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Panorama: „Aus dem Iran auswandern – niemals!“

Sie wurde in Einzelhaft gesteckt und die Regierung wollte sie umbringen lassen. Trotzdem sagt Shirin Ebadi, die Freiheit des Westens hat auch ihre Tücken.

^ Shirin Ebadi, 58, bekam 2003 den Friedensnobelpreis. Die Juristin unterstützte 1979 die iranische Revolution, musste aber unter Chomeini ihr Richteramt aufgeben. Als Anwältin vertritt sie seit Jahren Regimekritiker und setzt sich für Frauenrechte ein. Nächste Woche erscheint ihre Autobiografie „Mein Iran“.

Frau Ebadi, wie geht es einer Iranerin, wenn sie dieser Tage durch Europa reist?

Ich habe das Gefühl, der Iran will eine Mauer um sich errichten und in Isolation leben. Das schmerzt mich.

Der Iran errichtet diese Mauer?

Naja, der Westen ist nicht unbeteiligt daran. Aber wenn der iranische Staatspräsident den Holocaust als ein Märchen bezeichnet, ruft er natürlich Empörung hervor. Er hätte das nicht sagen dürfen. Auf der anderen Seite ist es so, dass Israel über etliche Atombomben verfügt, und deshalb finde ich es etwas fragwürdig, wenn der Westen gegenüber dem Iran und dem Wunsch des Landes nach Kernenergie so heftig reagiert, obwohl der Iran noch gar nicht im Besitz einer Atombombe ist. Nicht, dass Sie mich missverstehen: Bloß weil Israel Atomwaffen hat, heißt das nicht, dass auch der Iran welche haben sollte. Kein Land sollte Atomwaffen besitzen, weder Israel noch der Iran.

Der Iran könnte mit seinem Atomprogramm einen Militärschlag des Westens provozieren. Ist es für Sie schwieriger geworden, Ihr Land zu verteidigen?

Ich bin zwar Iranerin, aber meine Aufgabe ist es, für die Gerechtigkeit einzutreten und nicht nur für den Iran. Doch es ist für mich in der Tat schwieriger geworden, die Politik des Irans im Ausland zu verteidigen als zu Zeiten des Reformpräsidenten Chatami. Der Grund dafür ist die falsche Politik der Regierung. Wir können ja nicht auf einer einsamen Insel leben, sondern müssen uns mit anderen Völkern und Staaten verständigen.

Im Iran waren viele empört, dass Sie zur Verleihung des Friedensnobelpreises 2003 in Oslo keinen Schleier trugen. Fühlen Sie sich im Westen freier?

Ja, das schon. Aber das heißt noch lange nicht, dass hier die absolute Freiheit herrscht. Der Holocaust etwa ist in meinen Augen eine schmerzliche historische Tatsache, für die die Christen verantwortlich waren. Und Hitler führte diese Reihen an. Unlängst hat man in Österreich jemanden zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er die Ausmaße des Holocaust heruntergespielt hat. Warum stellt das Reden über ein historisches Ereignis eine Straftat dar und gleichzeitig gilt die Veröffentlichung von Karikaturen, die den Propheten des Islam beleidigen, als freie Meinungsäußerung, die keine strafrechtliche Verfolgung nach sich zieht? Warum ist es so, dass man im ersten Fall die Redefreiheit nicht gelten lassen will, im zweiten Fall schon? Sie sehen, auch die westliche Freiheit hat so ihre Tücken.

Die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ hatte Ende 2005 Karikaturen veröffentlicht, die den Propheten Mohammed zeigten. Fühlten Sie sich dadurch angegriffen?

