zum Hauptinhalt
Zu früh gefreut. Die Crew der Endeavour mit Kommandant Mark Kelly (v. r.) auf dem Weg zum Shuttle. Foto: dpa

© dpa

Panorama: Am Boden

Der letzte Start der Raumfähre „Endeavour“ ist abgebrochen worden. Es gab technische Probleme. Der Flug soll nun frühestens am Montag starten

Es hätte noch ein guter Tag werden können. Nach starken Gewittern in der Nacht klarte es am Freitag zunehmend auf, der Start der Raumfähre „Endeavour“ vom Kennedy Space Center in Florida schien realistisch. Die sechs Männer, die am Nachmittag zur Internationalen Raumstation fliegen wollten, bestiegen den berühmten Astronautenbus mit den großen blauen Nasa-Emblemen auf der blankpolierten Aluminiumkarosserie, der sie zur Startrampe bringen sollte. Begleitet von Polizeifahrzeugen und einem Hubschrauber mit Scharfschützen näherte sich der Bus den Zuschauertribünen. Einige Leute jubelten und klatschten. Immerhin ist die Mission der „Endeavour“ ihre letzte. Noch ein Flug der „Atlantis“ im Sommer, dann ist definitiv Schluss mit der Shuttlefliegerei. Danach wird Amerika über Jahre seine Astronauten in russischen Raumschiffen mitfliegen lassen, weil es keine eigene Transportmöglichkeit hat.

Plötzlich jedoch bog der Bus nach links ab. Irgendetwas stimmte nicht. Dann gingen Rufe zwischen den Zuschauern hin und her: „Start abgebrochen.“ Ein Heizkreislauf, der Treibstoffleitungen vor dem Einfrieren schützen soll, war kaputt gegangen. Das klingt harmlos, ist für die Sicherheitsingenieure aber ein Albtraum. Fünf Minuten später kehrte der Bus um, zurück zum Mannschaftsquartier. Frühestens am Montag wird der nächste Startversuch sein, sagte Startdirektor Mike Leinbach.

Das große Finale der „Endeavour“ fällt wohl aus. Denn es ist kaum anzunehmen, dass die hunderttausenden Zuschauer, die eigens gekommen waren, um den vorletzten Shuttleflug zu verfolgen, bis Montag – oder gar bis zu einem späteren Tag – ausharren. Die Zeitungen hatten Karten mit den besten Beobachtungsplätzen gedruckt, an jedem halbwegs schönen Fleckchen jenseits der Sümpfe standen die Campingmobile mit Kennzeichen aus allen möglichen Bundesstaaten.

US-Präsident Barack Obama, der der Nasa schmerzhafte Reformen verordnet hat, war ebenso zur Generalprobe für das Shuttle-Goodbye gekommen wie Gabrielle Giffords, die Ehefrau von Kommandant Mark Kelly. Die Kongressabgeordnete war bei einem Attentat im Januar durch einen Kopfschuss schwer verletzt worden und kämpft sich seither mühsam ins Leben zurück. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit sollte sie gemeinsam mit dem Präsidenten dem Start zusehen. Doch die Technik des aus über zwei Millionen Einzelteilen zusammengesetzten Shuttles hatte mal wieder sämtliche Pläne durchkreuzt. Dabei ist die Stimmung ohnehin gedrückt. Wehmut ist das vorherrschende Gefühl in der Gegend, die 30 Jahre lang mit den Shuttles lebte und vor allem von ihnen. Es geht nicht nur um die Jobs bei der Nasa und deren Subunternehmern. Es sind auch die Hotels, Restaurants, Freizeiteinrichtungen entlang der sogenannten Space Coast, die an den raumfahrtbegeisterten Touristen gut verdienten.

Vieles wirkt wie aus einer anderen, besseren Zeit. Etwa die ikonografischen Gemälde auf Hauswänden, auf denen die Shuttles durch leuchtend bunte Himmel pflügen oder die Kunststoffmodelle der Flieger, die in Vorgärten und vor Läden stehen. Die echten Raumgleiter werden bald zerlegt und fürs Rumstehen in Museen vorbereitet. Im Souvenirshop auf dem Nasa-Gelände werden Anstecker und Aufnäher vergangener Shuttlemissionen zu Sonderpreisen angeboten, die Postkarten vom aktuellen Sorgenkind „Endeavour“ sind schon seit Donnerstag vergriffen.

Schätzungsweise 7000 Leute bei der Nasa und ihren unmittelbaren Auftragnehmern werden ihre Arbeit verlieren, wenn das Shuttleprogramm beendet ist. Es gibt Rekrutierungsmessen und Jobvermittler, aber die Chancen sind begrenzt. Einige immerhin werden bei den sogenannten Raumfahrtdienstleistern der Zukunft unterkommen. Die Idee dahinter: Die Nasa kümmert sich um Fluggeräte für ferne Ziele wie Asteroiden oder den Mars, während Flüge in die erdnahe Umlaufbahn – vor allem zur Internationalen Raumstation – von Privatfirmen übernommen werden. Diese entwickeln, beschleunigt mit Staatsgeld, eigene Raketen und Raumschiffe, für die die Nasa wie bei einem Charterflug nur Mitflugplätze bucht. Für solche Entwicklungen wird Fachpersonal gebraucht. „Unser Flugkonzept ist dem Shuttle recht ähnlich“, sagt zum Beispiel Mark Sirangelo von Sierra Nevada Space Systems. „Wer sich damit auskennt, ist herzlich willkommen.“ Noch bessere Chancen haben Astronauten, die werden von allen Firmen gesucht. Wie die „New York Times“ berichtet, haben allein im vergangenen Jahr 20 Astronauten der Raumflugbehörde den Rücken gekehrt. Jüngster Abgang ist Garrett Reisman. Vor nicht mal einem Jahr flog er noch um die Erde, jetzt macht er Werbung für seinen neuen Arbeitgeber namens Space X. Die Firma hat es immerhin schon geschafft, eine unbemannte Kapsel zu starten, um die Erde kreisen und sicher im Pazifik landen zu lassen. „In drei Jahren werden wir Menschen ins All schicken“, sagt er selbstbewusst. Das wird zwar von manchen Experten bezweifelt. Einig sind sich aber alle darin, dass die Zwangspause so schnell wie möglich überwunden werden muss und bald wieder Astronauten von amerikanischem Boden abheben sollen.

Für die meisten einfachen Angestellten sind solche strategischen Ziele unbedeutend, ihnen geht es schlicht ums Durchkommen. „Ein paar von uns haben Anschlussverträge auf dem Gelände, Zugangskarten ausstellen und solchen Kram“, erzählen sechs junge Leute, die auf ihren Campingstühlen sitzen geblieben sind und sich das Verkehrschaos bei der Rückreise sparen wollen. „Langfristig werden wir nicht bleiben können, jedenfalls nicht alle“, glauben sie. Anderswo seien die Chancen vielleicht besser. Aber fortziehen aus der schönen Gegend, weg von der Familie? Das wollen sie nicht. „Wird schon irgendwie weitergehen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false