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"Dreiecksturm" wird der Entwurf der Architekten Herzog und de Meuron genannt. Aufgrund seiner Optik wird das Gebäude Paris Silhouette verändern.

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Bauboom in Europas Metropolen: Hoch hinaus

Früher waren Wolkenkratzer ein Markenzeichen von New York. Dann setzten die Golfstaaten und China bei Neubauten auf lichte Höhen. Nun scheinen Europas Metropolen zu folgen.

Hochhäuser, Skyscraper, Wolkenkratzer – Neubauten dieser Größenordnung gibt es allem Anschein nach nur noch in der Golfregion oder in China. Das alte Europa kommt nicht mit, will es womöglich auch nicht. So gibt es in Paris, dem eigentlichen Paris innerhalb seiner engen Stadtgrenzen, nur ein einziges Hochhaus: den 1973 fertig gestellten Tour Maine direkt am Bahnhof Montparnasse im Süden der Stadt.

An seine 210 Meter kommt das Vorhaben, das jetzt von den Stadtverordneten gebilligt wurde, nicht heran. Doch dieses neue Hochhaus wird wohl der Beginn sein einer gründlichen Verwandlung der bisher auf eine weitgehend einheitliche Gebäudehöhe von je nach Quartier maximal 37 Metern begrenzten Silhouette der Stadt.
42 Stockwerke sollen in den 180 Metern Gesamthöhe Platz finden, in diesem als "Dreiecksturm" zutreffend bezeichneten Hochhaus, das die Schweizer Stararchitekten Herzog und de Meuron entworfen haben. Wie ein gläserner Kristall erhebt sich der Turm auf Computerdarstellungen über das Pariser Häusermeer, gar nicht so weit weg vom Eiffelturm, der mit seinen 300 Metern zwar weit höher, aber eben auch weit filigraner ist. Dass allerdings kein reales Bauwerk so schön glänzt wie eine Computergrafik, müssten auch die Befürworter dieses neuerlichen Hochhausdranges zugeben.

Banken und Konzerne machen Druck

Der ökonomische Druck auf die französische Hauptstadt hat enorm zugenommen. Mit Bauvorschriften, die Höhe und Grundstücksausnutzung beschränken, lassen sich die Banken und Konzerne nicht mehr abspeisen, die in Paris sichtbar sein wollen. Ihr Blick geht über den Kanal auf die britische Insel: Dort, in London, hat das Hochhauszeitalter mittlerweile Fahrt aufgenommen.

Neben der "Scherbe", wie das von Renzo Piano entworfene, spitz zulaufende Hochhaus auf dem Südufer der Themse heißt – mit 310 Metern das derzeit zweithöchste Europas –, sind drei Dutzend weitere Skyscraper bereits fertig oder noch im Bau, die der der Finanzwelt zugetane Bürgermeister Boris Johnson genehmigt hat. Sie ballen sich in der City, dem Finanzdistrikt Londons.

Der wächst längst über sein angestammtes Gebiet hinaus, nach Norden und Osten hin, früher einmal Viertel der einfachen Londoner und heute mit starkem Anteil von Migranten in dieser von Menschen aus mehr als 160 Nationen bevölkerten Metropole. Als Richard Rogers, neben Norman Foster der herausragende Architekt der älteren Generation englischer Baumeister, 1986 das wie eine Maschine anmutenden Verwaltungsgebäude der Versicherung Lloyd’s entwarf, war es das bei weitem höchste Gebäude ringsum – und duckt sich heute mit gerade einmal 76 Metern unter seine weit höher ragenden, meist glasverspiegelten Nachbarn. Für so etwas raues und ruppiges wie Rogers’ rostbraunes Stahlgebäude hat die heutige Finanzwelt nichts übrig: Sie liebt es glatt und unnahbar.

Die "Scherbe" (links) in London, von Renzo Piano entworfen, ist mit 310 Metern Europas zweithöchstes Gebäude.
Die "Scherbe" (links) in London, von Renzo Piano entworfen, ist mit 310 Metern Europas zweithöchstes Gebäude.

© picture alliance / dpa

Londons Silhouette hat sich in den vergangenen Jahren radikal gewandelt. Aus der Stadt der Reihenhäuser mit ihren wenigen, dafür umso pointierter herausragenden Türmen und Kuppeln wie jener der Kathedrale St. Paul’s oder dem Turm von Big Ben neben dem Parlament wird mehr und mehr eine zunehmend hoch aufschießende Ansammlung von Großbanken und anderen Konzernen.

Die Pariser Geschäftswelt beobachtet das mit Argwohn. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dem kristallinen "Dreiecksturm" weitere Hochhäuser folgen. Platz dafür gibt es nicht. Aber er wird, wie in London, geschaffen werden: durch Abriss bestehender Quartiere, zumeist von fünf- oder sechsgeschossigen Wohnbauten aus der bis heute nachwirkenden Tradition des legendären Präfekten und Stadtbaumeisters Baron Haussmann.

Das Vorbild für den Hochhausdrang ist und bleibt New York, wo nach den zumeist gesichtslosen, hochkant stehenden Schachteln der sechziger bis achtziger Jahre zunehmend experimentelle, jedenfalls Aufmerksamkeit heischende Entwürfe realisiert werden. Neuester Darling der Investoren ist der jugendliche Däne Bjarke Ingels, der kürzlich anstelle des zuvor bereits ausgewählten Norman Foster mit dem Entwurf für WTC2, den zweiten Turm auf dem Areal des "World Trade Center", betraut wurde. Er sieht einen Turm aus gegeneinander versetzten, wie aufgestapelte Klötzchen wirkenden Gebäudeteilen vor.

Superreiche wollen spektakuläre Aussichten

Furore machte Ingels mit seinem Entwurf für ein dreieckiges, schräg ansteigendes Apartmenthaus an der 57. Straße nahe dem Hudson, mit Blick aus jedem der sündteuren Wohnungen auf den Fluss. Wohnbau in New York, das ist ein heißes Thema der Immobilienwirtschaft, und anstelle einer Etage an der außer Mode gekommenen Park Avenue wollen die Superreichen spektakuläre Aus- und Ansichten vorweisen.

Wenn sie sich denn überhaupt mal in New York aufhalten. Wie in London, dienen auch in New York die Luxuswohnungen nicht in erster Linie zum Wohnen, sondern als Kapitalanlage. Es wäre ein Jammer, wenn auch das dicht besiedelte, lebendige und von allen Einkommensschichten gleichermaßen geprägte Paris denselben Weg zum bloßen Betongold nehmen würde.

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