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Panorama: Amélie, die zweite

Der neue Film mit Audrey Tautou wird in Frankreich gefeiert – in Deutschland startet er erst im Januar

Mit Ausnahme der Kritiker hat den Film noch niemand gesehen, doch schon jetzt wird „Ein langer Verlobungs-Sonntag“ von Jean-Pierre Jeunet als der beste französische Film des Jahres gefeiert, gar als Oscar-verdächtig. In Frankreich startet der Film heute, in Deutschland erst im Januar. Im Mittelpunkt steht die mit „Die fabelhafte Welt der Amélie“ berühmt gewordene Schauspielerin Audrey Tautou, die weltweit das Publikum begeisterte – mit ihren phantasievollen Aktionen, Geheimniskrämereien und liebevollen Gefälligkeiten zugunsten ihrer Freunde und Nachbarn im Pariser Stadtteil Montmartre. Die „neue“ Amélie ist heute 26 Jahre alt, genauso zerbrechlich, zart und undurchschaubar wie die „alte“, aber sie ist nicht auf der Suche nach den kleinen Finessen des täglichen Lebens, sondern auf der nach ihrem Geliebten. Mathilde heißt sie in dem neuen Film und will nicht glauben, dass ihr Verlobter im Ersten Weltkrieg in der Bretagne ums Leben gekommen ist.

Die französische Presse überschlägt sich: „Ein unglaublich starkes Werk, jetzt schon ist der neue Jeunet-Film ein Höhepunkt der Kinogeschichte“, schwärmte „Le Parisien“ am Mittwoch. „Leidenschaft in üppigen Bildern, eine gelungene Liason von Liebe und Historie.“ Tatsächlich: Der Film des 49-jährigen Regisseurs Jeunet und seiner Lieblingsschauspielerin Tautou startet allein in Frankreich gleichzeitig in 700 Kinos. Das vorzeitig gefeierte und mit einem Budget von 45 Millionen Euro für französische Verhältnisse teure Werk, zum Großteil von den amerikanischen Warner-Studios finanziert, wird sein Leinwand-Debüt Ende November in den USA haben. „Kein Wunder“, schreiben die französischen Kritiker, denn Jeunet ist als einer der wenigen nicht-amerikanischen Filmemacher zum Publikumsliebling der Amerikaner geworden. „Die fabelhafte Welt der Amélie“ schaffte es, in den USA mehr als 20 Millionen Zuschauer ins Kino zu locken. Häme und Neid bleiben angesichts solcher Erfolgszahlen nicht aus: Frankreichs Presse verheimlicht nicht, dass Frankreichs Verband der unabhängigen Filmproduzenten bereits eine Klage gegen Jeunet und Warner erwägt mit dem Vorwurf, die Amerikaner profitierten von den ebenfalls in „Der lange Verlobungs-Sonntag“ investierten französischen Fördergeldern. Selten hat ein französischer Film im Vorfeld der ersten Zuschauer-Reaktionen so viel Euphorie ausgelöst. „Wann wurde in Frankreich jemals ein Film wie dieser gedreht?“, heißt es . Oder: „Ein gigantisches Kino-Spektakel, voller Kraft, ohne schwer verdaulich zu sein, bewegend, ohne kitschig-melodramatisch zu werden, genauso dicht in seiner Erzählung wie in seiner Dramaturgie.“ Nur „Le Monde“ mäkelt: „Perfekt inszeniert, aber vielleicht zu perfekt. Wo bleiben die Tränen, das Gefühl? Die schauspielerische Leistung der Ex-Amélie wirkt einstudiert und nicht lebendig.“ Was allen Kritikern gefällt, ist die Tatsache, dass Jeunet – trotz des zumindest finanziellen US-Einflusses – seinem Stil treu geblieben zu sein scheint. Schließlich: Er lasse seine frühere „Amélie“ so spielen, wie sie schon vor vier Jahren war: „Bescheiden, fragil, in sich gekehrt, immer ein bisschen abergläubisch, verschämt und versteckt humorvoll.“ Auf die Frage, was er über den Neid seiner französischen Kollegen denkt, antwortete Jeunet dem „Figaro“: „Ich habe während der zweijährigen Dreharbeiten 600 französische Techniker beschäftigt, 80 Schauspieler und 1500 Statisten und damit dem französischen Kino mehr als geholfen."

Sabine Heimgärtner[Paris]

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