Gnitz, die vor allem am Achterwasser viele stille Wander- und Radwege und vor allem Ruhe bietet. „Zum Glück ist keiner unserer derzeit 40 Gäste nach dem Vorfall abgereist“, erzählt Ziegler. „Meine Familie und ich lassen uns ebenfalls nicht einschüchtern und machen weiter.“

Der als CDU-Vertreter im Gemeindeparlament sitzende Architekt will sich zunächst nicht an Vermutungen im Dorf beteiligen, dass erst seine Anzeige gegen die parteilose Bürgermeisterin Hiltraud Wessel die Reaktion ausgelöst haben könnte. Ziegler wollte die Hintergründe des Baus eines Parkplatzes vor dem Biergarten einer anderen Gemeindevertreterin auf Kosten der Gemeinde und der Straßenanlieger aufklären. Da das nicht geschehen sei, stellte Ziegler vor einer Woche mit einem Parteifreund Anzeige gegen die Bürgermeisterin.

Offenbar prallen hier wie in vielen anderen Orten mit Hotels oder Ferienwohnungen zwei Welten aufeinander: Viele alteingesessene Einwohner stören sich an der wachsenden Zahl von Urlaubern, da sie nicht von deren Ausgaben profitieren. Sie wollen am liebsten die Zeit zurückdrehen und auf keinen Fall die Attraktivität noch weiter erhöhen. „Das habe ich selbst während meiner beiden Jahre in Neuendorf erleben müssen“, erzählt ein ehemaliger Bewohner, der jetzt in einem anderen Ort auf Usedom lebt und nicht namentlich genannt werden möchte. „Mein Freund hatte sich als Neuzugezogener sehr für die Ausgaben des Gemeindehaushaltes interessiert und viele Fragen auf den Sitzungen des Dorfparlaments gestellt“, berichtet er. „Das muss wohl einigen Alt-Bewohnern nicht gepasst haben. Plötzlich fand er nach einer Sitzung vier zerstochene Reifen an seinem Auto vor.“ Diese Warnung genügte. Er fragte nie wieder nach und verzichtete auf die von ihm verlangte Transparenz.

Dabei geht es der Gemeinde offenbar finanziell sehr gut. „Direkt am Ortsrand drehen sich nicht umsonst die Erdölpumpen“, sagt der Mann. „Die bringen viel Geld in die Kasse.“ Ein vom jetzt attackierten Claus-Christoph Ziegler aufgestellter touristischer Entwicklungsplan für Neuendorf und dessen Umgebung hätte also finanziell gesehen gute Chancen. Aber einige Leute wollen offenbar nicht, dass die Vorstellungen des zugereisten CDU-Mannes umgesetzt werden. So fliegen denn Farbbeutel gegen die Gutshausfassade, an der schon mal das Wort „Betrüger“ steht oder ein Brandfleck von anderen Angriffsmethoden zeugt.

Die Bürgermeisterin Hiltraud Wessel war am Dienstag nicht zu sprechen. Der umstrittene Parkplatz kam am Ende nicht zustande, weil ein Grundstückstausch nach langem Streit in der Gemeindevertretung keine Mehrheit fand. Dennoch schlug der Aushub eines Entwässerungsgrabens mit 3900 Euro zu Buche. Schon allein deshalb stellte Ziegler Strafanzeige gegen die Bürgermeisterin.

An ein normales Dorfleben ist nicht mehr zu denken. Selbst die Gemeindevertreter scheuen sich vor einer Sondersitzung. Man wisse doch gar nicht, welche Folgen eine dort geäußerte Meinung auslöse, meinte ein CDU-Vertreter. Die Polizei tappte bis gestern auf ihrer Suche nach dem Täter im Dunkeln.

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