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Baumgartners Rekordsprung: Einmal der Erste sein

Warum Menschen die Lebensgefahr suchen, gilt vielen als Rätsel. Ein gewisses Maß an Abenteuerlust, Verrücktheit und Risikobereitschaft braucht es allerdings, um die Menschheit voranzubringen.

Was für eine Aussicht! Die Luke geht auf und gibt den Blick frei auf einen gleißenden Streifen, der nach oben hin in Schwarz verschwimmt, nach unten zu Grau. So sah Felix Baumgartner die Erde tief unter sich. Dank einer Kamera in seiner Ballonkapsel blickten ihm Millionen Zuschauer im Internet und vor den Fernsehgeräten über die Schulter. Dorthin, wo die Erde aufhört und das unendliche Universum beginnt. Er will im freien Fall zur Erde stürzen, aus bis dato unerreichter Höhe. Und er will dabei die Schallmauer durchbrechen. Ein lebensgefährliches Unterfangen.

Aber wozu war das Ganze gut? Baumgartner hat sich und anderen diese Frage oft beantwortet. Es ist eine Mischung aus Selbstbestätigung, Überwindung, Siegen, einmal ganz oben stehen. Eben das, was Menschen der Extreme antreibt: Bergsteiger, Tieftaucher, Ultralangstreckenläufer. Sie alle wollen ihr Ziel erreichen, und zwar als Erste. Mindestens ebenso wichtig ist den meisten von ihnen jedoch, dass diese Leistung öffentlich wahrgenommen und anerkannt wird.

An dieser Stelle kommen die Sponsoren ins Spiel, die die verrückten Vorhaben in vielen Fällen überhaupt erst möglich machen. So klinkte sich ein Uhrenhersteller in das Tieftauchvorhaben von Baumgartners Landsmann Herbert Nitsch ein und warb nach dem Tauchgang im Juni mit dessen Konterfei. Vom Taucher selbst ist seitdem nur zu lesen, dass er noch immer in der Reha sei.

Bei Baumgartner war es ein Hersteller koffeinhaltiger Brause, der in der Extrem-Branche allerlei verrückte Wettbewerbe fördert. Das Marketingkonzept kann aber nur funktionieren, wenn sich viele Leute für die übermenschlichen Taten begeistern. Bei Baumgartner ist das wahrlich gelungen. Doch warum suchen so viele gemeinsam mit dem Springer den Kick und schauen sich seinen Rekordversuch an? Wahrscheinlich, weil sie dabei eine besondere Art von Nervenkitzel spüren. Ein elementares Gefühl, das unsere Vorfahren vielleicht bei einer Begegnung mit einem Säbelzahntiger in der Höhle hatten, das es zwischen Sofa und Schreibtisch aber nicht mehr gibt. Alles konzentriert sich aufs pure Überleben, mehr gibt es nicht in dieser Situation. Das sagt selbst der Profi Baumgartner: „Wenn man da oben steht, wird man demütig. Du denkst nicht mehr daran, Rekorde zu brechen“, erzählte er nach dem Sprung. „Du willst nur noch lebend zurückkommen.“

Hauptsache Überleben! Das ist in unserer Gesellschaft ein sehr seltenes Gefühl. Wer sich ihm stellt, wer es besiegt, bekommt Anerkennung. Das ist heute genauso wie früher in der Höhle.

Wenn es um den praktischen Nutzen geht, fällt die Bilanz etwas anders aus. Beim Verjagen eines Säbelzahntigers ist er offensichtlich, beim Sprung vom Rand des Weltalls nicht. Zwar betonen die Macher, dass die dafür gemachten Entwicklungen, vor allem der Spezialanzug, einmal zur Rettung von Astronauten dienen könnten. Baumgartners medizinischer Berater ist Jonathan Clark, der seine Frau beim Absturz des Spaceshuttles „Columbia“ verloren hat, berichtet der „Guardian“. Damals ist die Raumfähre in 63 Kilometern Höhe zerbrochen, sieben Menschen kamen um. Hätte die Mannschaft überlebt, wenn sie aus großer Höhe abgesprungen wäre? Das treibt Clark um. Baumgartners Sprung könnte helfen, entsprechende Techniken für derartige Rettungsaktionen zu entwickeln.

Martin Trammer, Arzt im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln, sieht den Nutzen kritischer. Trotz aller Bewunderung für die Rekordleistung habe der Flug die Wissenschaft keinen großen Schritt weitergebracht.

Und dennoch ist ein gewisses Maß an Abenteuerlust, Verrücktheit und Risikobereitschaft vonnöten, um die Menschheit voranzubringen. Erik der Rote, Columbus, Magellan, Juri Gagarin – sie alle hätten nicht Neuland entdeckt, wenn sie zu Hause geblieben wären. Es kann aber auch schiefgehen, wie Robert Scott und seine Männer erfahren mussten. Vor 101 Jahren verloren die den Wettlauf zum Südpol gegen den Norweger Roald Amundsen und sein Team und starben völlig entkräftet nur 18 Kilometer vom rettenden Depot entfernt.

Baumgartner hatte Glück – und gewann die Erkenntnis: „Manchmal müssen wir wirklich hoch hinaus, um zu sehen, wie klein wir sind.“

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