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Panorama: „Auf dem Bauwerk lag immer schon ein Fluch“

Unübersehbarer Schaden nach Brand der Stucky-Mühle in Venedig

Sie ist eine der größten Mühlenbauten Europas. Zumindest war sie es bis zum Dienstag. Noch ist unklar wie groß der Gesamtschaden des verheerenden Brandes ist, der die „Mulino Stucky“ auf der Giudecca-Insel von Venedig zu einem Großteil zerstört hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, denn Brandstiftung wird nicht ausgeschlossen. „Wieder eine Brandkatastrophe in Venedig“, titelten die Tageszeitungen und erinnerten an den 29. Januar 1996, als das berühmte Opernhaus „La Fenice“ ein Opfer der Flammen wurde.

Die Stucky-Mühle war das berühmteste architektonische Wahrzeichen der Lagunenstadt aus der neueren Zeit: Ein mit 250 000 Quadratmetern Fläche riesiger Bau, der 1882 nach einem Entwurf des deutschen Baumeisters Ernst Wullekopf im neugotischen Stil errichtete wurde. Bis zu 1500 Menschen fanden dort eine Arbeit bei der Getreideverarbeitung und der Herstellung von Teigwaren.

„Auf dem Gebäude”, sagt Franco Filippi, „lag immer schon ein Fluch.“ Filippi ist Buchhändler und Lokalhistoriker und kennt die Geschichte der Mühle genau. „Seit dem Mord an dem Mühlenbesitzer Giovanni Stucky im Jahr 1910“, so Filippi, „ging es mit dem Bau bergab, in jeder Hinsicht.“ Der Gebäudesaurier aus hunderttausenden von roten Backsteinen wurde zum Ort von wilden Streiks, Firmenzusammenbrüchen und Fabrikbesetzungen wie jene von 1955, die dank zahlreicher Protestlieder noch heute den Venezianern in guter Erinnerung ist. Der Schließung der Mühle folgte die völlige Vernachlässigung der Bausubstanz. Das Gebiet der „Mulino Stucky” galt fortan als verrufen. In den 70er Jahren wurden erste Restaurierungsprojekte vorgelegt, aber wieder verworfen.

1995 entschied sich der Baulöwe Francesco Caltagirone, aus dem heruntergekommenen Komplex ein Luxus-Hotel mit Appartements zu machen. Im Jahr 2000 sollte alles fertig sein, doch Schlendrian verdarb die Rechnung. Obwohl alle Appartements verkauft werden konnten, sollten sie nicht vor 2005 ihren Besitzern übergeben werden. Jetzt steht alles in den Sternen.

In Venedig richteten Brände immer wieder große Schäden an. Der Dogenpalast wurde im Laufe seiner Geschichte drei Mal durch Feuer zerstört. 1982 vernichtete ein Brand auf der Insel San Clemente ein Krankenhaus, im Juni vor vier Jahren ging die Kirche San Geremia, ein Architekturjuwel aus dem 13. Jahrhundert, in Flammen auf. Venedig verfügt zwar über eine städtische Feuerwehr, aber bei Bränden in den dicht stehenden Häusern kann sie nur wenig ausrichten. Die Brandherde sind nur über die Wasserstraßen zu erreichen. Brennt es an Orten, wo es keine oder nur schmale Kanäle gibt, wie im Fall „La Fenice“, dann drohen ganze Stadtviertel in Schutt und Asche zu versinken. Der Brand der Stucky-Mühle konnte relativ schnell gelöscht werden, weil die ehemalige Fabrik direkt am Lagunenwasser liegt. Aber auch dieser Standortvorteil bewahrte das grandiose Gebäude nicht vor der Zerstörung.

Thomas Migge[Venedig]

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