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Beschaulich. Gastrokritiker Wolfram Siebeck auf der heimischen Couch in Schloss Mahlberg bei Freiburg.

© picture alliance / dpa

Aufklärer statt Avantgarde: Wolfram Siebeck hat 85. Geburtstag und ruft zur Wahl von Peer Steinbrück auf

Der Restaurantkritiker, Gourmet und Autor Wolfram Siebeck feiert heute seinen 85. Geburtstag. Milder ist er im Alter nicht geworden. Und er ist zu der traditionellen französischen Küche zurückgekehrt.

Vor einer Woche hat Wolfram Siebeck zur Wahl Peer Steinbrücks aufgerufen. Das ist insofern ungewöhnlich, als er in seinen unzähligen kulinarischen Texten in den vergangenen Jahrzehnten allenfalls durchblicken ließ, dass seine politische Heimat nicht bei den Schwarz-Gelben zu suchen sei – die kümmerten sich zu wenig um anständige Lebensmittel. Aber die Intrige mit Steinbrücks so plötzlich auftauchender Putzfrau hat ihn empört, er glaubt die Schuldigen zu kennen: „Diese Infamie der rechtskonservativen Koalition genügt mir tatsächlich, mein Kreuz bei dem diffamierten Herausforderer zu machen.“ Und auch sonst, meint er, sei Steinbrück der bessere Kandidat.

Wolfram Siebeck schreibt noch immer - in seinem Blog

Am heutigen Donnerstag wird Siebeck, der Altmeister der literarisch überhöhten Restaurantkritik, 85 Jahre alt, und die kleine Episode aus seinem Blog Wo-isst-siebeck.de zeigt, wie hellwach er auch politischen Diskursen folgt, auch wenn die Frequenz seiner regelmäßigen Veröffentlichungen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist. Das Blog, das er im lockeren Rhythmus etwa einmal wöchentlich bestückt, ist eine Art Sicherheitsventil, er schreibt dort, wie ein Leistungssportler ja auch weiterläuft, wenn die Karriere beendet ist.

Verbraucheraufklärung nennt er heute als sein zentrales Thema, der Wochenmarkt ist und bleibt sein Biotop – allerdings vorwiegend in jener Luxus-Variante, die sich zwischen Baden und dem Elsass gehalten hat. Dem kulinarischen Tagesgeschäft hat er sich abgewandt. Als es früher noch das Haus in der Provence gab, da fuhr er mit seiner Frau Barbara scheinbar permanent hin und her, kannte jeden besseren Koch am Wegesrand. Doch das Leben auf Burg Mahlberg bei Freiburg ist beschaulicher geworden, rundherum gibt es keine Avantgardeköche, die auf ihn warten, aber deren Schaffen bewegt ihn ohnehin nicht mehr.

Früher galt die Küche von Bocuse und Haeberlin als avantgardistisch

In seinen jüngeren Veröffentlichungen scheint immer wieder durch, dass er im Grunde zur traditionell angehauchten französischen Küche zurückgekehrt ist, als deren Begleiter er seine Karriere begonnen hat; damals galt diese Küche freilich als avantgardistisch, Bocuse und Haeberlin waren Neuerer, keine Hüter des Bewährten. Als es galt, die deutsche Küche Anfang der siebziger Jahre aus den Niederungen der Nachkriegszeit hochzuschreiben, war Siebeck einer der führenden Köpfe. Zusammen mit den Kollegen Klaus Besser und Gert von Paczensky erkundete er Frankreich, zensierte die Zensuren des Guide Michelin, beschrieb in der „Zeit“ die kaum vorstellbaren Qualitätsansprüche des aufstrebenden österreichischen Kochs Eckart Witzigmann. Mancher Küchenchef bezog dabei Prügel, revanchierte sich mit Hausverbot, doch solche Scharmützel nützten am Ende immer beiden Seiten, und so stellte sich langsam der Frieden der Macht ein: Die Köche befolgten, was der große Autor ihnen nahelegte, und er verzichtete darauf, allzu harsche Verrisse zu formulieren.

Sein offensiver Hedonismus spaltete die Leserschaft

Sein Alleinstellungsmerkmal: Er konnte mit Abstand am lustigsten schreiben übers Kochen und Genießen, begriff als Erster, dass das Essenbewerten allein auf Dauer niemanden faszinieren würde, und dass Polarisieren allemal spannender ist als Langweilen. Siebecks offensiver, bis dahin in Deutschland undenkbarer Hedonismus spaltete die lesende Öffentlichkeit in Verehrer und Verächter – er verachte den Geschmack der Masse, hieß es, weil sie die Masse sei. Nichts animierte ihn so sicher zu bissigen Repliken wie der Vorwurf, es sei ein Verbrechen, lobend über Gänsestopfleber zu schreiben, während doch gleichzeitig Milliarden Menschen Hunger litten.

Zeitgenossen, die teure Autos selbstverständlich finden, sich aber über die Preise guter Restaurants mokieren, sind ihm noch heute ein Graus, und natürlich stand er hinter Steinbrück, als der bekannte, keinen Pinot Grigio unter fünf Euro zu trinken, legte sogar nach: Acht oder zehn Euro seien wohl eher eine angemessene Grenze.

Milder ist Siebeck also im Alter nicht geworden. Er verachtet Kochshows im Fernsehen als hysterische Unterhaltung, legt sich mit missionarischen Vegetariern an, von denen er sagt, Lebensfreude oder pure Lust am Essen könne er bei ihnen nicht entdecken; ihm selbst sei der Appetit aber noch längst nicht vergangen. Sein Blog allerdings, so sind die Zeiten nun einmal, ist nur noch eins von vielen Sprachrohren der kulinarischen Szene.

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