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Autonomer der Meere: Paul Watson: Neptuns Admiral

Er und seine Leute werden wieder Stinkbomben werfen und japanische Walfänger rammen. Szenen eines Seekriegs wird es geben im Südpolarmeer. Und mittendrin Paul Watson. Der militante Walschützer hat keine Vision. Er sagt: "Ich tue, was zu tun ist."

An Land ist er anders. Ein bedächtig wirkender Herr mit weißen Haaren, der an einem der Tische im Frühstückssaal des Hotels Crowne Plaza Hannover sitzt und leise mit seinem Begleiter spricht. Er schaut freundlich auf, als ihn die suchenden Blicke von zwei jungen Männern treffen, ehrfürchtig treten sie heran und stellen sich vor.

„Hello, I’m Henry.“

„Hello, I’m Matze.“

Der Begleiter des Weißhaarigen fragt umstandslos, „Oh, wo habt ihr so gut Englisch sprechen gelernt?“ Henry und Matze schauen ihn an. Sie wissen nicht, ob das jetzt eine Unverschämtheit gewesen ist oder eine freundliche Einladung, Konversation zu machen, eine Lockerungsübung. Sie stehen da und lächeln, was sollen sie sagen? In der Schule?

Der Begleiter sagt in die Stille: „Ihr habt kaum einen Akzent.“ Henry und Matze ahnen, dass sie jetzt wirklich antworten sollten, irgendetwas, Hauptsache schnell, aber sie antworten nichts, und mit jeder Sekunde, die verstreicht, wird die Situation ein bisschen unangenehmer. Und dann hören sie die Stimme des Weißhaarigen. Der tut das, was er immer tut. Er kommt zur Sache. Er sagt, „Wusstet ihr, dass Orcas Akzente haben?“

Der Mann heißt Paul Watson. Er ist der Chef der Sea Shepherd Conservation Society, einer Kriegsmarine mit Sitz in Friday Harbor im US-Bundesstaat Washington. Sie wird nicht von einer Regierung befehligt, sondern bekämpft im Namen von Meerestieren deren Feinde. Watson versenkt Walfangschiffe, rammt Fischerboote auf hoher See, er wirft mit Dreck, verachtet Greenpeace und sagt, dass er Würmer für wichtiger hält als Menschen. Sein Name steht auf einer Interpol-Liste gesuchter und zu beobachtender Personen. Hannover besucht er auf Einladung der deutschen Tierschutzpartei. In einigen Stunden wird er hier, es ist ein Tag im September, eine Rede halten.

Die beiden jungen Männer wussten nicht, dass Orcas Akzente haben. Sie sind noch nicht lange im Stoff. Sie gehören zur deutschen Sea-Shepherd-Filiale, die sich in ihrer Gründungsphase befindet. Gekommen sind sie, um den Hotel-Tagungsraum für die Rede vorzubereiten. Ein Pult muss aufgebaut werden, ein Videoprojektor, ein Informationsstand. Sie hören dankbar zu, als Watson ihnen von den Orcas erzählt, den Großen Schwertwalen, die je nach Herkunft unterschiedlich miteinander kommunizieren. Ein Tier aus der Beringsee würde eines aus dem Nordatlantik kaum verstehen. Ein wenig ist es so, als rede Watson von sich selbst.

Auch er wird von vielen nicht verstanden. Sogar von Leuten, deren Sprache er spricht. Er ist ihnen zu deutlich. Er kennt keine Zwischentöne. Am deutlichsten wird er auf See.

Seit Jahren schon fährt Watson jeden Winter ins Südpolarmeer, macht Jagd auf die japanische Walfangflotte. Das Motto dieses Mal: „Operation No Compromise“. Die Dokumentarfilmserie, die ein US-amerikanischer Fernsehsender seit drei Jahren daraus macht, hat den Namen „Whale Wars“. Und einer von Watsons einstigen Gefolgsleuten beschreibt die Sea-Shepherd-Gesellschaft als „Gesetzlose, befehligt von Gott“, und Gott duldet keinen Widerspruch.

