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14-Stunden-Tage lassen Piloten nur wenig Zeit auszuruhen.

© Monika Wisniewska - Fotolia

Arbeitszeit im Cockpit: Bis zur völligen Erschöpfung

Europas Piloten machen mobil. Ungeachtet zahlreicher Zwischenfälle mit übermüdeten Besatzungen sollen ihre Dienstzeiten nicht verkürzt, sondern verlängert werden. In den USA dagegen ist eine drastische Reduzierung geplant.

Im Mai vergangenen Jahres schoss eine aus Dubai kommende Boeing 737 von Air India Express nach missglückter Landung in Mangalore über die Piste hinaus, stürzte einen Abhang hinab und ging in Flammen auf. 158 Menschen starben. Als die Unfallermittler das Cockpit-Tonband abspielten, hörten sie 110 Minuten lang nur Schnarchgeräusche. Der schlaftrunkene Flugkapitän ignorierte die wiederholte Aufforderung des Co-Piloten, die Landung abzubrechen.

Auf dem Flug von Kopenhagen nach Stockholm suchte kürzlich der Kopilot einer Boeing der SAS die Toilette auf. Als er zurück ins Cockpit wollte, kam er nicht rein. Der Flugkapitän war eingeschlafen. Wegen der Antiterrormaßnahmen lässt sich die Cockpittür nur von innen öffnen. Der Kopilot wummerte lautstark gegen die Tür, bis der Captain nach einiger Zeit verschlafen reagierte. Nach weniger als vier Stunden Nachtruhe war er völlig erschöpft eingenickt.

Im Februar 2008 flog ein Regionaljet der Mesa Airlines mit 40 Passagieren, vom Autopiloten gesteuert, 50 Kilometer über den Zielflughafen Hilo auf Hawaii hinaus. Die beiden Piloten, die zuvor nicht auf zahlreiche Funksprüche der Fluglotsen reagiert hatten, gaben an, zeitgleich eingeschlafen zu sein.

Auch beim Absturz eines aus Berlin-Tegel kommenden Regionaljets der Crossair, der am 24. November 2001 insgesamt 24 Todesopfer forderte, spielte Erschöpfung eine Rolle. Der Flugkapitän hatte im Anflug auf Zürich bei schlechter Sicht die zulässige Mindestflughöhe unterschritten. Im Untersuchungsbericht heißt es: „Das Konzentrations- und Entscheidungsvermögen des Kommandanten sowie seine Fähigkeit zur Analyse komplexer Vorgänge waren aufgrund von Übermüdung beeinträchtigt.“ Er war seit 13 Stunden und 37 Minuten im Einsatz, nach einer Vortags-Dienstzeit von 15 Stunden und 31 Minuten.

Beim Absturz einer Maschine der Colgan Air (50 Tote) im Februar 2009 in Buffalo hatte ein spezifisches Problem zur Erschöpfung der Crew beigetragen. Die Piloten hatten zwei der drei vorherigen Nächte im Besatzungsraum auf dem Flughafen verbracht. In den USA müssen die Besatzungen oft den halben Kontinent überqueren, um zum Einsatzort zu gelangen, und dort häufig vor Dienstbeginn auf eigene Kosten übernachten. So enthüllte kürzlich eine Dokumentation des Fernsehsenders ABC auch die Existenz sogenannter „Crash Pads“. Das sind Billigpensionen in Flughafennähe, wo die Piloten die Nacht in Mehrbettzimmern mit Etagenbetten verbringen, aber kaum Ruhe finden, weil in den doppelstöckigen Betten dauernd Schichtwechsel stattfinden. Aufgrund der in den USA oft viel niedrigeren Gehälter – die Kopilotin des Colgan-Fluges hatte ein Jahreseinkommen von umgerechnet 11.700 Euro – können sich die Crews keine eigenen Zimmer leisten. Bei einer Befragung durch die Nasa haben 70 Prozent der befragten Piloten angegeben, schon einmal im Cockpit eingeschlafen zu sein.

Die von der Europäischen Flugsicherheitsbehörde EASA in Auftrag gegebene Möbius-Studie kommt zu dem Schluss, dass die derzeit hier zulässige Dienstzeit von 13 bis 14 Stunden insbesondere unter erschwerten Bedingungen wie hoher Arbeitsbelastung, Nachtflügen oder Klimazonenwechseln zumutbare Grenzen überschreitet.

Trotz dieser Studie sieht der Gesetzesentwurf der EASA für Europa weiterhin eine Dienstzeit von bis zu 14 Stunden vor. Bei Einsätzen mit nur maximal zwei Flügen sind es auch nachts mindestens noch zwölf Stunden (bisher 11 Stunden und 45 Minuten). In der Studie war eine Begrenzung auf zehn Stunden empfohlen worden. Vor allem aber will die EASA unter anderem eine bis zu sechsstündige Bereitschaftszeit ohne Ruhemöglichkeit am Flughafen gestatten, an die eine 13-stündige Flugdienstzeit angehängt werden darf. Diese zusätzlich mögliche Bereitschaftszeit, in der die Piloten nicht schlafen dürfen, bedeutet faktisch einen 19-Stunden-Tag – eine deutliche Verlängerung der bisherigen Regelung.

In den USA, wo Piloten theoretisch innerhalb von 24 Stunden bei einer achtstündigen Pause 16 Stunden arbeiten dürfen, hat die Luftfahrtbehörde FAA jetzt einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt. Danach sollen die täglichen Dienstzeiten je nach Zeitpunkt des Arbeitsbeginns und Zahl der Flüge (Kurzstreckenpiloten haben aufgrund der häufigeren Starts und Landungen eine höhere Belastung) auf 13 bis neun Stunden reduziert werden.

Flugkapitän Jörg Handwerg von der Vereinigung Cockpit spricht vom „größten Sicherheitsrückschritt in der Geschichte der europäischen Luftfahrt“. Die deutsche Pilotengewerkschaft wirft der EASA vor, aufgrund der Proteste der Fluggesellschaften die Ergebnisse ihres eigenen Forschungsauftrags zu ignorieren. Bis zum 20. März nimmt die Behörde noch Kommentare zum Entwurf entgegen, der danach noch einmal überarbeitet wird. Zum Jahresende soll das neue Gesetz dann vom Europaparlament verabschiedet werden.

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