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Panorama: Am Grab eines Wildfremden

Die Ruhestätte des Tierpflegers Thomas Dörflein wird zum Pilgerort – bei Zoobesuchern heißt er längst „TD“

Berlin - So viel Leben war noch nie auf dem Friedhof. „Wissen Sie vielleicht den Weg zum Urnengrab von Thomas Dörflein?“, fragt ein Mann mit gesenkter Stimme. Seitdem der Pflegevater des Eisbären Knut vor einer Woche in Berlin-Spandau beerdigt wurde, reißt der Strom von Besuchern an der Grabstelle auf dem Friedhof „In den Kisseln“ nicht ab. Die Zooverwaltung in Charlottenburg räumt derweil die Blumen, Kerzen und Karten vor den Eingangstoren weg – doch auch vor dem Gehege des bekanntesten Berliner Eisbären verabschieden sich täglich unablässig Besucher aus aller Welt mit Mitbringseln von Dörflein. Man schaut auf sein schwarz umrahmtes Foto, dahinter läuft Knut unruhig hin und her.

Menschen aus Hawaii und Südkorea, Litauen und Brasilien, Florida und Thailand senden Beileidsbekundungen übers Internet. Sie schreiben, dass der Bär „als Dörfleins Vermächtnis“ jetzt erst recht Berliner bleiben müsse.

Es ist ein Phänomen: Menschen stehen ergriffen und weinend am Grab eines Menschen, der ihnen eigentlich wildfremd ist. Über die Medien kam die Geschichte vom bärigen, maskulinen, uneitlen und aufopferungsvollen Ersatzpapa und dem Eisbärenbaby, das am 5. Dezember 2006 geboren und anschließend von der Bärenmutter verstoßen wurde, in die Wohnzimmer der Menschen. Sie trauern jetzt wie um einen guten Freund – der Vergleich mit der allgemeinen Bestürzung nach dem Tod von Lady Di drängt sich auf. Thomas Dörflein heißt bei Zoobesuchern längst „TD“ oder „Dörfi“. Vom Eisbären sprechen viele als „Knuti“, als wäre er ihr Haustier.

Die öffentliche Anteilnahme dürfte ein Trost für die Hinterbliebenen sein, und doch auch eine Last. Denn für sie wird das Trauern am Urnengrab in Spandau ohne Publikum so bald nicht möglich sein. Der Rasen rund um das stetig wachsende, schon zwei mal fünf Meter umfassende Blumenmeer ist heruntergetreten, Kitagruppenkinder krakeelen schon mal und legen Bilder ab („Thomas, du lebst in Knut weiter“). Am Rande wird teils lauthals diskutiert: Über fehlende Anerkennung und sogar eine Abmahnung des Zoo-Chefs gegenüber Dörflein, durch dessen Einsatz Millionen in die Kassen kamen. Darüber, dass man gern bei der Beerdigung dabei gewesen wäre. Darüber, dass noch nicht mal Zoo-Angehörige ihrem Kollegen ein sichtbares Andenken am Montag hinterließen – da wäre der Tierpfleger 45 Jahre alt geworden.

Doch der Zoo selbst scheint vom Beerdigungstermin nichts gewusst zu haben. „Trotz mehrmaliger Nachfragen konnte uns der Zoo keinen Termin nennen“, hieß es bei der Senatskanzlei. Deshalb liegt an der „Ruhe“-Stätte auch kein Abschiedsgruß der Stadt für den mit dem Landesorden ausgezeichneten Bürger. „Wir wollen das jetzt am Totensonntag tun, das ist ein würdiger Rahmen“, so die Senatskanzlei. Damit erweist die Stadt Dörflein, der ihr ein menschlich-warmes Antlitz verlieh, dessen Einsatz bei Besuchen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit im Ausland das Gespräch der Gastgeber stets auf den „polar bear“ lenkt und der unzählige zusätzliche Besucher in die Stadt lockt, erst gut zwei Monate nach seinem Tod die letzte Ehre. Der Tierpfleger war am 22. September infolge einer Thrombose an einem Herzinfarkt gestorben, Totensonntag ist am 23. November. Die späte Reaktion der Stadt passt beinahe perfekt in die Reihe weiterer Peinlichkeiten. So musste der Zoo erst dazu gedrängt werden, ein Kondolenzbuch auszulegen.

Die Zehlendorferin Doris Webb hat hingegen ein genaueres Bild von der allgemeinen Anteilnahme als der Zoo. Sie bekommt unablässig Zuschriften für ihre Initiative „Knut forever in Berlin“. Mehr als 18 000 Unterschriften haben Knut-Fans in Australien, Österreich, Japan und Kanada schon gesammelt. Selbst die Zeitung „China Daily“ mit Millionenauflage schrieb über Knut, „der seinen Langzeitfreund Thomas verlor“. Dörflein selbst war das Medieninteresse unbegreiflich. „Ich mache doch nur meine Arbeit“, sagte er immer. Das Angebot, ihm bei einem Buch über sein Leben zur Seite zu stehen, hat er lachend verworfen: „So ein Quatsch.“ Nun wünschen sich viele einen Abschiedsgottesdienst in der Gedächtniskirche. Man stünde bereit, so heißt es aus der Gemeinde, wenn der Anstoß von der Familie käme.

Annette Kögel

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