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Fahrräder

© AFP

Asyl für Stahlrösser: Amsterdam sammelt gestohlene Fahrräder

Fast jeder fährt Fahrrad in der Stadt der Grachten und Hausboote. Man fühlt sich erst als wahrer Amsterdamer, wenn einem der Drahtesel geklaut wurde. Nun gibt es einen Sozialdienst für Fahrräder in Not.

Es ist eine Mischung aus riesigem Fahrradladen und Friedhof für Drahtesel: In der Vorstadt von  Amsterdam stapeln sich auf einem weiten Industriegelände Zehntausende Stahl- und Alufahrrädern, manche ohne Sattel und Lenker, andere frisch poliert, gut geölt und bereit für die nächste Radtour. Bei allen aber fehlt das Schloss, oder es wurde geknackt: Auf dem Fahrradhof sammelt die Stadtverwaltung all jene Räder, die in der wohl fahrradfreundlichsten Stadt Europas gestohlen, auseinandergenommen oder falsch geparkt und abgeschleppt worden sind. 16 Prozent aller Fahrräder werden gestohlen

Die "Amsterdamse Fiets Afhandel Centrale" (AFAC) besteht seit fünf Jahren, 124.000 Räder bekamen hier seitdem Asyl. Mehr als 110 Zweiräder werden pro Tag mit Kleintransportern angeliefert - kein Wunder in einer Stadt, in der das Fahrrad als das beliebteste Verkehrsmittel gilt und wo 550.000 Fahrräder auf 780.000 Einwohner kommen. Der Polizeistatistik zufolge wird fast jedes zehnte Rad einmal im Jahr gestohlen. "Fahrraddiebstahl ist das häufigste Vergehen in Amsterdam", warnt eine Touristenbroschüre. Neuankömmlinge dürften sich erst dann als wahre Amsterdamer fühlen, wenn ihr Rad einmal verschwunden sei, witzeln Einheimische.

Die Stadt versucht die Zahl der Diebstähle seit Jahren zu senken - nicht ohne Erfolg. 2002 wurden noch 16 Prozent aller Fahrräder gestohlen, bis 2010 soll die Rate auf sechs Prozent sinken. Die AFAC trägt dazu bei, dass zumindest weniger Räder auf dem Hehlermarkt landen. Auseinandergenommene Fahrräder, zerstochene Reifen und geplünderte Rahmen sollen nicht mehr das Stadtbild verschandeln. Räder, die nach einem Diebstahl wieder auftauchen, können gegen eine Bearbeitungsgebühr von zehn Euro an der zentralen Sammelstelle wieder abgeholt werden.

Fahrräder sind schnell vergessen

Was nicht immer einfach ist. Denn die AFAC liegt weit draußen vor den Toren der Stadt, schlecht erreichbar mit dem öffentlichen Nahverkehr. Und wer sein Rad zurückhaben will, muss nicht nur den Schlüssel für das Schloss vorlegen - er muss das abhanden gekommene Fahrrad auch gut beschreiben können. "Es ist erstaunlich, wie viele sich nicht daran erinnern können, wie ihr  Fahrrad aussieht", sagt AFAC-Chefin Desiree Barendrecht. Erst dann bei einer guten Beschreibung aber kann die Suche unter den Tausenden Rädern beginnen.

Die Zweiräder werden sortiert nach Marken, Farben und Ausstattungsmerkmalen. "Bis zum Abend wollen wir jeweils alle Neuanlieferungen des Tages im Computer haben", sagt Barendrecht. Rund 30 Mitarbeiter aus einem Sozialprojekt sind damit beschäftigt. Im Internet können Besitzer und Polizei nach gestohlen gemeldeten Rädern suchen. Oft werden sie fündig: "Zwischen 35 und 45 Prozent der Räder hier finden zurück zu ihrem Eigentümer", schätzt Barendrecht.

AFAC rät zur Nummerierung des Drahtesels

Manche der Fundstücke werden bereits nach zwei Wochen verschrottet, wenn sich kein Besitzer meldet: alte Rahmen, an denen alles fehlt, oder ausrangierte Stahlrösser, die jemand auf der Straße zurückgelassen hat. Schicke Hollandräder, schnelle Rennräder oder geklaute Mountainbikes mit teuren Gangschaltungen dagegen werden drei Monate aufbewahrt, bis sich ein Besitzer meldet. Erst danach werden sie an Gebrauchtfahrradhändler versteigert oder zu symbolischen Preisen an Behindertenwerkstätten verkauft, die sie wieder in Schuss bringen.

Damit die wiederverkauften Räder nicht noch einmal gestohlen werden, empfiehlt der AFAC allen Radlern, in ihren Rahmen eine Nummer gravieren zu lassen. Das soll den Markt für gestohlene Fahrräder austrocknen - und die Chance erhöhen, dass beim nächsten Diebstahl das Rad und der Besitzer schnell wieder zusammenkommen.

Gerald de Hemptinne[AFP]

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