Am Donnerstag, seinem 60. Geburtstag, ist Neptuns Admiral in Hobart, Tasmanien, aufgebrochen, zum mittlerweile siebten Mal, um seinen größten Feind zu stellen, Japans Walfangindustrie. Die machte sich am selben Tag auf den Weg. Üblicherweise besteht sie aus acht Schiffen, eines davon für die Fleischverarbeitung, drei fürs Harpunieren und zwei für die eigene Sicherheit, dazu kommt noch ein Schiff für Treibstoff und eines für Vorräte aller Art. Sie ist auf Finnwale, Buckelwale und Minkwale aus, die südlich des 40. Breitengrades leben, in einem Gebiet, das 1994 durch einen Beschluss der Internationalen Walfangkommission zur Walschutzzone erklärt worden war. Das heißt allerdings nicht, dass Walfang dort verboten ist.

Es ist nicht ganz klar, warum es dann ein Schutzgebiet ist. Aber so ist es eben, die Walfangkommission gilt ohnehin als ein handlungsunfähiger Haufen aus Abgesandten der mittlerweile 88 Mitgliedsländer und teilweise offenkundig korrumpierbar. 1946 wurde sie gegründet, um die internationale Jagd auf Wale zu regulieren, mit dem Ergebnis, dass 30 Jahre später etliche Arten nahezu verschwunden waren. Walfanggegner und Walfangbefürworter blockieren sich gegenseitig in dieser Institution, und wer sich über ihre Beschlüsse hinwegsetzt oder sie intelligent unterläuft, bleibt unbestraft.

Walfang aus wirtschaftlichen Gründen ist seit 1986 untersagt, Norwegen und Island betreiben ihn trotzdem. Und Japan sagt, dass seine Fangflotte seitdem von wissenschaftlichen Motiven geleitet ist. Wissenschaft ist erlaubt. Die japanische Flotte soll herausbekommen, wann es so weit sein wird, dass wieder genug Tiere im Südpolarmeer schwimmen, um sie aus wirtschaftlichen Interessen fangen zu können. Ungefähr 1000 getötete Wale braucht sie pro Jahr dafür.

Konsequenzen hat sie allein von Watson zu erwarten. Der begann 1979. Spürte im Atlantik ein Schiff auf, das unter wechselnden Namen und wechselnden Flaggen in den Hoheitsgewässern etlicher Staaten ohne deren Erlaubnis unterwegs war und dort Wale jagte. Ein Piratenschiff. Watson verfolgte es in den Hafen der portugiesischen Stadt Porto, rammte es, und ließ – es war ein halbes Jahr später, das Schiff hatte eine teure Reparatur hinter sich und lag mittlerweile im Hafen von Lissabon – eine Haftmine an seinem Rumpf anbringen. Das Schiff sank.

Auf ähnliche Art und Weise sanken sechs Jahre später zwei Trawler im Hafen von Reykjavik. Ventile in den Schiffsrümpfen waren geöffnet worden. Watson sagte damals, seine Leute seien das gewesen. Er habe die Sache geplant. Ein Jahr später flog er nach Island, um sich der Polizei zu stellen. Er wurde 24 Stunden lang festgehalten und dann in ein Flugzeug gesetzt. Er sollte das Land verlassen. Und so war es bislang fast immer. Man lässt ihn davonkommen. Das mag daran liegen, dass Walfangflottenbetreiber einen Prozess gegen Watson, die Aufmerksamkeit, die damit verbunden wäre, mehr fürchten als den finanziellen Schaden, den er ihnen immer wieder zufügt.

Denn die Aufmerksamkeit wäre groß. Watson hat - neben Rechtsanwälten, Wissenschaftlern, Firmenchefs und Naturschützern – den James-Bond-Schauspieler Pierce Brosnan in das Ratgebergremium seiner Organisation geholt. Der MacGyver-Darsteller Richard Dean Anderson arbeitet auch dort, die Hollywoodstars Sean Penn und Martin Sheen ebenfalls. Anthony Kiedis, der Sänger der Rockgruppe Red Hot Chili Peppers, sitzt im „Board of Directors“, dem Rat der Entscheidungsträger. Und Captain Kirk William Shatner und Batman Christian Bale stehen auf der langen Liste der Sea-Shepherd-„Unterstützer“. Es würde sehr laut werden, sollte jemand gegen Watson gerichtlich vorgehen wollen.

