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Nein, so wie diese kambodschanische Reisegesellschaft mussten sich vulkangeschädigte Flugpassagiere nicht behelfen. Foto: Reuters

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Aschewolke: Not macht Freunde

Gemeinsam stark: Wie Tagesspiegel-Leser trotz Flugausfall rechtzeitig von Mallorca nach Berlin kamen: Eine Notgemeinschaft aus Fremden hatte sich gefunden, um entschlossen dem Chaos zu entrinnen.

Als „Opfer der Asche“ fühlten sich in der zurückliegenden Woche viele Menschen. Ohnmacht war das vorherrschende Gefühl bei den meisten, die irgendwo auf der Welt festsaßen und nicht nach Hause kamen. Doch es gibt auch positive Geschichten zu erzählen. Wie die der Tagesspiegel-Leser Christine und Ulrich Woltering, die am 17. Mai von Mallorca aus zurück nach Berlin fliegen wollten. Bekanntlich ging jedoch am Flughafen von Palma gar nichts. Da jedoch der Arbeitsbeginn Montag, 19. April, 8 Uhr fest auf dem Terminplan der Wolterings stand, „mussten wir aktiv werden“, sagt die selbstständige Berliner Krankengymnastin. „Auf Mallorca zu sitzen und nur abzuwarten, hätte uns nicht geholfen.“ Das Ehepaar handelte. Nachfolgend schildert Christine Woltering die Odyssee, beginnend am Flughafen von Palma de Mallorca am Sonnabend (17. April) 9 Uhr, endend in Berlin am Montag (19. April) um 6 Uhr 15.

Eine unkomplizierte Halbpensionswoche auf Mallorca an einer hübschen Bucht im Nordosten verlief bis kurz vor Ende ohne spektakuläre Ereignisse. Alles war so, wie es uns als berufstätiges Paar (Ende 50) vorgeschwebt hatte: mal eine Woche ohne Stress, ohne Termindruck, alles stimmte und gefiel. Dann kam am 15. April der Vulkan ins Spiel. Den Ausbruch und seine Folgen konnte ich vor lauter Entspannung zunächst kaum ernst nehmen. Doch der Rückflugtermin am übernächsten Vormittag stand irgendwie bedrohlich schon am Horizont und das mulmige Gefühl, vielleicht doch nicht wie geplant am Sonnabend (17. April) pünktlich und bequem wieder durch die Luft nach Berlin zu kommen, wich schon bald der unschönen Realität: Nichts flog mehr.

Abreisetag: In unserem Hotel möchten sie uns liebend gerne noch länger beherbergen – es können ja keine neuen Gäste nachkommen. Auch bei der Rückgabe des Mietwagens am Flughafen von Palma will man uns mit Superangeboten zur Verlängerung animieren. Wir wollen jedoch nur eines: gen Heimat.

An den Schaltern der Veranstalter und Airlines herrscht Ratlosigkeit. Es gibt teilweise sich widersprechende Auskünfte. In Frankreich streike zudem die Eisenbahn, erfahren wir. Doch wir müssen irgendwie zurück, um am Montag wieder am Arbeitsplatz zu sein. Tausend Ideen wirbeln umher, über welche Wege man zurückkommen könnte. Praktikabel erscheint keine.

Mit uns am Air-Berlin-Schalter steht Dietrich aus Hamburg. Der muss auch pünktlich am Montag seine Patienten in die Narkose schicken, genau wie Ulrich, auf den seine Schilddrüsenkranken in Berlin warten. Gemeinsam fühlen wir drei uns stark – und erobern ein Taxi zum Fähranleger im Hafen. Keine neun Stunden später sind wir in Barcelona. Inzwischen ist es 21 Uhr 30 am Sonnabend. Den Zug, auf den wir gehofft hatten, können wir jedoch abschreiben. Der Transferbus des Fährschiffes spuckt uns schließlich an dem großen Kreisverkehrsplatz in Barcelona aus.

Da stehen wir nun in einem Heer von orientierungslosen Reisenden mit rollenden Gepäckteilen. Wir drei ergattern ein Taxi und bitten den Chauffeur um eine Hotelvermittlung. Der kommuniziert beim Fahren mal durchs offene Fenster mit Kollegen, mal über Funk und bietet uns dann etwas für 300 Euro pro Zimmer an. Barcelona sei randvoll. „Das ist zu teuer“, finden wir – und wollen außerhalb des Zentrums etwas suchen. Der Mann fährt uns in eine etwas gesichtslose Vorstadt, dort ist das Hotelzimmer erschwinglich.

