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Winnenden

© dpa

Amoklauf: Trauer um die Opfer von Winnenden

In einer zentralen Trauerfeier in dem württembergischen Ort haben Repräsentanten von Politik und Kirchen zusammen mit Angehörigen und Schülern der Amoklauf-Opfer vom 11. März gedacht. Zuvor hatten die Hinterbliebenen in einem offenen Brief politische Konsequenzen aus der Bluttat gefordert.

Tausende Kirchenglocken haben am Samstag in ganz Württemberg die zentrale Trauerfeier eingeläutet, bei der hunderte Trauergäste der 15 Opfer des Amoklaufs von Winnenden gedachten. Sichtlich bewegt erinnerte Bundespräsident Horst Köhler an die schrecklichen Folgen des Amoklaufs. "Nichts ist mehr, wie es war", sagte er beim Staatsakt im Anschluss an den ökumenischen Gottesdienst in der Kirche St. Karl Borromäus vor 900 Trauergästen. "Ja, viele von uns vergehen vor Schmerz. Aber solange wir einander trösten können, ist unser Leben nicht trostlos. Ja, wir können keinen Sinn in dieser Tat erkennen. Aber solange es Menschen gibt, die uns brauchen und auf die wir achten, solange wir eine Aufgabe haben, ist unser Leben nicht sinnlos."

Bei der Ansprache vor der Trauergemeinde, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger und viele andere Spitzenpolitiker, stockte Köhlers Stimme mehrmals, wurde brüchig, er war sichtlich um Fassung bemüht. Er dankte den Polizisten für ihr rasches Eingreifen während des Amoklaufs. "Wir haben großen Respekt vor der Tapferkeit der örtlichen Polizeibeamten, die hier in Winnenden mit hohem persönlichem Risiko noch Schlimmeres verhindert haben." Das rasche Eingreifen sei auch eine Konsequenz aus früheren Amoktaten gewesen.

"Sie sind nicht allein"

Zum Abschluss seiner Rede sagte der Bundespräsident: "Liebe Trauernde, meine Frau und ich, wir wünschen Ihnen Kraft und Zuversicht. (...) Ganz Deutschland trauert mit Ihnen. Sie sind nicht allein."

Zuvor hatte der evangelische Landesbischof Frank Otfried July auf die christliche Hoffnung für die Opfer und für den Amokläufer verwiesen: "Wir schweigen auch den Täter dieser furchtbaren Mordtaten (...) nicht tot", sagte July. Abgeschieden von den Opfern werde auch sein Leben vor Gott gestellt. Nach Ansicht des katholischen Bischofs Gebhard Fürst ist es zehn Tage nach dem Amoklauf noch zu früh, Rezepte für künftiges Verhalten zu formulieren. "Jetzt ist die Zeit zum Weinen, zum Klagen, zum Trauern", sagte Fürst in seiner Predigt.

In einem bewegenden Moment wurde jeder Name der Opfer einzeln vorgelesen. Zwei Jugendliche brachten eine Kerze mit dem Vornamen durch den langen Mittelgang der Kirche nach vorn, zündeten sie an und stellten die Kerze zusammen mit einer gelben Rose auf den Altar.

"Auch diese Menschen hatten einen Traum"

Zu Beginn des Staatsaktes zitierte Astrid Hahn, Rektorin der Albertville-Realschule, Martin Luther King: "I have a dream - Ich habe einen Traum". Zum Zeichen ihrer Anteilnahme trugen viele Schüler schwarze T-Shirts, auf denen dieser Satz in grüner Farbe gedruckt war. Mit Blick auf die Opfer sagte die Schulleiterin: "Auch diese Menschen, die aus unserer Mitte gerissen wurden, hatten einen Traum. Dann kam der 11. März 2009." Zum Zeichen legten Jugendliche acht Projektarbeiten der Schule, darunter ein Gesteck mit gelben Sonnenblumen, vor den Altar. Am Ende der rund zweistündigen Trauerfeier kamen alle Besucher aus den Kirchbänken und nahmen sich bei den Händen.

Wenige Stunden vor Beginn der Trauerfeier hatten Angehörige der Amoklauf-Opfer Konsequenzen von der Politik gefordert. Sie meldeten sich in einem offenen Brief an Bundespräsident Köhler, Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Oettinger (beide CDU) zu Wort. Darin verlangen sie, den Zugang für Jugendliche zu Waffen zu erschweren, Gewaltdarstellungen im Fernsehen einzuschränken, Killerspiele zu verbieten, den Jugendschutz im Internet auszubauen und die Berichterstattung der Medien über Amok-Täter zu reglementieren.

Die Angehörigen schrieben in ihrem offenen Brief: "In unserem Schmerz, in unserer Hilflosigkeit und in unserer Wut wollen wir (...) nicht untätig bleiben." Sie wollten "mithelfen, damit es kein zweites Winnenden mehr geben kann".

Übertragung auf Videoleinwänden

Tausende Menschen hatten sich am Samstagmorgen zur Trauerfeier nach Winnenden bei Stuttgart aufgemacht, die auf Videoleinwänden übertragen wurde. Stille lag am Samstagmorgen über dem Heimatort des Amokläufers Tim K., Leutenbach-Weiler zum Stein, wo sich rund 300 Menschen in der Gemeindehalle einfanden, um die zentrale Trauerfeier gemeinsam zu verfolgen.

Der 17 Jahre alte Amokläufer Tim K. hatte am 11. März an seiner ehemaligen Schule in Winnenden und auf der anschließenden Flucht nach Wendlingen 15 Menschen und danach sich selbst getötet. Seine Leiche wurde zwei Tage nach dem Massaker freigegeben, aber bisher nach Polizeiangaben nicht beigesetzt. "Wann und wo dies geschieht, wird nicht bekanntgegeben", sagte eine Polizeisprecherin in Waiblingen auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa. Die Opfer des Amokläufers wurden bereits zu Grabe getragen.

Vor dem Elternhaus von Tim K. in Leutenbach-Weiler zum Stein legten Unbekannte rund ein Dutzend Kerzen ab. Auf einem Zettel stand in einem Schreiben an Tim K.: "Egal was geschehen ist, Du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben. Farewell and rest in peace. (Leb wohl und ruh in Frieden)". (feh/dpa)

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