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Panorama: Amerika zählt auf sie

Der dreihundertmillionste US-Bürger ist geboren. Aber wo? Und wie sieht er aus?

Kurz vor 7 Uhr 46 Ostküstenzeit schalteten Amerikas TV-Sender am Dienstag- morgen nach Kalifornien. Seit Tagen hatten die Medien spekuliert, wen die Statistiker offiziell als 300-millionsten Einwohner präsentieren würden. Ginge es um die Kraft, die das Wachstum treibt, müsste es ein Immigrant aus Mittel- oder Südamerika sein. Aber wer wandert schon morgens um 7 Uhr 46 ein?

Babybilder sind süßer und einprägsamer. Auch da blieb freilich die Wahl zwischen Momentaufnahme und Dynamik, die die Zukunft bestimmt. 56 Prozent der Säuglinge werden heute noch von weißen Müttern geboren. Hispanics haben jedoch mit im Schnitt 2,8 Kindern eine höhere Geburtenrate als Weiße (1,85) oder Asiaten (1,9). Als typische Region kamen Kalifornien, Arizona oder Texas infrage. Die Bevölkerung im Norden und Osten schrumpft, im Westen und Süden nimmt sie zu. Mit der Binnenverschiebung wächst das politische Gewicht des Südwestens. Nach jeder Volkszählung bekommt er mehr Kongresssitze. Die Tendenz: weniger Staat, weniger Steuern, freie Wirtschaft, freies Waffentragen, hohe Religiosität.

CNN präsentierte Alessandra Marcela Ruiz als das Millionenbaby, im Arm ihrer Mutter, daneben der stolze Vater, beide Hispanics. Natürlich, es ist eine willkürliche Wahl. Angesichts von schätzungsweise 600 000 illegalen Migranten, die jedes Jahr von Süden einwandern, sei ungewiss, ob Amerika nicht bereits vor Wochen die 300-Millionen-Grenze passiert habe, meint die „Washington Post“.

Die US-Bevölkerung wächst dynamisch. Amerika steht auf Platz drei nach China und Indien. Die Zahl der Russen sinkt rasch, die der Europäer stagniert. 1950 hatten die USA nur halb so viele Einwohner, 150 Millionen. 1967 waren es 200 Millionen. 2040 werden es 400 Millionen sein. Alle sieben Sekunden wird ein Kind geboren, alle 13 Sekunden stirbt ein Einwohner – zusammen mit den Einwanderern gibt es alle elf Sekunden einen Amerikaner mehr. Einwanderung ist aber die Hauptursache des Wachstums. Immigranten und ihre Kinder stellen 53 Prozent der letzten 100 Millionen Zuwachs. Ohne sie hätten die USA heute nur 250 Millionen Einwohner. Die Alteingesessenen betrachten die Entwicklung mit Sorgen. Laut Gallup sehen 39 Prozent darin ein „großes Problem“ und weitere 38 Prozent ein Problem. Für die Zukunft sprechen sogar 57 Prozent von einem „großen Problem“. Da ist die Angst, dass die USA ihre Identität verlieren. Der „melting pot“, der Schmelztiegel, der Einwanderer aus allen Weltgegenden mit der Zeit verlässlich zu Englisch sprechenden Amerikanern machte, verliert angesichts der großen Zahl von Hispanics an Kraft. Manche Gegenden im Süden sind heute de facto zweisprachig. Statistiker haben ausgerechnet, dass die Durchschnittsgröße der Amerikaner, die über Jahrzehnte gestiegen war, nun wieder schrumpfen wird. Hispanics sind kleiner. Angst basiert nicht immer auf Wissen. Nur zwölf Prozent der Amerikaner schätzen laut Gallup, dass die USA zwischen 250 und 350 Millionen zählen. 19 Prozenten meinen, es gebe über eine Milliarde Einwohner.

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