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Panorama: Angst – der ständige Begleiter

Nicht nur prominente Männer und Frauen werden Stalking-Opfer. In Deutschland haben sie es schwer, sich zu wehren.

Von Carsten Werner

Wissenschaftler sprechen von „Identitätsvampiren“, die aufgrund mangelnden Selbstwertgefühls mit ihrem Verhalten versuchen, an die Größe ihres Idols anzuknüpfen. Dazu suchen so genannte Stalker möglichst viel Kontakt, Nähe und Macht über ihr Opfer. Sie rufen unzählige Male auf allen verfügbaren Telefonen an, erkunden Arbeitszeiten und Termine, geheime Mailadressen – und bestellen teure Kleidung oder nächtlichen Pizzaservice ins Haus des Opfers. Oft stehen sie selbst nächtelang vor der Tür, tauchen sogar auf Urlaubsreisen im Hotel auf. So inszenieren sie nicht nur im übertragenen Sinne eine Verfolgungsjagd.

Vorübergehender Zorn oder Liebeskummer sind noch kein Stalking – erst, wenn die Verfolgung anhält und sich steigert, sprechen Experten von Stalking. Das hat nicht viel mit Liebe zu tun – es geht um Aufmerksamkeit, Kontrolle und Macht. Opfer fühlen sich ständig auf der Flucht, leiden unter Angst und Schlafstörungen. Um sich von zudringlichen Liebesbeweisen zu befreien, müssen sie vor allem die Nerven behalten: Stalker verstehen jede Reaktion als Bestätigung ihrer zermürbenden Verfolgungsjagd, die auch jahrelang dauern kann.

Polizei und Psychologen empfehlen vor allem die strikte Kontaktvermeidung mit dem Stalker als Gegenmaßnahme. Wer nach dem tausendsten Anruf wütend in den Hörer schreit, zeigt seinem Verfolger, dass Beharrlichkeit Erfolg hat. Nervöses Diskutieren wird als Interesse und Liebesbeweis des Opfers interpretiert.

In Amerika, England, Kanada, Australien und Belgien gilt Stalking als Straftat. Wer vorsätzlich, mit böswilliger Absicht und wiederholt eine andere Person verfolgt, belästigt oder bedroht und damit bei ihr die begründete Angst um Leben und Gesundheit schürt, kann in diesen Ländern strafrechtlich verfolgt werden. In Deutschland ist das komplizierter: Der Täter muss schon eine konkrete Straftat begangen haben.

So lässt sich auch nicht feststellen, wie viele Stalking-Opfer es in Berlin gibt. Der für Prävention zuständige Kriminaldirektor Winfried Rolf sagt: „Die Taten werden polizeilich nicht erfasst – die gehen in der Masse der Delikte wie Beleidigungen, Bedrohungen und Körperverletzungen sang- und klanglos unter.“ Auch Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Nötigung oder die Verbreitung pornografischer Schriften gehören zu den von Stalkern verübten Angriffen auf Privat- und Intimsphäre ihrer Opfer. Dennoch: Als Gesamtbild gibt es den Tatvorwurf „Stalking“ nicht.

Der hessische Justizminister Christean Wagner (CDU) hat Ende Juni einen Gesetzentwurf gegen Stalking angekündigt, auf dessen Grundlage Telefonterror, fortwährende Versuche der Kontaktaufnahme, systematische Verfolgungen, Dauerbeobachtung und auch die Bestellung von Waren im Namen des Opfers mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden sollen. „Es gibt eine Gesetzeslücke, die geschlossen werden muss“, sagte Wagner. Der Minister verwies auf den Fall der Schauspielerin Jeanette Biedermann, in deren Berliner Wohnung ein fanatischer Verehrer eingedrungen war, um eine ganze Nacht in ihrem Bett zu verbringen. Dabei sei Stalking kein Problem, das nur Prominente hätten – es gebe „tausende ähnlicher Fälle“.

Zivilrechtlich kann sich ein Opfer schon jetzt durch die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches gegen den Täter zur Wehr setzen – per einstweiligen Verfügung, Sicherungsverfügung oder Unterlassungsklage. Dazu muss ein Streitwert festgesetzt werden und der Antragsteller muss, in der Regel durch eine eidesstattliche Versicherung, seine Bedrohung glaubhaft machen. Wenn das Gericht den Täter zur Unterlassung seiner Handlungen verurteilt, bleibt dem Opfer ein Nachteil: Eine im Beschlussverfahren erlassene einstweilige Verfügung muss vom Antragsteller selbst dem Gegner zugestellt werden.

So bleiben vielen Betroffenen oft nur individuelle Lösungen: Sie wechseln ihre Telefonnummern, sogar Wohnung, Wohnort oder Arbeitsplatz – und im schlimmsten Fall sogar die Identität.

Damit es nicht zu einem „Leben als Geisel“ kommt, wie die Autorin Susanne Schumacher die Situation eines Stalking-Opfers in ihrem Buch „Liebeswahn“ umschreibt, sollten Opfer schon möglichst früh jeden Kontakt zu ihrem Verfolger abbrechen, möglichst nie wütend und emotional reagieren, die quälenden Vorfälle dokumentieren und – mindestens im persönlichen Umfeld von Opfer und Täter – bekannt machen.

Informationen im Internet:

www.stalking-info.net

www.liebeswahn.de

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