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Attentäter vor Gericht: Breivik sieht sich als Spitze einer Bewegung

Für die Angehörigen und Freunde der Opfer war es kaum zu ertragen. „Aus Güte, nicht aus Bösartigkeit“, sagte Anders Behring Breivik vor dem Gericht in Oslo, habe er 77 Menschen getötet. Und: „Ja, ich würde es wieder tun.“

Anders Behring Breivik hatte versprochen, die Worte zu seiner Verteidigung vorsichtig zu wählen, seine Sprache abzumildern – aus Respekt vor den Angehörigen und Freunden seiner Opfer. Doch selbst die einfachsten Worte wogen schwer am Dienstag, dem ersten von insgesamt fünf Tagen, an denen Breivik Gelegenheit haben soll, die Motive für seine Taten zu erklären.

Die Zuhörer im Osloer Gericht hörten Erklärungen zu, die möglicherweise Sinn haben in der Welt, wie er sie sieht. Sie können seine Worte zwar hören, aber ihnen zu folgen ist schwer möglich.

Eine halbe Stunde wollte das Gericht Breivik für seine eigene Verteidigung zugestehen. Doch die dauerte weitaus länger. Ganze 13 Seiten Manuskript hatte der Angeklagte vorbereitet, Wort für Wort wollte er sie ablesen. Er wirkte nervös, als er sich in den Zeugenstand begab, genau gegenüber der vorsitzenden Richterin Wenche Elizabeth Arntzen. Dann begann er zügig zu lesen. Er spreche für viele, das macht er gleich zu Beginn klar. Für all jene nämlich, die, wie er, befürchteten, dass ihnen die Rechte als gebürtige Norweger genommen würden.

Der Breivik-Prozess in Bildern

Wie schon in seinem Manifest „2083 – A European Declaration of Independence“ wechselte Breivik in seinem Vortrag häufig vom „ich“ zum „wir“. Zwar habe er allein die – wie er sie einordnet – spektakulärste Aktion seit dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt, doch habe er dies stellvertretend für alle in seiner nationalistischen Bewegung getan. Einer Bewegung, die nur er sieht; die gegen Einwanderung und Multikulturalismus kämpft, gegen eine drohende Islamisierung Europas. Um all dies zu stoppen, bedürfe es einer „gewalttätigen Revolution“, sagte Breivik. „Es ist die einzige Lösung.“

Zwar habe er dafür den Anfang gemacht, doch sehe er überall in Europa Brüder und Schwestern am Werk, die „Fußsoldaten der Revolution“. Zu denen zählte er auch die drei Neonazis des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) – ein aktuelles Beispiel, das ihm gelegen zu kommen scheint. So muss er nicht immer auf Hitler und dessen Zeit verweisen, die letzte, in der in Breiviks Augen eine wahre Demokratie möglich war.

Unter dutzenden Verweisen auf Umfragen, für die Breivik keine Quellen nennt, die aber eine anti-islamische und anti-liberale Haltung von großen Teilen der Bevölkerung Europas beweisen sollen, kommt er auch auf nationalistische Parteien und Bewegungen in anderen Ländern zu sprechen. Es dürfte seinem Anwalt Geir Lippestad und dessen Strategie zur Verteidigung entgegenkommen, dass Breivik auf Jörg Haider in Österreich verweist, auf den Streit um die Minarette in der Schweiz, auf die Rechtsnationalen in Ungarn und eine norwegische Presse, die vermeintlich voreingenommen gegenüber der rechtsgerichteten Fortschrittspartei berichtet. Lippestad beabsichtigt, im Laufe des Prozesses weitere Extremisten als Zeugen aufzurufen. Er will beweisen, dass die Brüder im Geiste, von denen Breivik so ausführlich spricht, tatsächlich existieren.

Der Angeklagte hadert derweil mit der vorsitzenden Richterin, die ihn immer wieder unterbricht und bittet, er möge zum Ende seiner Ausführungen kommen. Er habe Norwegen helfen wollen, betont Breivik mehrfach. Und so wie es in Kriegen eben sei: Manche müssten sterben, damit eine Mehrheit gerettet werden könne. Und diese krude Logik gehört zur Vorstellungswelt eines Menschen, der diesen Krieg in selbst gebastelten Uniformen und mit eigens erdachten Auszeichnungen führt. Dass er ihn alleine kämpft, das sieht er nicht. Er ist sich keiner Schuld bewusst. Er glaubt, es habe getan werden müssen, Selbstverteidigung, Vaterlandsverteidigung.

Ohne Worte, die er ablesen, ohne Manuskript, an dem er sich festhalten kann, wirkte Breivik aber nicht mehr selbstsicher. Wer ihm das Mandat gegeben habe zu töten, wollte Staatsanwältin Inga Bejer Engh wissen. Immer wieder sprach Breivik von einer Gruppe, schließlich von einer Ein-Mann-Gruppe militanter Nationalisten. „Kann man also sagen, dass Sie sich selbst autorisiert haben?“ – „Ja, das kann man so sagen.“ Wie das sei mit solch einer Verantwortung, fragte Engh. Breivik lachte. "Das sind aber schwere Fragen hier", sagte er. „Ich bin ein militanter Nationalist und ich habe mich entschieden zu handeln.“ Und die Tempelritter, die ihn vermeintlich beauftragten? Drei. Eine Gruppe? Nein, drei Ein-Mann-Zellen, er eine davon. Breiviks Anwälte Geir Lippestad und Vibeke Hein Baera, die ihren Mandanten erst morgen befragen dürfen, beraten sich leise. Die Dekonstruktion, die Breivik so fürchtet, sie geschieht ihm gerade selbst. Er hat es nur noch nicht gemerkt.

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