Ich war damals auf Einladung des PEN-Clubs in Kopenhagen. Die Karikaturen habe ich zehn Tage nach ihrer Veröffentlichung in der Geschäftsstelle des Schriftstellerverbandes gesehen. Und meine Empfindung war keine angenehme. Wenn ein Künstler im Büro sitzt und eine Karikatur von irgendeiner Person anfertigt – kein Problem. Aber die Zeitung hatte einen Wettbewerb ausgerufen, für den Karikaturen vom Propheten angefertigt werden sollten. Wir haben im PEN-Club darüber gesprochen, der Chefredakteur der Zeitung war auch dabei. Ich habe ihm gesagt, wenn er keinen politischen Hintergrund gehabt hätte, dann hätte er doch einen Wettbewerb veranstalten können, bei dem die Propheten der vier großen Religionen, Mohammed, Moses, Buddha und Jesus karikiert werden. Stellen Sie sich vor, in einem muslimischen Land würde ein Wettbewerb ausgerufen werden zur Kreuzigung Jesu, würde dies in der christlichen Welt keine Reaktion hervorrufen? Ich habe dem Chefredakteur gesagt, dass er sich entschuldigen sollte, solange es noch nicht zu spät ist. Leider hat er diesen Vorschlag nicht angenommen.

Sie sind also nicht aus religiösen, sondern aus politischen Gründen gegen die Karikaturen.

Genau. Ich hatte das Gefühl, dass man die Muslime vorsätzlich aufbringen will und dass man sich diese Aufregung nützlich machen möchte. Sie wissen ja, dass für den Angriff auf den Mittleren Osten eine These existiert: der Kampf der Kulturen. Der US-Politologe Samuel P. Huntington meint, dass es zwischen der islamischen und der westlichen Kultur einen unüberwindlichen Graben gibt.

Das denkt der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad auch.

Die Medien, die diese konfrontative Politik der Amerikaner unterstützen wollen, sorgen für den Zusammenstoß. Und in meinen Augen war der Karikaturen-Wettbewerb ein Teil dieses Kampfs der Kulturen. Es ging darum, einen politischen Plan umzusetzen. Dass der iranische Präsident da nicht anders ist, bestreite ich nicht.

Haben Sie als Menschenrechtsaktivistin unter dem neuen, konservativen Staatspräsidenten mehr Angst um Ihr Leben als unter dem alten?

Als man mich umbringen wollte, waren die Reformkräfte an der Macht. Der Staatspräsident im Iran hat laut Verfassung ohnehin nicht viel Macht. Ob nun Chatami oder Ahmadinedschad, das ändert für mich nicht viel.

Sie haben im Herbst 2000 zufällig in Gerichtsakten Ihren Namen auf einer Todesliste gefunden.

Ich erlebte damals die quälendsten Tage meines Lebens. Als Anwältin vertrat ich Angehörige von Intellektuellen, die 1999 in einer Mordserie getötet worden waren. Zum ersten Mal sollte ein Prozess stattfinden gegen Mitarbeiter des Informationsministeriums, die für die Morde verantwortlich waren. Zur Vorbereitung auf den Prozess las ich in den Akten die Abschrift einer Unterhaltung zwischen einem Regierungsminister und einem Mitglied des Todeskommandos. Da stand plötzlich der Satz: Die nächste Person, die getötet werden soll, ist Shirin Ebadi.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie nur deshalb entkamen, weil gerade der Fastenmonat Ramadan war und der Minister Sie zu diesem Zeitpunkt nicht töten lassen wollte. Bis heute werden Sie bedroht, wagen Sie sich überhaupt noch auf die Straße?

Ja natürlich, ich habe keine Bodyguards oder so was. Aber wenn ich mich an einem Ort unsicher fühle, kann ich zum örtlichen Polizeiabschnitt gehen und von ihnen Personenschutz bekommen. Die Regierung freut sich sehr, wenn ich sie um Schutz bitte, weil sie mich auf diese Weise besser kontrollieren kann.

Durch Ihre Berühmtheit genießen Sie auch Schutz. Andere wie die Journalistin Elham Afruta verschwinden nach ihrer Verhaftung einfach. Sie hatte einen kritischen Artikel veröffentlicht, seit Monaten dürfen weder ein Anwalt noch ihre Familie zu ihr.

Ich habe so etwas selbst auch schon erlebt, als ich im Gefängnis war. Und zurzeit läuft auch ein Verfahren gegen mich. Ich bin nur deshalb auf freiem Fuß, weil ich die Kaufurkunde meiner Wohnung als Kaution hinterlegt habe.

Was wird Ihnen vorgeworfen?

Ich habe einen Mandanten, den prominenten Journalisten Akbar Gandschi …

… er war 2000 in Teheran verhaftet worden, kurz nachdem er von einer Iran-Konferenz in Berlin zurückgekehrt war.