Der Chef der Tierschutzpartei, Watsons Gastgeber in Hannover, ist an den Tisch gekommen, beide unterhalten sich. Der Parteichef erzählt von seiner jüngsten Aktion, der Bodenseekampagne. „Motion for the Ocean“ heißt sie. Im Sommer mietete die Tierschutzpartei 28 Werbeflächen auf sechs Bodenseefähren und brachte dort Plakate an, Din-A-1-groß, auf denen ein Thunfischschwanz zu sehen war und die Worte: „Tierart wird ausgerottet“. 28 Plakate auf dem Bodensee. Din A 1. Was Watson wohl denkt?

Er schaut den Parteichef an, der schaut zurück. Zwei Männer, die sich von Pflanzen ernähren, blicken einander in die Gesichter. „Well“, sagt Watson.

Er ist 60 Jahre alt, der Parteichef ist sechs Jahre jünger, wirkt aber wie der Ältere. Der Parteichef ist müde, er hat aufreibende Wochen hinter sich, sagt er, Landesparteitage. Watson dagegen sieht aus, als habe er nie im Leben Mühsal gehabt, als sei das Kriegerdasein seinem Wohlbefinden sehr zuträglich. Ein gesund wirkendes Gesicht, unterm T-Shirt ein runder Bauch, trotz der Pflanzen.

Er scheint nicht einmal Ungeduld zu kennen. Jetzt, bei der Plakatgeschichte, müsste Watson doch eigentlich unruhig werden, denn er hält Plakate für sinnlos. Er glaubt, dass öffentlicher Protest zu nichts nütze ist, zu symbolisch, nichts würde sich bessern dadurch, außer das Gewissen der Protestierer. Trotzdem hört er lange zu und macht ein anerkennendes Gesicht. Erst als der Parteichef den Tisch wieder verlassen hat, sagt er: „Ich habe nicht einmal was, das ich auf Plakate schreiben könnte. Da gibt es nichts. Ich habe keine Vision. Ich tue, was zu tun ist.“

Es geht ihm nicht darum, Menschen von irgendetwas zu überzeugen. Davon zum Beispiel, dass die Meere besser geschützt werden sollten oder eine Tierart vor dem Aussterben zu retten sei. Watson geht es um das einzelne Tier. Wo er auftaucht, knirscht Stahl, geht etwas zu Bruch. Er behauptet, dass bei all dem noch keinem Menschen etwas zugestoßen sei. Außer ihm selbst beinahe, als ein Stahlsplitter in seiner Kleidung stecken blieb.

Paul Watson kam 2. Dezember 1950 in Toronto zur Welt, „im Erbland der Huronen am Nordufer des Ontariosees“, wie er es in einer seiner vielen autobiografischen Schriften formuliert. Aufgewachsen ist er „im Land der Alquonquin Micmac, an den Ufern der Passamaquoddy Bucht“, also in der kanadischen Provinz New Brunswick. In seinen ersten Lebensjahren wurde er von seinem Großvater erzogen, einem Mann, der als Junge aus Dänemark ausgewiesen worden war, weil er sich weigerte, vor der Königin niederzuknien. Watson schreibt, sein bester Freund in Kindertagen sei ein Biber gewesen, den er Bucky nannte. Bucky starb in der Falle eines Trappers. Von da an begann Watson, Trapperfallen zu zerstören.

Es ist das Bild eines Frühberufenen, das Watson von sich zeichnet. Eines Menschen, der sich seit seiner Kindheit nicht mehr verändert hat. Immer noch missbilligt er die Besitzaneignungsmethoden der modernen Zivilisation, immer noch zerstört er Maschinen, die Tiere töten. Niederknien? Niemals.

Er geht nach Vancouver, studiert, arbeitet bei der kanadischen Küstenwache und auf einem norwegischen Frachtschiff. Anfang der 70er Jahre gründet er mit befreundeten Atomwaffengegnern Greenpeace. 1977 verlässt er die Organisation im Streit. Der Anlass dafür war Watsons Verhalten bei einem Protest gegen die Robbenjagd in Kanada. Watson hatte von einem der Jäger ein paar Felle und einen Knüppel erbeutet und ins Wasser geworfen. Greenpeace empfand das als zu gewalttätig. Watson gründete Sea Shepherd. Aus Freunden waren Feinde geworden.

