zum Hauptinhalt
ARCHIV - Eine Schülerin der vierten Klasse der Grundschule «Wilhelm Busch» Altenburg arbeitet am 13.06.2013 in Altenburg (Thüringen) an ihrem Laptop. (zu dpa «Wankas «Pakt» für digitale Klassenzimmer - nur ein großer Bluff?» vom 10.08.2017) Foto: Marc Tirl/dpa-Zentralbild/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

© dpa

Arbeit statt Urlaubstage: Firma first für Beschäftigte in den USA

Millionen von Amerikanern verzichten auf ihren Urlaub. Aus Angst den Job zu verlieren nehmen viele im Jahr keine zehn Tage frei.

Als sich Donald Trump Anfang August für zwei Wochen in einen exklusiven Golf-Club in New Jersey zurückzog, war eine Feststellung für ihn ganz besonders wichtig: „Dies ist kein Urlaub“, schrieb der US-Präsident auf Twitter. Trump wollte signalisieren, dass er den Sommer durcharbeitet – so wie es Millionen seiner Landsleute auch tun. Anders als die Europäer gehen viele Amerikaner auch in der Ferienzeit brav jeden Tag ins Büro oder in die Fabrik.

Der Arbeitseifer freut die Unternehmer und frustriert die Fremdenverkehrsbranche: Einen Berg von rund 660 Millionen bezahlten, aber nicht genommenen Urlaubstagen haben die Amerikaner inzwischen angehäuft.

Die Gründe für die Zurückhaltung liegen nur zum Teil in rechtlichen Hindernissen. Obwohl die USA anders als europäische Länder keinen gesetzlichen Anspruch auf Urlaub kennen, verfügen neun von zehn Arbeitern und Angestellten in Amerika über vertraglich vereinbarten bezahlten Urlaub. Der Durchschnitt liegt bei einem Anspruch auf 20 bezahlte Ferientage im Jahr.

Viele US-Bürger kommen über zehn Tage im Jahr nicht hinaus

Das ist deutlich weniger als in Deutschland, wo die Arbeitnehmer 27 Tage ausspannen dürfen, oder in Frankreich mit seinen 30 Tagen. Doch der entscheidende Unterschied liegt darin, dass die meisten Amerikaner ihren Urlaub nicht voll ausschöpfen. Der Durchschnitt des tatsächlich genommenen Urlaubs liegt in den USA bei 16 Tagen, doch viele US-Bürger kommen über zehn Tage im Jahr nicht hinaus – häufig geht die Hälfte davon für die Weihnachtstage drauf, die in den USA keine arbeitsfreien staatlichen Feiertage sind.

Besonders hartnäckig kleben die Arbeitnehmer im Großraum von Washington an ihren Schreibtischen. Zwei von drei Bewohnern der Gegend lassen einen Teil ihres Urlaubsanspruchs verfallen, ermittelte die von der Fremdenverkehrsbranche finanzierte Initiative „Project: Time Off“ – übersetzt etwa: „Projekt Freizeit“. Viele bearbeiten zudem auch in der Ferienzeit ihre E-Mails oder halten auf andere Weise den Kontakt zum Büro. Der „Arbeits-Urlaub“, in dem ein Arbeitnehmer auch in der eigentlich freien Zeit den Chef erfreut, ist weit verbreitet. Von einer „John-Wayne-Mentalität“ spricht Andrew, ein gut bezahlter Angestellter im Großraum Washington, der seinen wirklichen Namen lieber nicht in der Zeitung sehen will. „Nicht zur Arbeit zu gehen gilt als Zeichen der Schwäche. Du musst der Firma gegenüber loyal sein.“

Viele haben Angst, entbehrlich zu sein

So mancher befürchtet, nach ein paar schönen Wochen am Strand bei der Rückkehr an den Schreibtisch eine böse Überraschung zu erleben. Je nach Arbeitsklima in einem Betrieb oder einem Büro sind solche Ängste durchaus begründet, weiß Harry, ein Regierungsangestellter. „Es gibt immer die Sorge, dass man als entbehrlich betrachtet wird, wenn man zu lange wegbleibt“, sagt er. „Wenn die Leute auch ohne dich auskommen, wollen sie dich vielleicht überhaupt nicht mehr haben.“ Die Firma, betont Harry, sei in diesem Verständnis „wichtiger als alles andere“.

Zum Teil ist der Urlaubsverzicht eine Folge der Schwäche der Gewerkschaften in einem Land, in dem sich jeder selbst der Nächste ist. Bei der Ferien-Enthaltsamkeit zeigt sich auch der Einfluss der von den amerikanischen Gründervätern übernommenen Werte, wonach Fleiß gottgefällig und Müßiggang aller Laster Anfang ist. Die „Boston Globe“ sah sich deshalb gezwungen, dem Vorwurf der Amerikaner zu widersprechen, die Europäer seien faul und drückten sich vor der Arbeit: Frankreich habe zwar ein niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen als die USA, dafür hätten die Franzosen aber auch mehr vom Leben, stellte die Zeitung fest.

Dennoch: Dass die Kollegen in der Urlaubszeit alles im Griff haben, glauben viele Amerikanern einfach nicht. In einer Befragung von „Project: Time Off“ sagte jeder dritte Teilnehmer, er nehme wenig Urlaub, weil es niemanden gebe, der die Arbeit so gut erledige wie er selbst. Die Amerikaner haben eben ein seltsames Verhältnis zum Urlaub, wie der Kolumnist Robert Samuelson in der „Washington Post“ schrieb: „Theoretisch mögen wir ihn, aber praktisch fürchten wir ihn häufig.“ Samuelson spricht von amerikanischen „Arbeits-Märtyrern“, die es einfach nicht lassen können.

Trump hat offenbar ein entspanntes Verhältnis zu Freizeit

Während viele Unternehmen von den „Arbeits-Märtyrern“ profitieren, ärgern sich Hotels und Ferienparks über die Arbeitswut. Allein 2015 seien der Wirtschaft Einnahmen von 220 Milliarden Dollar entgangen, weil die Amerikaner ihre Zeit lieber am Schreibtisch als am Strand verbrachten, hat „Project: Time Off“ ausgerechnet. Es gibt keine Anzeichen für eine Veränderung dieser Haltung, im Gegenteil. Der durchschnittliche Arbeitnehmer gönnt sich heute vier Tage weniger Urlaub als im Jahr 2000.

Anders als die meisten Amerikaner scheint der Präsident ein sehr entspanntes Verhältnis zur Freizeit zu haben. Trump hat seit seinem Amtsbeginn nicht nur zwei Wochen auf dem Golfplatz verbracht, sondern auch an acht Wochenenden sein Anwesen Mar-a-Largo in Florida besucht. Dennoch sei Kritik an den vielen Auszeiten des 71-jährigen unangebracht, kommentierte der Fernsehsender CNN, der dem Präsidenten kritisch gegenübersteht: Immerhin könne sich Amerika an den arbeitsfreien Tagen des Staatsoberhaupts zumindest ein wenig von Trump erholen.

Zur Startseite