Gandschi begann einen Hungerstreik aus Protest gegen die unerträglichen Haftbedingungen – er saß in Einzelhaft – das hat viel Aufsehen erregt. Die Justiz hat mich dann beschuldigt, ich hätte Gandschi dazu aufgestachelt und meine Absicht wäre es, das Ansehen der iranischen Regierung zu beschädigen. Nachdem Gandschi den Hungerstreik begonnen hatte, durfte ich ihn nicht mehr besuchen. Das war ungesetzlich, und ich habe heftig dagegen protestiert. Ich sagte zu den Regierungsvertretern: Ihr habt in Teheran eine Straße nach Bobby Sands benannt, dem irischen Kämpfer, der 1981 in Folge eines Hungerstreiks sein Leben verlor. Und warum sagt ihr jetzt, dass Akbar Gandschi etwas Schlimmes tut? Daraufhin wurde ein Verfahren gegen mich eingeleitet.

Gandschi wurde Ende März nach sechs Jahren freigelassen. Ist das ein Erfolg für Sie?

Nein, ein Erfolg wäre gewesen, wenn er erst gar nicht ins Gefängnis gekommen wäre.

Sie verbrachten vor sechs Jahren selbst einen Monat in Haft und wurden dann zu einer Bewährungsstrafe und zeitlich begrenztem Berufsverbot verurteilt. Wie haben Sie Ihre Zeit im Gefängnis erlebt?

Ich war in der ganzen Zeit in Einzelhaft und hatte überhaupt keine Verbindung nach draußen. Ich durfte keine Bücher lesen, keine Zeitung, es gab kein Radio, kein Fernsehen. Ich konnte auch keinen Anwalt kontaktieren. Meine Zelle war etwas größer als der Tisch, an dem wir hier sitzen, vielleicht drei bis vier Quadratmeter groß. Es gab kein Fenster nach außen, die Wände waren aus nacktem Beton, und es brannte immer Licht. Meine Uhr hatten sie mir abgenommen, ich wusste also nie, wann es Tag oder Nacht war. Ich orientierte mich an den Speisen, die ich bekam. Ich bin körperlich aber nicht misshandelt worden.

Sie hatten Glück.

Einzelhaft ist eine psychische Folter. Die Psychologen bezeichnen das als weiße Folter. Von körperlicher Folter haben sie bei mir wohl abgesehen, weil ich eine berühmte Anwältin bin. Schon damals hatte ich einige internationale Preise bekommen für meine Arbeit als Menschenrechtsaktivistin. Vielleicht war ein Grund dafür, dass ich körperlich nicht gefoltert wurde, dass sie wussten, wenn sie mich foltern und ich rauskomme, werde ich alles öffentlich bekannt machen.

Wusste Ihre Familie etwas über Ihr Schicksal, als Sie in Haft waren?

Nein, nichts. Und ich selbst wusste auch nicht, was sie mit mir machen würden.

Sie setzten sich für Frauenrechte im Iran ein, einmal sagten sie: „Nicht die Religion ist die Fessel der Frauen.“ Warum tauchen aber „Ehrenmord“ und Beschneidung von Frauen nur in muslimisch geprägten Ländern auf?

Diese Beschneidung hat mit dem Islam nichts zu tun. Das ist eine schlimme afrikanische Tradition. Auch „Ehrenmorde“ sind nach den islamischen Grundsätzen nicht zulässig. Aber es ist leider so, dass „Ehrenmorde“ in islamischen Ländern begangen werden. Den Grund dafür muss man in der patriarchalischen Kultur suchen.

Die gibt es doch in Europa auch.

Da haben Sie vollkommen Recht. Aber sie ist hier weniger ausgeprägt. Dafür gibt es viele Ursachen, durch die Renaissance wurde die patriarchalische Ordnung verändert, auch die Industrialisierung, dass die Frauen außer Haus arbeiten, hat zur Schwächung dieser Ordnung beigetragen.

Sie sagen, dass die Unterdrückung der Frau nicht auf islamischen Grundsätzen beruht. Der marokkanische König hat 2003 die Gleichstellung von Frau und Mann mit Koranstellen belegt.

