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Nach dem Beben fielen in Tokio Internetverbindungen und mobile Telefone aus. Hier scharen sich Pendler um Festnetz-Apparate.

© dpa

Augenzeugenbericht aus Tokio: "Die Angst hatte alle erfasst"

"Handelsblatt"-Korrespondent Jan Keuchel wurde gemeinsam mit seiner Frau in der U-Bahn von dem Erdbeben überrascht - fünf Stockwerke unter der Erde. Wie er die Katastrophe erlebte - ein Augenzeugenbericht.

Ein strahlend schöner Tag, die Sonne leuchtete auf Tokio, vom 52. Stockwerk des Roppongi Hills Tower konnte man den Fuji ahnen. Ich war mit meiner Frau unterwegs, wir gönnten uns den Blick von der atemberaubenden Aussichtsplattform auf die Stadt, die so friedlich da lag. Unten der übliche Ameisenhaufen, die größte Metropole der Welt im alltäglichen Arbeitsfieber.

Im nachhinein sind wir froh, dass wir so früh morgens dort oben waren. Ein paar Stunden später wackelte in Tokio die Erde, brach in der Stadt die Hölle aus. Man kann nur ahnen, welche Panik im 52. Stockwerk geherrscht haben mag.

Wir waren bereits auf dem Rückweg, warteten auf die U-Bahn, fünf Stockwerke unter der Erde, als der Boden zu wackeln begann. Erst langsam, dann schneller und heftiger, man sah den Menschen in die Gesichter und wusste: das ist etwas besonderes, etwas besonders Schreckliches. Wir mussten dort unten raus.

Plötzlich rannten alle die Treppen rauf, es dauerte, bis wir oben waren. Die Straßen waren auf einmal voller Menschen, die offenbar überstürzt ihre Gebäude verlassen hatten. Das übliche hektische Treiben wurde noch schneller, viele suchten den Weg, irgendwohin. Wohin aber, wo war es am sichersten? Vor den Taxiständen bildeten sich lange Schlangen, die sonst überall und jederzeit verfügbaren Taxen waren alle besetzt. Wir hatten vor allem eine Sorge: Was war mit unserem zweijährigen Sohn, wir hatten ihn morgens in die Kita gebracht. Diese war aber nicht zu erreichen, auch unter der Notrufnummer nicht. Das Telefonnetz war vollständig zusammen gebrochen. Das Internet auch.

Wir wählten den Bus, über uns Straßen auf Stelzen, Wolkenkratzer. Als das erste Nachbeben kam, brach im Bus keine Panik aus. Alle waren einfach stumm. Draußen standen überall Menschen, die Atmosphäre war gleichzeitig gelähmt und unruhig. Die Angst hatte alle erfasst, jeder ging auf seine Weise damit um. Alle aber waren um geordnete Panik bemüht. Es wurde nicht gerempelt, geschubst, gemeckert.

Nach dem Bus ging es nicht weiter. Wir rannten zu Fuß weiter, zweieinhalb Stunden bis zur Kita. Die Erzieherinnen waren mit den Kindern in eine benachbarte Schule geflohen, da holten wir den Sohn ab. Zwischenzeitlich ging das Internet wieder, die Emails prasselten nur so auf mich nieder. Zuhause ein kleines Chaos. Bücher und Gläser auf dem Boden, das iPad immerhin hat den Härtetest überstanden. Der Sturz vom Tisch hat offenbar keinen Kratzer hinterlassen.

Mittlerweile herrscht angespannte Ruhe. Die Cousine meiner Frau, die in Yokohama wohnt, hat sich bis zu uns durchgeschlagen und wird die Nacht über hier bleiben. Das öffentliche Verkehrsnetz ist überwiegend still gelegt. Alle zehn Minuten wackelt wieder die Erde, ab und an funktioniert sogar die Erdbebenwarnung. Dann ertönt ein Klingellaut im Fernseher und dann flüchten wir wieder unter den Esstisch. Noch ist hier nichts vorbei - soeben bebt wieder der Untergrund...

Quelle: Handelsblatt

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