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Bei Ayutthaya im Norden von Bangkok steht alles unter Wasser. Foto: AFP

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Panorama: Alles im Fluss

Bangkok leitet die Wassermassen um die Stadt herum – und lässt damit andere Gebiete untergehen

Woranart Tattiyakul hat alle Hände voll zu tun. Der junge Arzt betreut mit neun Kollegen Flutopfer, die in der großen Versammlungshalle der Thammasat-Universität in Rangsit, rund 30 Kilometer nördlich von Bangkok, Zuflucht gefunden haben. Ärzte der angeschlossenen Uniklinik haben im zweiten Stock des Gebäudes eine Krankenstation eingerichtet. Unterstützt werden sie von Kollegen, die sich ehrenamtlich um die Flutopfer kümmern.

„Jeden Tag kommt etwa eines von zehn Flutopfern zu uns. Derzeit sind hier beinahe 5000 Menschen untergekommen, daher rechnen wir etwa 500 Patienten.“ Die mit Abstand häufigste Probleme, sagt der Mediziner, hätten die Menschen mit Atemwegserkrankungen. Hinzu kämen Durchfall und Verletzungen an Händen und Füßen, die sich die Flutopfer zugezogen hätten, als sie auf der Flucht vor dem Hochwasser durch die Wassermassen gewatet seien. Epidemien seien im Katastrophengebiet bis jetzt noch nicht ausgebrochen.

Auf Tischen und an einer Seitenwand stapeln sich Medikamente, Verbandsmaterial und andere medizinische Ausrüstung. Vieles von dem Material haben thailändische Großkonzerne eingekauft und an die vielen Flüchtlingslager verteilen lassen.

Vor der Versammlungshalle, die zu einem großen Schlafsaal umfunktioniert worden ist, sitzen hunderte Menschen auf Stühlen. Sie schauen sich zwei Komiker an, die auf einer kleinen Bühne stehen und Witze erzählen. Für viele von ihnen ist es eine willkommene Ablenkung. Die meisten von ihnen stammen aus der Provinz Ayutthaya weiter im Norden. Als vor rund einer Woche die Wassermassen des Chao-Phraya-Flusses dort sämtliche Flutbarrieren überspült und weite Teile der Region unter Wasser gesetzt haben, haben viele von ihnen ihr gesamtes Hab und Gut verloren.

An der Zufahrt zum Campus schaufeln Arbeiter eilig Sand in Säcke. Bagger verstärken die Außenmauern des großen Geländes mit Erde. Es ist ein Kampf gegen die Zeit, denn nur einen Kilometer entfernt steht bereits ein Teil des Highways unter Wasser. Jeden Tag rückt das Hochwasser weiter in Richtung Süden vor. Autos und Motorräder schieben sich vorsichtig durch die braune Brühe, die eine übel riechende Mischung aus Abwasser und Hochwasser des übergetretenen Chao Phraya ist.

Die Bilanz der Jahrhundertflut, die im Juli begonnen und seitdem rund ein Drittel des Landes getroffen hat, ist verheerend. Beinahe zweieinhalb Millionen Menschen sind von den Überschwemmungen betroffen, etwa 300 haben in den Fluten ihr Leben verloren. Riesige landwirtschaftliche Flächen sind überschwemmt worden, weswegen der Reispreis schon bald weltweit ansteigen dürfte. Thailand ist der größte Reisexporteur. Wichtige Straßen, die Bangkok mit dem Norden verbinden, stehen mehrere Meter tief unter Wasser. Der Schaden geht schon jetzt in die Milliarden. Besonders schwer haben die Überschwemmungen die Stadt Ayutthaya, rund 70 Kilometer nördlich von Bangkok, getroffen: Hier haben die Wassermassen nicht nur die gesamte Innenstadt unter Wasser gesetzt, sondern auch hunderte historische Monumente überflutet. Vier nahe gelegene Industriegebiete sind massiv überflutet worden. Mehrere japanische Konzerne, die hier große Fertigungsanlagen unterhalten – unter ihnen Honda und Toyota – mussten ihre Produktion komplett einstellen. Einige japanische Investoren spielen derzeit Berichten zufolge sogar mit dem Gedanken, ihre Werke in andere Länder der Region zu verlagern. Für Thailands stark vom Export abhängige Wirtschaft wäre das besonders folgenschwer.

Die Hauptstadt Bangkok ist nur in kleinen Teilen überschwemmt. Die Maßnahmen der Regierung haben bislang funktioniert und das Schlimmste verhindert. Arbeiter haben vergangene Woche fünf Kanäle gegraben, die einen Teil des Hochwassers ins Meer ableiten. Die Regierung hat 1000 Boote gemietet und an Brücken festbinden lassen. Sie lassen rund um die Uhr ihre Rotorblätter kreisen. Das soll, so die Hoffnung, den Wasser schneller durch die Stadt in Richtung Meer treiben. Zusätzlich leiten die Behörden das Hochwasser östlich und westlich an der Stadt vorbei – sehr zum Missfallen der Menschen, die dort leben. Denn nun stehen auch dort größere Gebiete unter Wasser.

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