In jeder Religion gibt es unterschiedliche Auslegungen und Interpretationen. Das ist bei den Christen nicht anders. Die eine Kirche traut Homosexuelle, die andere nicht. Und im Islam ist es ähnlich. Hier der marokkanische König, dort die Taliban. Oder nehmen Sie Saudi-Arabien, dort dürfen Frauen nicht einmal ein Auto fahren. Auf der anderen Seite können wir in Ländern wie Indonesien, Pakistan, Bangladesch, feststellen, dass Frauen Staatspräsidentinnen und Regierungschefinnen waren.

Der Unterschied zu islamischen Ländern ist, dass es im Westen keine Staatsreligion gibt. Sie müssen als Juristin auf den 1400 Jahre alten Koran zurückgreifen, um Gesetzesänderungen zu rechtfertigen.

Die Gesellschaft muss auf einer demokratischen Grundlage regiert werden. Wenn Menschen ihre Stimme mehrheitlich einer islamischen Partei geben, heißt das nicht, dass sie etwas Falsches tun. Gerade kam in Palästina die Hamas an die Macht. Über die demokratischen Prinzipien hinaus benötigen wir aber noch etwas anderes: Die Demokratie hat einen Rahmen, und den legen die Menschenrechte fest. Das heißt, die Mehrheit, die durch die Stimmen der Bevölkerung an die Macht kommt, darf nicht die Rechte der Minderheiten und die Rechte der Frauen beschneiden. Wenn man die Demokratie so sieht, dann besteht kein Grund zur Sorge, wenn durch freie Wahlen religiös ausgerichtete Kräfte die Macht erlangen.

Sie waren 1979 eine Befürworterin der Revolution. Wie alle anderen gingen Sie in Teheran jeden Abend aufs Dach Ihres Hauses und riefen „Allahu Akbar“ in den Himmel. Gibt es heute mehr Demokratie im Iran als zu Zeiten des Schahs?

Es gibt Fortschritte. Damals gab es überhaupt keine Demokratie, der Schah war ein Diktator.

Das ist über 25 Jahre her, lange genug, um ein wirklich demokratisches System zu etablieren.

Der Zeitraum ist egal. Es können 100 Jahre vergangen sein. Sie haben mich nach einem Vergleich gefragt, und da muss ich sagen, dass wir mehr Demokratie haben als damals.

Sie sind eine bekannte Frau und viel im Ausland unterwegs. Wie kommt Ihr iranischer Mann mit Ihrem Erfolg zurecht?

Mein Mann ist ein intellektueller Mensch, der hat damit kein Problem. Wenn ich zu Hause bin, vergesse ich, wer ich bin, der Ruhm und die Preise bedeuten da nichts. Ich bin dann eine traditionelle Frau, eine Hausfrau, die kocht.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie sich mit Ihrem Mann oft gestritten haben, weil Sie es unfair fanden, dass er Ihnen die gesamte Hausarbeit und die Kindererziehung überließ.

Zu Hause mache ich alles. Aber eigentlich ist das auch gerecht so, denn er muss ja viele Härten auf sich nehmen mit mir. Mein Beruf fordert viel Zeit, ich bin die Hälfte des Jahres unterwegs.

Ihre beiden Töchter, 26 und 23, leben in Kanada. Sie haben Iraner, die ins Exil gingen, immer kritisiert, weil sie ihr Land im Stich lassen.

Meine Töchter leben ja nicht in Kanada, sie promovieren dort. Die eine in Elektrotechnik, die andere in Rechtswissenschaften. Beide waren bis zum Abschluss ihres Studiums im Iran. Sie haben mir versprochen, nach der Promotion zurückzukommen. Ich hoffe, dass sie ihr Versprechen halten.

Glauben Sie nicht, dass es für zwei weltoffene, junge Frauen angenehmer ist, in Kanada zu leben als im Iran?

Der Iran hat 70 Millionen Einwohner, etwa 60 Prozent davon sind jünger als 25. Meine Töchter sind ein kleiner Teil dieser großen, großen Gruppe. Und sie wollen nicht anders leben, als die anderen auch.

Sie bekommen Drohbriefe und vor Ihrem Haus in Teheran sehen Sie öfter fremde Männer herumlungern. Haben Sie je ans Auswandern gedacht?

Nein. Niemals!

Interview: Moritz Schuller, Annabel Wahba

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