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Panorama: Aus dem Weg, Tokio Hotel!

Weshalb die Beatles in die Charts kommen könnten: Online-Verkäufe zählen in immer mehr Ländern

Charts sind der Seismograf der Popwelt. Zumindest sollten sie das sein. Die Rangliste soll möglichst repräsentativ widerspiegeln, welche Musik gerade am meisten gehört wird. In Deutschland haben die Charts diese Funktion allerdings in letzter Zeit etwas eingebüßt. Auch deshalb, weil Musiker, die noch keine CD herausgebracht, aber schon im Internet Karriere gemacht und sich in den Ohren der Fans festgesetzt haben, in den Charts nicht auftauchten. Das wird sich demnächst ändern. „Wir werden die Charts in Deutschland reformieren“, sagt Stefan Michalk, Sprecher des Deutschen Phonoverbandes.

Vorbild ist das Mutterland des Pop, England. Hier werden seit Anfang des Jahres auch Lieder in die Wertung aufgenommen, die ausschließlich online verkauft werden, also ohne einen parallelen CD-Verkauf. Es tut sich etwas in der Musikbranche, letzter Vorstoß: Die BeatlesPlattenfirma Apple hat sich mit EMI in einem Streit um angeblich ausstehende Tantiemen in Höhe von 45 Millionen Euro geeinigt. Nun könnten bald auch Beatles-Songs online verkauft werden, und die Lieder der Band durch Downloads wieder in die Charts einsteigen. Und das, ohne eine neue CD zu veröffentlichen.

Das verändert den Musikmarkt. In den Charts können so Stars berücksichtigt werden, die auf Internetplattformen wie Myspace oder Youtube beliebt sind. Sobald sie ihre Songs online zum Verkauf anbieten, werden sie gezählt – ohne eine teuere CD aufnehmen zu müssen. In Deutschland werden bisher nur Online-Verkäufe gewertet, die gleichzeitig auf einem Tonträger neu erschienen sind. „Noch arbeiten wir an ein paar technischen Details, aber die Reform ist beschlossen, und sie wird noch in diesem Frühjahr in Kraft treten“, sagt Michalk.

Als einen Quantensprung will er diese Entscheidung nicht verstanden wissen, dafür sei der Online-Markt insgesamt noch zu klein. Aber die Singleverkäufe verlagern sich immer weiter ins Internet. In Deutschland wurden in den ersten drei Monaten des Jahres laut Media Control rund 8,6 Millionen Musikdownloads registriert. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs um 36,5 Prozent, und den Löwenanteil daran tragen einzelne heruntergeladene Lieder (8 Millionen Einzeltitel). Sogenannte Bundles, also digitale Produkte mit mehr als einem Lied, wurden nur 600 000-mal verkauft. Der erfolgreichste Online-Song in Deutschland im Jahr 2007 ist bisher Nelly Furtados „All good Things“.

„Mit der Reform gewährleisten wir, dass die Charts auch in Zukunft ein reales Abbild des Musikkonsums liefern“, sagt Michalk. Das könnte für neue Bands ebenso wie für Altmeister die Chance sein, in die Charts zu kommen. Für die Beatles etwa sind die neuen Charts eine feine Möglichkeit, einen alten Makel ihrer brillanten Bilanz aus der Welt zu schaffen. Eine Kleinigkeit, die aber alle Briten einfach wurmen muss: Sie waren in den USA erfolgreicher als in ihrem Heimatland. Zumindest, wenn man sich die Platzierungen der vier Jungs aus Liverpool in den Single-Charts betrachtet. Englands größter Exportschlager stürmte 19-mal an die Spitze der amerikanischen Single-Charts, daheim waren sie nur 17-mal auf Platz eins. Lieder, die aus dem Popkanon nicht mehr wegzudenken sind, haben es in England nur auf Platz zwei geschafft. „Let it be“ beispielsweise oder „Penny Lane“.

Zudem werden legale Online-Musikportale wohl auch durch die Entscheidung von EMI, auf den Kopierschutz zu verzichten, an Bedeutung gewinnen. Der britische Musikkonzern hat das Internet damit als positive Geldquelle erkannt und nicht wie bei den großen der Musikbranche bisher üblich als Gefahr. Wenngleich es im Fall EMI auch mehr ein Rettungsanker ist, schließlich sind ihre Plattenverkäufe im Jahr 2006 um 15 Prozent gesunken. EMI hofft, mit einer Zunahme der Online-Verkäufe aus der Krise zu kommen.

Die Beatles könnten helfen. Und vielleicht können sie jetzt mit der Chartsreform auch in Deutschland ihre Nummer-eins-Bilanz etwas aufbessern. Noch sind es zwölf.

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