Der Informationsstand im Hotel-Tagungsraum ist aufgebaut. Bücher werden zum Verkauf ausgelegt und T-Shirts, 20 Euro teuer, „aus 100 Prozent Biobaumwolle“, steht auf einem Zettel, „hergestellt mit 90 Prozent weniger CO2“, „fairer Handel“. Die T-Shirts sind schwarz wie Watsons Schiffe, vorne drauf ist das Sea-Shepherd-Symbol gedruckt, ein Totenkopf, darunter – statt gekreuzter Knochen oder Schwerter – ein Hirtenstab und ein Dreizack. Auf der Rückseite stehen die Namen „Sierra“, „Susan“, „Theresa“, „Isba 1“ und „Isba 2“, „Hvalur 6“ und „Hvalur 7“, „Nybraena“, „Senet“, „Morild“ und „Jiang Jae“. Es sind die Namen der Schiffe, die Sea Shepherd seit 1980 versenkt haben will.

Der Konkurrent Greenpeace bezweifelt, dass die Aufzählung stimmt. Tatsächlich kann Watson nicht belegen, dass jede dieser Versenkungen sein Werk gewesen ist. Aber es gibt offenbar auch niemanden, der Watson der Lüge überführen kann. Das ist der Boden, auf dem Legenden gedeihen.

Watson ist längst zu einem Stellvertreter seiner selbst geworden, dem seine Anhänger alles zuschreiben, was sie wollen, so lange es nur dem Bild vom Allmächtigen entspricht. Wer genug von ihm hat oder Zweifel hegt, wird Verräter genannt.

In seinem Buch „Ocean Warrior“, schreibt der Legendenbilder: „Überleben in der Medienkultur bedeutete, Fähigkeiten zu entwickeln, die Medien zu verstehen und zu manipulieren.“ In Hannover sagt Watson, wie er das verstanden wissen wolle. „Wir manipulieren nicht, wir wählen aus. Wir liefern Geschichten, denen die Medien nicht widerstehen können.“ Geschichten wie die vom Untergang der Ady Gil.

Die Ady Gil hatte drei Rümpfe und war ein 24 Meter langes Rennboot, es hält den Weltrekord im Erdumrunden, und vor einem Jahr gehörte es zur Südpolarmeerflotte von Sea Shepherd. Es sank im Januar nach einem Zusammenstoß mit einem japanischen Walfangschiff. In den Medien kam nur an: Großes Schiff rammt kleines Boot, die Bösen die Guten, die Schuldfrage war damals noch nicht beantwortet, aber es schien alles klar. Der neuseeländische Untersuchungsbericht kam im November zu dem Schluss, dass die Kapitäne beider Schiffe schuld an dem Zusammenstoß gewesen sein müssen. Es war eine Geschichte, der die meisten Medien widerstanden haben. Sie war nicht eindeutig genug.

In Hannover wächst mit jedem eintreffenden Sea-Shepherd-Gehilfen die Ehrfurcht vor dem Mann. Am Abend, nach der Rede, wird Anbetung daraus geworden sein. Der Tierschutzparteichef wird sein Jackett ablegen und einen Kapuzenpullover mit Totenkopf anziehen und Watson von seinen Abenteuern erzählen, davon, dass die japanische Walfangflotte im vergangenen Winter mit nur 506 Walen, der Hälfte der geplanten Zahl, nach Hause fahren musste. Ein Erfolg seiner Attacken.

In diesem Jahr könnte die Quote noch einmal sinken. Die Abfahrt der Japaner hat sich um Wochen verzögert, weil offenbar kein Tankschiff aufzutreiben war. Nun haben sie viel weniger Zeit fürs Fangen. Und Watsons Verband aus drei Schiffen, die er „Neptune’s Navy“ nennt, wartet schon auf sie. Er und seine Leute werden wieder mit vergammelter Butter und mit Küchenabfällen werfen und die Walfänger rammen, wo sie können. Sie werden Tiere vorm Harpunieren bewahren. Tiere, die ein ziemlich gut ausgebildetes Gehirn haben, sich ihrer selbst bewusst sein sollen und Kummer empfinden können. Es ist nicht die Walforschung Japans gewesen, die das herausgefunden hat.

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