Mittlerweile ist es 23 Uhr. In einer Bar ein paar Ecken weiter stillen wir noch unseren Hunger. Irgendwann weit nach Mitternacht probieren wir im Hotel, über das Internet eine Zugverbindung nach Deutschland für Sonntag zu finden. Es sieht so aus, als könnten wir doch noch rechtzeitig zu Hause eintreffen.

Nach knapp vier Stunden Schlaf geht es per Taxi wieder zum Bahnhof nach Barcelona. Dort herrscht Chaos. Bei der Information erfahren wir: Auch in Spanien streikt die Bahn. Na bravo. Jetzt möchte ich mich am liebsten in eine Ecke setzen und heulen.

Vor dem Bahnhof ist kaum ein Durchkommen. Alles ist abgesperrt wegen eines Marathonlaufs. Taxifahrer bieten Reisenden für horrendes Geld an, bis an die französische Grenze zu fahren. Plötzlich spricht uns eine ebenfalls gestrandete deutsche Frau an, Christine K. aus Niedersachsen. Sie hat von zwei Berliner Lkw-Fahrern gehört, dass am Flughafen noch eine „letzte Großraumlimousine mit neun Plätzen“ zu mieten sei. Und mit deutschem Kennzeichen! Eine verzweifelte Stimme tönt im Gewühl: „Hat jemand eine Kreditkarte?“ Einer der Lkw-Fahrer. Sie haben Fahrzeuge nach Spanien überführt und müssen nun zurück. Ihr Chef in Deutschland hat den Neunsitzer aufgespürt, zum Abschluss des Mietvertrags an Ort und Stelle fehlt ihnen jedoch eine Kreditkarte. Schnell werden wir einig. Auch Lambart, ein Wissenschaftler aus Freiburg im Breisgau, und Svantje, Juristin aus Mannheim, gesellen sich noch zu uns. Wir sind jetzt acht Gestrandete und entscheiden schnell: Der Neunsitzer soll es sein. Auf zum Flughafen! Fix sind Handynummern ausgetauscht, und wie durch ein Wunder treffen wir uns mithilfe von ein paar Telefonaten komplett am Flughafen an der Autovermietung wieder.

Hurra, es hat geklappt, die Reservierung steht noch. Der Kreditkartenbesitzer besiegelt den Mietvertrag, zusätzliche Fahrer werden eingetragen, während sich der Rest der bunten Gruppe um Proviant für die lange Fahrt und um die gute Stimmung kümmert.

Los geht es in fliegendem Tempo durch Spanien, über die Pyrenäen quer durch Frankreich. Beim Fahren wechseln sich Dietrich und die beiden Profifahrer ab. Wir, sich gegenseitig wildfremde Menschen, haben uns viel zu erzählen, Müdigkeit und Langeweile kommt zu keiner Sekunde auf. An den schönsten Stellen vorbeigerast, schwups durch die Schweiz und schon sind wir kurz vor dem Dunkelwerden in Freiburg. Hier steigt Lambart aus, er hat sein Ziel erreicht. Wir verabschieden uns wie Freunde voneinander.

Und weiter geht’s durch die Nacht auf inzwischen sehr hart erscheinenden Sitzen. In Mannheim wird Svantje von ihrem Freund an einer Raststätte abgeholt, in Hannover am Airport steigt Christine K. um 3 Uhr früh in ihr dort geparktes Auto. Die Trucker Steffen und Michael, Dietrich, Ulrich und ich haben noch drei Stunden Fahrt bis Berlin vor uns. Um 6 Uhr 30 schließlich steigen wir aus dem großen Renault – direkt vor unserer Haustür. Ulrich frühstückt noch und fährt zu seinen Patienten nach Wedding – wie vor dem Urlaub verabredet. Steffen und Michael geben das Auto termingerecht gegen 9 Uhr in der Stadt ab, und Dietrich aus Hamburg kann für den Montag noch eine Vertretung in seiner Klinik organisieren.

Eine Notgemeinschaft aus Fremden hatte sich gefunden, um entschlossen dem Chaos zu entrinnen – und unser Last-Minute-Trip hat tatsächlich ein gutes Ende gefunden, trotz mehrerer hundert Euro Extrakosten. Fazit: Gemeinsam waren wir stark! Und hatten eine fantastische Reise.

Christine Woltering

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